SOS Balkanroute: „Ein bisschen Feuerlöschen“
Als der Rapper Petar Rosandić aka Kid Pex zum ersten Mal das Horror-Flüchtlingslager Vučjak sah, begann er gemeinsam mit anderen Hilfslieferungen zu organisieren. Vučjak gilt als einer der größten Schandflecke europäischer Asylpolitik. Trotz der Schließung besteht das Problem weiter. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Petar Rosandić - Kid Pex, Fotos: Ben Owen-Browne, SOS Balkanroute
Wie so oft im Leben: Alles fing mit einem Telefonanruf an. Am anderen Ende war meine gute Freundin, die oberösterreichische Flüchtlingsmutter Brigitte Holzinger aus Kremsmünster. “Du, Pero, ich brauche deine Hilfe. Lass uns gemeinsam nach Bosnien fahren und dort Spenden hinbringen“, sagte Brigitte. „Die Situation dort ist wirklich schlimm.“ Schon einige Tage später traf ich mich mit den ersten SpenderInnen aus Wien, Brigitte sammelte fleißig in Oberösterreich und ihre Freundin Heidi Pohl in Tirol. Eine Woche später holte ich den VW-Bus der solidarischen Wienerin Karin und wir fuhren Richtung Bosnien los.
Böses Erwachen
Was wir damals im September 2019 im Horror-Flüchtlingslager Vučjak – auf Einladung des deutschen Humanitäters Dirk Planert – gesehen haben, begleitet uns eigentlich bis heute: Es sind die hässlichen Bilder, die Bundeskanzler Sebastian Kurz ankündigte, als er sich damit rühmte, die Balkanroute ge-schlossen zu haben. Nur 515 Kilometer von Wien entfernt trafen wir Menschen, die irgendwo im Nirgendwo von Bosnien-Herzegowina ums Überleben kämpften. Oder, wie sie es selbst nannten: „Hier, im Dschungel“, auf dem Grundstück einer ehemaligen Mülldeponie in den Bergen hinter der Stadt Bihać. Ohne Strom, Heizung und Sanitäranlagen, mit beschränktem Zugang zu Wasser, mit nur einer kleinen Mahl-zeit täglich, gelegen neben einem Minenfeld aus dem letzten Bosnienkrieg.
Vučjak wurde nicht nur zum Symbol der Entsorgung und Vertreibung der Flüchtlinge aus der Innenstadt von Bihać in den bosnischen Dschungel, sondern zum größten Schandfleck gegenwärtiger europäischer Asylpolitik. So sehr wir uns auch vorbereitet haben und die damals noch sehr wenigen, aber doch schockierenden Medienberichte gelesen haben: Unsere schlimmsten Erwartungen wurden vor Ort übertroffen. Viele der Geflüchteten waren mitteilungsbedürftig und suchten das Gespräch mit uns. Und ebenso viele hatten Gipshände, Verletzungen und Wunden: Sie alle erzählten von den gewaltsamen Push-Backs der kroatischen Grenzpolizei, die sie im „Game“ abbekommen haben. „Game“, das ist die selbstironische Bezeichnung des Versuchs, die Grenze – von der Polizei unbemerkt – zu übertreten. Für die meisten bedeutet „Game over“ in dem Fall nicht nur Schläge der Polizei zu bekommen, sondern auch, dass einem jegliches Hab und Gut abgenommen wird. Handys werden zerschlagen, die Schuhe werden einem weggenommen.
Die Aktion beginnt: SOS Balkanroute
Auf dem Rückweg nach Wien herrschte damals eine bedrückte Stimmung. Aber es gab auch einen Konsens: „Wir müssen etwas tun“. Sofort nach der Rückkehr in Österreich organisierten wir Sammeltermine, trommelten Leute zusammen und organisierten Räumlichkeiten, in denen wir die Spenden lagern konnten. Es war die Geburtsstunde der Initiative „SOS Balkanroute“, die mittlerweile auf 7 Transporte, 11 LKWs (die zwei gemeinsamen Transporte mit der NGO „We help“ miteingerechnet), 13 Großtransporter und noch mehr PKWs mit Hilfsgütern zurückschauen kann. Ich bemühte mich nach der Rückkehr, alle meine medialen Kontakte, die ich
durch meine Musik oder durch meine
journalistische Aktivität hatte, zu mobilisieren. Die unermüdliche Brigitte Holzinger rief Gott und die Welt an, um von Bosnien zu erzählen. Letztendlich konnten wir doch etwas erreichen: Puls4 kam mit und berichtete, FM4 schickte zweimal einen Journalisten mit, zu einer Zeit, als scheinbar niemand von den Mainstream-Medien so richtig über das Thema berichten wollte. Dabei ist die betroffene Region von der steirischen Grenze nur drei Stunden entfernt.
