Handlungsbedarf: Teures Schrumpfen
Die Regierung will, dass weniger Steuern bezahlt werden und feiert das als „Entlastung“. Doch das schrumpfende Gemeinwesen kommt vielen Menschen teuer zu stehen. Kommentar von Alexander Pollak, Illustration: Petja Dimitrova.
„Wir wollen die Abgabenquote senken.“ „Wir sparen beim System, nicht bei den Menschen.“ „Wir wollen einen schlanken Staat.“ An griffigen Slogans mangelt es der Regierung nicht, um ihre Steuerpolitik zu rechtfertigen. Doch für jeden dieser Slogans muss jemand teuer bezahlen.
Eine Senkung der Abgabenquote bedeutet, dass der Staat weniger einnimmt und unser Gemeinwesen schrumpft. Es stehen damit weniger Mittel zur Verfügung, um Gesundheit, Bildung, Pensionen, Sozialausgaben, öffentlichen Verkehr oder rechtsstaatliche Einrichtungen finanzieren zu können. Aus dem von der Regierung gelobten „schlanken Staat“ wird dann sehr rasch ein schrumpfender Staat, der sich aus immer mehr Bereichen des Gemeinwesens zurückzieht.
So hat die Regierung beispielsweise beschlossen, sich aus Teilen der aktiven Arbeitsmarktpolitik und der überbetrieblichen Lehrlingsförderung zurückzuziehen. Sie verringert darüber hinaus das Personal in der Justiz. Sie „verschlankt“ die Frauenförderung.
Sie kürzt bei der Kinderbetreuung und bremst den Ausbau von Ganztagesschulen. Infrastrukturprojekte werden auf Eis gelegt. Die Regierung stellt Integrationsprogramme ein, fährt die Schulsozialarbeit zurück, streicht Ausbildungsgarantien und so fort.
Zur amorphen Systemmasse erklärt
Das schrumpfende Gemeinwesen trifft nach und nach einen sehr großen Teil der Bevölkerung, aber unmittelbar und sofort trifft es die Menschen, die auf direkte staatliche Unterstützung angewiesen sind, um ihren Alltag menschenwürdig bewältigen zu können. Diejenigen, die am wenigsten haben, müssen für die groß gefeierte „Entlastung“ am teuersten bezahlen. Diese unmittelbar betroffenen Frauen, Männer und Kinder will die Regierung unsichtbar machen. Dafür soll der Slogan sorgen, der davon spricht, dass „wir beim System sparen, nicht bei den Menschen“. Den Betroffenen von staatlichen Transfer-Schrumpfungsmaßnahmen, wie etwa der Kürzung der Mindestsicherung oder der Abschaffung der Notstandshilfe, wird de facto das Menschsein abgesprochen – sie werden zu einer amorphen Systemmasse erklärt, von der man ruhig ein paar Stücke wegschneiden kann.
Ganz besondere Nichtmenschen sind in der Rhetorik der Bundesregierung Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Diesen wird das Stigma angehängt, nicht nur „Systemelemente“ zu sein, sondern noch dazu einem „fremden System“ anzugehören und eigentlich nichts in Österreich verloren zu haben.
Wer nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, wird sprachlich exterritorialisiert, auch dann, wenn er oder sie schon längst integraler Bestandteil Österreichs ist. Fast 1,5 Millionen Menschen sind von dieser Ausgrenzungsrhetorik betroffen. Von der Größenordnung entspricht das dem Bevölkerungsteil der Bundesländer Vor-arlberg, Tirol und Burgenland, um den die Regierung das Land sprachlich schrumpfen lässt.
Abgaben und Steuern mögen als lästig empfunden werden, doch in ihrer Gesamtheit sind sie keine Last, sondern ein Segen. Auch wenn hier lebende Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft – ebenso wie Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft – den Staat vor schwierige Aufgaben stellen können, so sind sie doch ein wichtiger Teil der Bevölkerung. Ohne sie ist das Gemeinwesen in Österreich undenkbar.
Sowohl der Abgabensegen als auch die Menschen, die hier unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft leben, machen Österreich zu einem der lebenswertesten Länder dieser Erde. Wir sollten uns das weder rhetorisch noch faktisch wegschrumpfen lassen.
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