Tribunal gegen Österreich
Im Juni wird das „Asyl Tribunal“ symbolisch Klage gegen die Republik Österreich erheben. Fünf Tage lang wird das Theaterkollektiv Hybrid einen öffentlichen Gerichtsprozess über die Asylpolitik Österreichs führen. Der Performancekünstler und Regisseur Alireza Daryanavard im Gespräch. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Gunna Landsgesell
Aufführung von Tschernobyl. Eine Chronik der Zukunft. Nach Svetlana Alexijewitsch; Inszenierung & Textfassung: Alireza Daryanavard
Sie wollen die Republik Österreich vor ein Tribunal stellen. Warum das?
Das Tribunal wird darüber abgehalten, wie konsequent der Schutz geflüchteter Menschen in Österreich tatsächlich gegeben ist. Seit Schwarz-Blau im Jahr 2017 steht die Asylpolitik immer stärker unter Kritik, in der Asylpolitik läuft einiges nicht so, wie es sein sollte. Das hat sich mit der aktuellen Regierung mit Grünen-Beteiligung leider auch nicht geändert. Deshalb wollen wir das in einem theatralen Gerichtsprozess aufrollen. Ich habe als Künstler, auch weil ich persönlich einen Bezug zum Thema habe, irgendwann beschlossen, das zu bearbeiten. Ich glaube, dieses Thema braucht eine radikale Form, deshalb soll das in Form eines Tribunals stattfinden. Das letzte öffentliche Tribunal, welches viel Aufmerksamkeit bekommen hat, war, soweit ich weiß, 1995, als es um die Missachtung der Rechte der „LGBTQIA+“-Community ging.
Sie sind seit 2014 in Österreich, wie haben Sie den Kurs in der Asylpolitik seit Schwarz-Blau erlebt?
Erstens wurden die Abschiebungen wesentlich mehr, dann hat sich das Bild von Schutzsuchenden massiv verändert, weil diese ja als „Problem des Landes“ oft medial direkt und indirekt genannt werden. Die finanzielle Unterstützung der unabhängigen Rechts-Initiativen wurde zum Teil komplett gestrichen. Die illegalen Pushbacks an den österreichischen Außengrenzen wurden viel mehr, die Grenzen sind zu und ganz aktuell sehen wir einen systematisch rassistischen Umgang mit bestimmten Schutzsuchenden, der menschenverachtend ist.
Aber ein Problem ist auch, dass viele in der Gesellschaft gar nicht wissen und gar nicht mitbekommen, was Schutzsuchenden hier in Österreich widerfährt, das ist nicht alles rechtens, nicht alles legal. Als ich selbst im Asylverfahren war, wusste ich über meine Rechte auch nicht Bescheid. Warum ich etwa ein Jahr lang auf Behördenentscheidungen wartete. Es geht also in erster Linie auch darum, Informationen zu liefern, aufzuklären über die Ursachen dieser Probleme und illegale Praxen aufzuzeigen. Deshalb arbeiten wir auch mit Gesetzestexten. Mit unserer Aktion wollen wir mit Unterstützung anderer NGOs und Initiativen die Republik Österreich zu einer fairen Asylpolitik auffordern. Das ist unsere idealistische Hoffnung und das Ziel.
Wo genau fordern Sie faire Verhältnisse beim Asylverfahren ein?
Konkret kann ich sagen: bei der Missachtung der Rechte von Schutzsuchenden mit rechtswidrigen Abschiebungen, bei Verletzungen des Kindeswohls, bei Erschwerungen in der Familienzusammenführung, bei illegalen Pushbacks an den Außengrenzen, bei rassistischen Aufnahmebedingungen und Diskriminierung gegenüber BPoC-Personen aus der Ukraine. Darüber hinaus gibt es keine einzige legale und sichere Möglichkeit, aus Krisengebieten nach Österreich zu gelangen, weil Österreich nicht an den Resettlement- Programmen teilnimmt.
Dazu kommt der Leistungsdruck, der von der Politik an viele Schutzsuchende herangetragen wird. Sie müssen sich gut integrieren, sollen schnell Deutsch lernen, müssen sich Sprachkurse selbst finanzieren, obwohl sie nicht arbeiten dürfen, sollen etwas für diese Gesellschaft leisten, obwohl sie nicht arbeiten dürfen.
Im Juni soll am Wiener Judenplatz Tribunal über die Republik Österreich gehalten werden. Eine fünftägige theatrale Intervention gegen die politische Praxis des Landes.
