
Staatsbürgerschaft zum Nulltarif
Rechte Politiker wettern gegen „das Verschenken“ von Staatsbürgerschaften. Doch ohne geschenkte Staatsbürgerschaften gibt es kein demokratisches Österreich mehr. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
Die SPÖ hat vor dem Sommer einen Tabubruch begangen. Wer Wahlen gewinnen will, dürfe keinesfalls über Erleichterungen beim Zugang zur Staatsbürgerschaft sprechen, reagierten politische Kommentator*innen auf den sozialdemokratischen Vorstoß für erleichterte Einbürgerungen bei hier geborenen Kindern und langansässigen Menschen.
Dass der politischen Konkurrenz ein taktischer Fehler unterlaufen sei, fand auch Bundeskanzler Sebastian Kurz. Er wandte sich sofort an die Öffentlichkeit und betonte, dass er die Vorschläge der SPÖ strikt ablehne. Kurz sagte, die Staatsbürgerschaft sei „kein Willkommensgeschenk“. Es dürfe sie „nicht zum Nulltarif geben“. Und er sprach davon, dass durch die Reformansätze eine „Entwertung der Staatsbürgerschaft“ drohe.
Kurz erwähnte nicht, dass er selbst die österreichische Staatsbürgerschaft bei seiner Geburt als das von ihm kritisierte „Willkommensgeschenk“ erhalten hatte, zum Nulltarif. Dass er dieses Geschenk im Nachhinein als Fehler sieht, ist nicht anzunehmen. Dennoch findet Kurz, dass andere hier geborene Babys im Gegensatz zu ihm erst beweisen müssten, dass sie wertvoll genug seien, um dazugehören und gleiche Rechte haben zu dürfen.
Diese Beweislast ist nicht nur aufgrund der dahinterstehenden Ungleichwertigkeitsideologie problematisch. Sie ist auch ein Angriff auf die Zukunft unserer Demokratie. Fakt ist nämlich: Ein Großteil der Menschen im Land hat die Staatsbürgerschaft mit der Geburt geschenkt bekommen. Ein Ende dieses Geschenkprinzips hätte weitreichende Folgen. Das Wahlvolk würde ausdünnen und unsere Demokratie ihre legitimierende Basis verlieren. Das politische Rad würde sich in jene vordemokratische Zeit zurückdrehen, als nur eine kleine Gruppe von wohlhabenden Menschen an Wahlen teilnehmen durfte.
Für die Zukunft unserer Demokratie ist es daher unabdingbar, dass Staatsbürgerschaften weiter verschenkt werden, und zwar mehr als bisher. Denn alarmierend ist nicht, dass viele Menschen die Staatsbürgerschaft „zum Nulltarif“ erhalten, sondern dass sie aufgrund der ausgrenzenden Gesetze immer seltener an hier geborene und aufgewachsene Menschen verschenkt wird.
Derzeit kommen hierzulande jedes Jahr 17.000 Kinder zur Welt, die bei ihrer Geburt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Dabei lebt ein Großteil der Eltern dieser Kinder schon viele Jahre in Österreich. Pro Jahr schaffen es nur 3.000 hier geborene Menschen, sich in einem aufwendigen, hürdenreichen und kostspieligen Prozess nachträglich einbürgern zu lassen. Die Lücke an fehlenden Staatsbürgerschaftsvergaben bei Hiergeborenen wächst somit um 14.000 Personen pro Jahr.
Alle namhaften Expert*innen sind sich einig: Eine Staatsbürgerschaftsreform ist dringend notwendig. Die Vorschläge der SPÖ gehen zwar in die richtige Richtung. Sie gehen jedoch noch nicht weit genug, um unsere Demokratie nachhaltig zu sichern. Das zu sagen, sollte nicht länger als Tabubruch gelten.
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