Trotz Arbeit: Leben am Minimum
Obwohl Mohammad, gelernter Apotheker aus Syrien, Arbeit in Österreich gefunden hat, reicht das Geld der vierköpfigen Familie nur, weil es durch die Mindestsicherung aufgestockt wird. Die Regierungspläne sehen indes weitere Kürzungen für Geflüchtete vor. Text und Fotos: Marina Wetzlmaier
Als ich Mohammad und seine Familie vor zwei Jahren kennenlernte, hatten sie noch Hoffnung. Hoffnung, dass der Krieg in Syrien ein baldiges Ende nehmen würde. Hoffnung, dass sie zurückkehren könnten, in das Land, in dem sie alles verloren hatten. Mohammad arbeitete in seiner Heimatstadt als Apotheker, ein Beruf der ihm weite Befugnisse einräumte. „Anders als hier darf man in Syrien als Apotheker auch Spritzen geben“, sagt er schmunzelnd. Seine Frau Reeham ist Krankenschwester. Von ihrer derzeitigen Wohnung aus erblicken sie das Klinikum in Wels. Ein möglicher zukünftiger Arbeitsplatz? Noch ist die Familie nicht angekommen in dieser Stadt, zumindest nicht in ihren Gedanken. Sie sind zwar in Sicherheit vor dem Krieg, doch ihre Zukunft ist in Österreich noch lange nicht gesichert. Dabei haben sie Glück. Mohammad hat rasch Arbeit gefunden, wenn auch nur mit bescheidenem Einkommen. Wie viele Neuankömmlinge mit guter Ausbildung arbeitet er unter seinen Qualifikationen. Nur mittels Aufstockung durch die Mindestsicherung reicht das Geld um die vierköpfige Familie zu versorgen.
Von Null beginnen
Mohammads Geschichte steht repräsentativ für den Hürdenlauf, den viele Flüchtlinge in Österreich durchleben: Die erste Hürde ist der Asylbescheid; ob er positiv oder negativ ausfällt, erfahren die Betroffenen oft erst nach Monaten, wenn nicht Jahren. Ist der Bescheid schließlich positiv, warten bereits die nächsten Sorgen: eine leistbare Wohnung zu finden, einen Job, möglicherweise eine Ausbildung. Schlicht gesagt, geht es darum, bei null zu beginnen, um sich und der Familie ein menschenwürdiges Leben aufzubauen. Eine finanzielle, staatliche Grundsicherung ist eine Voraussetzung, um den Menschen den Start in dieses neue Leben zu erleichtern. Statt diese Menschen weiter zu unterstützen, rühmt sich die Bundesregierung jedoch damit, die Mindestsicherung für Flüchtlinge zu kürzen. Im Herbst soll eine bundesweit einheitliche „Mindestsicherung neu“ im Parlament beschlossen werden. Bisher war die Mindestsicherung Ländersache. Inspirieren ließ sich die Regierung in ihren Verschärfungen von Oberösterreich, wo Asylberechtigte mit befristetem Aufenthaltsrecht und subsidiär Schutzberechtigte seit der Gesetzesnovelle von 2016 mit maximal 560 Euro monatlich auskommen müssen. Für Familien ist die Mindestsicherung mit 1.512 Euro gedeckelt. Mohammad, Reeham und die beiden Kinder (ein und drei Jahre alt) leben mit einem Betrag, der knapp darunterliegt.
Die Wohnung der Familie befindet sich im obersten Stockwerk eines Wohnblocks, in einer Gegend von Wels, die als sozialer „Hotspot“ verrufen ist. Vor dem Haus neben dem Parkplatz sitzt eine Gruppe von Menschen auf Klappstühlen, offensichtlich bereits angeheitert, Bierdosen stehen auf dem Tisch. Auf dem Asphalt liegen Kinderfahrräder, umgeben von Zigarettenstummeln. Ein Einkaufswagen steht wie verloren vor der Eingangstür. So verwahrlost die Gegend rund um das Wohnhaus wirkt, so zeigt sich auch das Innere. Im Stiegenhaus ist es eng, Lift gibt es keinen. Musik und Fernsehlärm dringen hinter den Wohnungstüren hervor. Eine der Türen steht sogar offen und gibt modrigen Geruch frei. „Die Menschen hier trinken viel, aber sie sind freundlich“, sagt Mohammad über seine Nachbarn. Nur mit einem habe er Probleme. Einem alleinstehenden Mann, der ihnen immer wieder zuruft, doch nach Syrien zurückzugehen.
Gesetzesverschärfung
Die vierköpfige Familie lebt auf 37 Quadratmetern, bestehend aus einer Wohnküche, einem Schlafzimmer und einem kleinen Badezimmer. Miete: rund 320 Euro. Dazu kommen noch Strom- und andere Fixkosten für die Wohnung.
Der junge Familienvater war vor vier Jahren nach Österreich gekommen. Eher durch Zufall, wie viele Flüchtlinge, deren Ziel einfach nur Europa war. Die erste Überfahrt mit dem Boot von der Türkei nach Griechenland scheiterte. Auch beim zweiten Versuch kenterte das Boot, allerdings konnte die griechische Küstenwache die um ihr Leben kämpfenden Menschen aus dem Wasser retten und auf europäisches Festland bringen. Mohammad kann nicht schwimmen. Er war alleine unterwegs. Seine damals schwangere Frau harrte derweil in einem Flüchtlingslager in Jordanien aus. In einem Kleintransporter ging die Fahrt weiter Richtung Norden, bis der Fahrer Mohammad auf einer Autobahn aussetzte.