Wer werden die Ankläger*innen beim Asyl Tribunal sein und wer verteidigt die Republik?
Das ist ein symbolisches Tribunal, das auf Texten basiert, die zum großen Teil vom Asylrechtler Ronald Frühwirth und der Dramaturgin und Aktivistin Mahsa Ghafari verfasst wurden. Wenn es heißt, ‚Wir klagen an’, dann haben wir bewusst nicht festlegt, wer dieses ‚Wir’ ist. Es ist offen, ob wir von einem Künstler*innenkollektiv sprechen, von couragierten Menschen oder der Zivilgesellschaft. Bei den Vorbereitungen mit verschiedenen Initiativen war es für mich jedenfalls ein schönes Gefühl, dass auch sie diese Klage mittragen.
Wie wird diese Aktion stattfinden, als klassische Form des Theaters mit Bühne und Publikumsraum?
Es wird eine simple Bühne geben, und das Stück ist ohne Eintritt zugänglich. Die Aktion ist für fünf Tage geplant, jeden Tag wird ein eigenes Thema behandelt. Wir haben damit fünf verschiedene Stücke, aber schön wäre, wenn möglichst viele Leute an allen fünf Abenden kommen und nicht wie üblich im Theater, an einem Abend. Es wird neun Protagonistinnen geben, alle Akteurinnen auf der Bühne sind Frauen: fünf Richterinnen, zwei Rechtsanwältinnen von der Kommission und zwei Rechtsanwältinnen für die Republik. Dazu kommen einige Zeuginnen, wie eine Frau aus Bosnien, Zamira, die extra nach Wien anreist, um vor Gericht über ihre Erlebnisse auszusagen: zum Beispiel über die illegalen Pushbacks an den Außengrenzen, was in Wien ignoriert wird.
Welches Ziel verfolgt das Tribunal? Sollen Verhältnisse sichtbar gemacht werden, von denen viele Menschen gar nicht so richtig wissen? Etwa, dass es in Österreich jeden Tag durchschnittlich zu zehn Abschiebungen kommt, wo Menschen oft nach Jahren aus ihrem Leben in Österreich herausgerissen werden. Oder soll vor allem Druck auf die Politik ausgeübt werden, den eigenen Kurs zu hinterfragen?
Wir wollen auf jeden Fall den Menschen bewusst machen, was da in Österreich menschenverachtendes läuft. Unsere Partner*innen von den Initiativen sind schon seit so vielen Jahren mit diesem Thema beschäftigt, die kennen diese Fakten natürlich selbst. Aber unsere Hoffnung ist, dass wir mit dieser symbolischen Aktion auch einen Fortschritt für die aktivistische Arbeit schaffen können, in einem anderen Rahmen, mit einem Theaterrahmen. So dass wir auch mit anderen Ressourcen arbeiten können, und dass die Beteiligten auch bezahlt werden. Im Aktivismus passiert das ja nicht oft, viele arbeiten freiwillig. Damit wollen wir auch ein anderes Bild dieser aktivistischen Arbeit darstellen um, genau wie Sie formuliert haben, die Politik und Gesetzgeber*innen zu zwingen sich an die Menschwürde und die Rechte von Schutzsuchenden halten und endlich eine faire und menschliche Politik gegenüber Menschen, die Schutz suchen, schaffen.
Würden Sie sagen, Kunst ist das letzte Mittel, wenn andere Instanzen versagen, um aufzurütteln?
Ja schon, wobei Kunst klingt sehr allgemein. Aber ich glaube schon, dass das die Aufgabe des Theaters ist. Wobei ich der Meinung bin, dass es die Aufgabe des Theaters ist, schon viel früher anzufangen und nicht erst als letzte Hoffnung. Es geht ja immer auch darum, die Gesellschaft zu spiegeln. Das ist für mich Theater. Wo man die Ideen von der Straße, von den Leuten holt und Themen anspricht, die gesellschaftlich nicht vorkommen. Und zwar von vielen Betroffenen, die nicht gehört werden und auch keinen Zugang zur ‚Hochkultur’ wie dem klassischen Theater haben. Wir wollen barrierefrei sein, diese Form von Theater muss auch für genau jene zugänglich sein, die sonst nicht adressiert werden.
Das Theater nicht als musealisierte Abspielstätte, sondern als lebendige Institution – haben Sie bisher schon ähnliche Projekte gemacht?
