Start der Pass Egal Nationalratswahl - zukünftig bis zu 2,5 Millionen ohne Wahlrecht!
SOS Mitmensch hält gemeinsam mit Kooperationspartner:innen eine „Pass Egal Nationalratswahl“ für Menschen ohne österreichischen Pass ab. Bis 24. September können hier lebende Personen, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen, ihre Stimme in mehr als 60 Wahllokalen abgeben. Auch über 100 Schulen haben sich für eine Pass Egal Wahl angemeldet. Eine Prognoseberechnung von SOS Mitmensch zeigt, dass bei gleichbleibend niedriger Einbürgerungsrate bis 2064 über ein Drittel der österreichischen Bevölkerung vom Wahlrecht ausgeschlossen sein wird.
--> Studie von SOS Mitmensch zur Wahlausschluss-Entwicklung
Pressekonferenz im Büro von SOS Mitmensch zum Start der Pass Egal Nationalratswahl
Buyraç: "Nicht fair und demokratiepolitisch äußerst bedenklich"
„Es ist sowohl nicht fair als auch demokratiepolitisch äußerst bedenklich, mehr als 1,5 Millionen Menschen bewusst zu ignorieren, die hier leben, zum Teil sogar hier geboren sind und unser System miterhalten, aber aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft nicht wählen dürfen. Eine funktionierende Demokratie lebt von Beteiligung, nicht von Ausschluss. Niemand sollte es gutheißen, dass aufgrund der restriktiven Nichteinbürgerungspolitik der Anteil der von Wahlen ausgeschlossenen Menschen immer weiter zunimmt“, erklärt die SOS Mitmensch-Vorsitzende Zeynep Buyraç die Beweggründe für die Abhaltung der „Pass Egal Nationalratswahl“. Buyraç war selbst viele Jahre von Wahlen in Österreich ausgeschlossen.
Zeynep Buyraç durfte selbst viele ihrer Jahre in Österreich nicht wählen
Prognose: Bis zu 2,5 Millionen Menschen ohne Wahlrecht
Laut einer Prognoseberechnung von SOS Mitmensch könnten bis 2064 mehr als ein Drittel der österreichischen Bevölkerung und mehr als die Hälfte der Wienerinnen und Wiener vom Wahlrecht ausgeschlossen sein. Die Anzahl der Menschen ohne Wahlrecht würde auf insgesamt über 2,5 Millionen anwachsen, während zugleich die Anzahl der Wahlberechtigten deutlich schrumpfen würde.
Extrem niedrige Einbürgerungsrate
Hintergrund ist die im europäischen Vergleich sehr niedrige Einbürgerungsrate von 0,67 Prozent. Von 1.000 in Österreich lebenden Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft werden pro Jahr weniger als sieben eingebürgert. Für einen Stopp des Anwachsens des Wahlausschlusses müsste die Einbürgerungsrate dem EU-Durchschnitt von 2,63 Prozent angenähert werden, so die Berechnungen von SOS Mitmensch. Dazu müssten die im internationalen Vergleich sehr restriktiven Einbürgerungsbestimmungen, wie etwa der Nachweis eines Mindesteinkommens selbst für im Land geborene Menschen, gelockert werden, so SOS Mitmensch.
Schubumkehr möglich
Eine echte Schubumkehr in Richtung inklusiver Demokratie würde erst eine Steigerung der Einbürgerungsrate auf die Höhe des österreichischen Durchschnittswertes vor der restriktiven Einbürgerungsreform 2005 bewirken, erklärt die Menschenrechtsorganisation. Dann würde der Anteil der in Österreich von Wahlen ausgeschlossenen Menschen bis 2064 selbst bei einem starken Zuwanderungsszenario auf unter 15 Prozent sinken, so die Prognose von SOS Mitmensch.
Demografin Anne Goujon kommentiert die Wahlausschlussprognose von SOS Mitmensch
Goujon: "Aktuelle Entwicklung wirft Probleme auf"
„In der Prognose von SOS Mitmensch sehen wir, dass viele in Österreich lebende Menschen älter werden, ohne das Wahlrecht zu erhalten. Und wir sehen, dass junge Generationen hinzukommen, mit einem immer geringeren Anteil an Wahlberechtigten. Das ist eine Entwicklung, die Probleme aufwirft“, kommentiert die Demografin Anne Goujon die Prognoseberechnung. Fehlende Repräsentation und Teilhabe würden negative Folgen für die gesellschaftliche Integration haben, erklärt Goujon, die die große Bedeutung von Migration und Migrant:innen für die wirtschaftliche Entwicklung Österreichs hervorstreicht.
Sokolova: "Ignoranz der Politik produziert Schneeball an Ausgrenzung"
Ebru Sokolova gehört zu den mehr als 1,5 Millionen Menschen im Wahlalter, die bei der Nationalratswahl nicht wählen dürfen. Sokolova ist in Österreich geboren und aufgewachsen, aber hat nie die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Sie findet, „dass uns das Wachstum an nicht wahlberechtigten, aber hier geborenen und aufgewachsenen Menschen in Alarmbereitschaft versetzen sollte, denn ein großer Teil hat somit keine Interessensvertretung in der Politik“. Und Sokolova kritisiert, dass „uns die Ignoranz von Seiten der Politik einen riesengroßen Schneeball an Ausgrenzung beschert, der immer weiterwächst, und mit voller Wucht auf unsere Gesellschaft zurückschlagen wird“.
Die in Österreich geborene Ebru Sokolova bei der Stimmabgabe für die Pass Egal Nationalratswahl 2024
Zugang zur Staatsbürgerschaft fairer gestalten
SOS Mitmensch fordert ein Ende der strikten Koppelung des Wahlrechts an die Staatsbürgerschaft. Stattdessen solle der langjährige Lebensmittelpunkt ausschlaggebend für demokratische Mitbestimmung sein. Darüber hinaus appelliert SOS Mitmensch an die Politik, die Einbürgerungsrate deutlich zu erhöhen, indem der Zugang zur Staatsbürgerschaft fairer gestaltet wird, unter anderem durch eine automatischen Staatsbürgerschaftsvergabe an in Österreich geborene Kinder, deren Eltern schon Jahre hier leben.
"Pass Egal Wahl" ist Aktion der gelebten Demokratie!
Die Pass Egal Nationalratswahl sieht SOS Mitmensch als „Aktion der gelebten Demokratie“. Österreichweit öffnen ab heute Wahllokale, in denen Menschen ohne österreichischen Pass ihre Stimme für die bei der Nationalratswahl bundesweit kandierenden Parteien abgeben können. Auch Solidaritätsstimmen von Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft sind möglich. Der Wahlausschluss wird auch an 100 Schulen in ganz Österreich durch die Veranstaltung von Pass Egal Wahlen thematisiert. Am 24. September veranstaltet SOS Mitmensch zum Abschluss der Wahl ein Demokratiefest am Wiener Yppenplatz.
Infos zu allen Wahlmöglichkeiten im Rahmen der Pass Egal Wahl unter www.passegalwahl.at
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