Widerstand bosnischer Flüchtlingsmütter
Zur Zeit wo ich diesen Bericht schreibe, haben wir bereits unseren siebten Transport hinter uns – zugleich auch unseren schwierigsten: Seitdem Kroatien die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat, wird die Grenze der „Festung Europa“ auch eine Hürde für all jene, die humanitäre Transporte organisieren. Wo uns vorher kein einziger kroatischer Grenzbeamter kontrolliert hat, wird jetzt akribisch hingeschaut: Zwei Packerl Tee werden zu einem Problem gemacht. Letztendlich schaffen wir es auch diesmal, alles über die Grenze zu bringen – wenn auch mit Problemen und Verzögerungen.
So wie die letzten zwei Hilfstransporte ging auch dieser an die bosnischen Flüchtlingsmütter, die – im Unterschied zu EU-Politikern, Staat und gut bezahlten, großen Organisationen –
wahrlich Verantwortung übernommen haben. Im schmutzigen Sumpf des Elends vergessener, geflüchteter Menschen, in dem Politiker, internationale und bosnische Organisationen eher durch gegenseitiges Schuldzuweisen, Verschwenden von Geldern oder Entsorgen der Flüchtlinge auf ehemalige Mülldeponien auffallen, zählen diese Frauen zu den letzten Botinnen der Menschlichkeit. Zemira Gorinjac aus Bihać und Zehida Bihorac aus Velika Kladuša sind die Ute Bocks von Bosnien: Was sie leisten, ist schwer in Worte zu fassen. Trotz eigener Armut und der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Lage in Bosnien-Herzegowina, trotzen bosnische Frauen der dortigen Hetzpropaganda und sind jeden Tag draußen, um zu helfen. Bei Zemira Gorinjac habe ich den Eindruck, sie würde – noch dazu durch ihren Glauben getragen – durch das Feuer gehen. Dazu gehört auch, sich mit lokalen Polizisten anzulegen: „Ich nehme nur meine Jungs in Schutz.“ Diese beeindruckenden Frauen werden auf unsere Einladung Mitte März Österreich besuchen und bei von uns veranstalteten Informationsveranstaltungen über die Lage entlang der Balkanroute sprechen. Die Termine kann man auf SOS Balkanroute auf Facebook sehen. Nach der humanitären Offensive, die all unsere Zeit und Ressourcen in Anspruch genommen hat und im Grunde ein Feuerlöschen bleibt, planen wir nun eine informative Kampagne. Denn, auch uns ist klar, dass das Thema trotz der Nähe von 280 Kilometer Luftlinie zur österreichischen Grenze nicht genügend Beachtung findet.
Renaissance der „Nachbar-in-Not“-Mentalität
So stressig es ist, immer wieder von Null anzufangen (sowohl bei Geld- als auch bei Sachspenden), so mühsam die Grenz- und Polizeikontrollen sind: Ich bin sehr stolz, all die Leute kennengelernt zu haben und auf so viele helfende Hände gestoßen zu sein. Manchmal fühle ich mich auch in meine Kindheit und mein Ankommen in Österreich versetzt, als überall dieser „Nachbar-in-Not“-Spirit zu spüren war. Eines ist mir dabei noch bewusster als vorher geworden: Österreich ist definitiv nicht gleichzusetzen mit seiner Asylpolitik. Noch ist Hopfen und Malz nicht verloren: ob das nun Bernhard Rabitsch aus der Falco-Band ist, der auf seiner Geburtstagsparty Spenden für überlebenswichtige Schlafsäcke sammelt, die Organisation „Fair play“, die in österreichischen Fußballvereinen Sachspenden für uns gesammelt hat – oder auch die Wiener Adriatic Gruppe, die nicht nur die Ethnolebensmittelregale im Billa versorgt, sondern zumindest für die nächsten sechs Monate Nahrung für die wilden Flüchtlingscamps in Bihać und Velika Kladuša zur Verfügung stellt.
Spenden an:
IBAN: AT42 1500 0002 9105 8428
bei Oberbank. BIC: OBKLAT2L
Verwendungszweck: SOS Balkanroute
Kontoinhaber: Flüchtlingshilfe Kremsmünster
Veranstaltungstermine unserer Info-Tour mit den Flüchtlingsmüttern:
"SOS Balkanroute: Wie burtal ist unsere Grenzpolitik?"
13.2.2020 Graz, KPÖ Bildungsverein, 19:00
14.3.2020 Wien, Rosa-Luxemburg-Konferenz, VHS Hietzing, Kursraum 12, 15:00
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