Ja, wir haben als Theaterkollektiv Hybrid schon in dieser Richtung gearbeitet. 2018 gab es mein Stück, das Staatenlosigkeit und Fluchtursachen thematisierte, da haben wir auch an eintrittsfreien Orten gespielt. Ein Jahr später habe ich das Stück auf Video in Gebärdensprache übersetzt, damit es für schwerhörige oder gehörlose Menschen auch zugänglich ist. In einem anderen Stück haben wir den Massenmord Ende der Siebziger Jahre im Iran thematisiert, so dass dies zusätzlich auch viele Betroffene Zeitzeug*innen der iranischen Community hier in Wien sehen konnten. Für nächstes Jahr plane ich ein Projekt über die Belagerung von Sarajevo und als zweiten Teil über den Massenmord in Srebrenica. Das sind die Themen, die uns wichtig sind und die vielen Menschen in unserer Gesellschaft die Möglichkeit geben, sich gesehen zu fühlen bzw. ihre Geschichten zu hören, die sonst kaum im Theater erzählt werden.
Wir wollen barrierefrei sein, diese Form von Theater muss auch zugänglich für jene sein, die sonst nicht adressiert werden.
Das klingt nach durchwegs schwierigen Inhalten. Gibt es in Wien oder in Österreich überhaupt Förderungen und Räume, um solche Geschichten zu transportieren?
Also das Interesse ist groß, alle Stücke, die ich erwähnt habe, wurden bereits gefördert. Das heißt, die Notwendigkeit für solche Inhalte wird wahrgenommen. Aber ob es genügend Räume gibt, da bin ich nicht sicher. Da gibt es eine große Differenz, etwa zwischen der Arbeit der Stadttheater dieses Landes und der pluralen Gesellschaft mit all ihren Themen. Es gibt immer wieder Ausnahmeprojekte, aber im Grunde gibt es einen ziemlichen Abstand zwischen der breiten Gesellschaft und dem intellektuellen, heiligen Theaterbetrieb (lacht). Das hat viele Ursachen bereits in den exklusiven Bildungsstrukturen von Theaterschulen. Da sind die wenigsten bereit, die Türen zu öffnen. Man sieht die Notwendigkeit nicht. Also kurz gesagt, es gibt nicht genügend Räume und die Räume die es gibt, haben entweder keine oder kaum Ressourcen.
Haben Sie im Burgtheater angefragt? Dort hat schon Klaus Peymann als Direktor des Hauses mit Stücken von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek eine kritische Bilanz über Österreich gezogen.
Es müsste eigentlich im Burgtheater stattfinden (lacht), oder im Volkstheater. Die Stärke von unserem Stück liegt ja gerade darin, dass es von Betroffenen entwickelt wurde. Ich war ja selbst im Asylverfahren, in dieser Situation, wir wissen, worüber wir sprechen. Jemand, der nicht betroffen ist, tut sich sicher schwer, über dieses Thema zu arbeiten.
Sie selbst sind als Geflüchteter nach Österreich gekommen, waren lange staatenlos. Was bedeutet das konkret?
Ich hatte als Geflüchteter einen Konventionspass. Man ist damit staatenlos. Das bedeutet konkret: Man kriegt keine Kreditkarte und auch die E-Card gilt nicht in der Europäischen Union. Wenn man verreisen will, muss man die Botschaft fragen, ob man ein Visum kriegt – oder nicht. Ein- und Ausreisen sind immer schwierig. Ich bin oft gereist, nach Jordanien oder Shanghai, und überall ist das problematisch. Wenn man nach Österreich zurückkommt, muss man 10 bis 15 Fragen beantworten: wieviel Geld man hat, was man beruflich macht und wer die Reise finanziert hat. Man wird sogar öfters gefragt, was der Konventionspass ist. Das muss man den Leuten dann erklären.
ZUR PERSON
Alireza Daryanavard wurde im Iran geboren und kam 2014 als Staatenloser nach Österreich. Er arbeitet als Schauspieler, Musiker und Regisseur, u.a. mit Engagements im Volkstheater (Wiener Festwochen), im WerkX am Petersplatz, im Dschungel Wien und im Theater Akzent. Studium an der Akademie der Bildenden Künste. 2018/19 spielte er das Solostück „Ein Staatenloser“ u.a. an den Münchner Kammerspielen. 2020 wurde er als Autor und Regisseur von „Blutiger Sommer“ für den Nestroy-Theaterpreis nominiert. Seit 2022 ist Daryanavard Mitglied im Beirat für darstellende Kunst des Kulturministeriums.
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