Nachdem er in Österreich einen positiven Asylbescheid erhalten hatte, bezog er die Wohnung und beantragte Mindestsicherung. Damals, vor der Gesetzesverschärfung, waren das knapp 900 Euro. Ein Jahr später kam seine Frau mit der kleinen Tochter mittels Familienzusammenführung nach. Da Reeham zunächst noch Geld aus der Grundversorgung für Asylwerbende erhielt, wurde die Mindestsicherung auf 600 Euro gekürzt. Somit hatten sie zu dritt genauso viel Geld zur Verfügung wie Mohammad zuvor als Einzelperson.
Im Februar 2016 fand er schließlich einen Teilzeitjob. Doch sein Einkommen deckt gerade einmal die Wohnungskosten ab und reicht kaum, um die Familie zu versorgen. Für die Kinder bekommt Reeham mittlerweile Familienbeihilfe und Kindergeld, der Rest, etwa 270 Euro, wird durch die bedarfsorientierte Mindestsicherung aufgestockt. Somit kommen sie auf ein Einkommen, das knapp unter dem Deckel von 1.500 Euro liegt – ein Maximalbetrag, der für alle Familien gilt, egal ob man ein Kind hat oder mehrere. Das heißt: Würden Mohammad und Reeham ein drittes Kind bekommen, müssten sie mit demselben Betrag auskommen wie jetzt. Das heißt auch: Würden sie in eine größere Wohnung ziehen und dadurch höhere Mietkosten haben, müssten sie an anderer Stelle sparen. Mohammad und Reeham sind bescheidene Menschen und führen auch ein bescheidenes, unauffälliges Leben.
Möbel über Spenden
Neben den Wohnungskosten gibt die Familie das meiste Geld für den grundlegenden Bedarf aus, wie Lebensmittel, Hygieneartikel, Kleidung und Windeln für die Kinder. Obwohl sie sparsam sind, bleibt am Ende kaum etwas übrig. Unvorhersehbare, größere Ausgaben wären für sie unbezahlbar. Ihre Möbel erhielten sie entweder über Spenden oder Second-Hand-Börsen. Auch in der Freizeit sind ihre Ausgaben auf ein Minimum beschränkt. Meistens gehen sie nur in den Park oder zum Spielplatz. Manchmal besuchen sie Freunde außerhalb der Stadt, die sie mit dem Zug erreichen. Auto besitzen sie keines, auch keinen Führerschein. Hätten sie ein Auto, wäre fraglich, ob sie überhaupt Mindestsicherung bekämen, da Vermögen grundsätzlich verwertet werden muss, um Anspruch zu haben. Dazu zählt auch das Auto, sofern es nicht beruflich gebraucht wird oder man zu abgeschieden wohnt, um das öffentliche Verkehrsnetz zu nutzen. Innerhalb der Stadt fahren Mohammad und Reeham mit dem Fahrrad oder mit dem Bus. Auch wenn sie jetzt noch über die Runden kommen, mit dem Alter der Kinder steigen auch die Ausgaben. Bald besucht die Tochter den Kindergarten, und obwohl dieser vormittags grundsätzlich gratis ist, müssen dennoch Materialbeiträge geleistet und Ausflüge bezahlt werden.
Anspruch auf Wohnbeihilfe hat die Familie noch nicht, denn dazu müssen Nicht-EWR-BürgerInnen in Oberösterreich seit der Gesetzesverschärfung von November 2017 mindestens fünf Jahre rechtmäßig in Österreich gelebt und davon mindestens 54 Monate gearbeitet haben. Abgesehen davon müssen Deutschkenntnisse nachgewiesen werden, um Wohnbeihilfe zu erhalten.
„Integrationsbonus“ geschafft
Zumindest Deutschkenntnisse kann Mohammad bereits jetzt vorweisen. Er hat früh Kurse besucht und die Prüfung auf Niveau B1 abgelegt. Das entspricht etwa dem Deutschniveau nach dem Pflichtschulabschluss. Mittlerweile lernt er für die nächste Stufe, die B2-Prüfung, um sein Diplom anerkennen zu lassen. Auch den verpflichtenden Wertekurs für Asylberechtigte hat er absolviert – eine der Voraussetzungen, um in Oberösterreich die volle Mindestsicherung zu beziehen. Denn in den 560 Euro Mindestsicherung für Einzelpersonen ist bereits ein sogenannter „Steigerungsbetrag“ von 155 Euro enthalten, eine Art „Integrationsbonus“. Anspruch darauf haben nur jene Personen, die Deutsch- und Wertekurse besuchen und „arbeitswillig“ sind. Festgelegt sind die Voraussetzungen in einer „Integrationserklärung” mittels derer Asylberechtigte zu „Integrationsbemühungen” verpflichtet werden. Bei Verstößen gegen diese Vereinbarung wird die Mindestsicherung um den Steigerungsbetrag gekürzt. Hätte Mohammad keine Kurse absolviert, müsste seine Familie mit weniger Geld auskommen.
Neue Höchstgrenze
Die Regierungspläne sehen ähnliche Voraussetzungen für die volle Mindestsicherung vor. Zukünftig soll es bundesweit eine Höchstgrenze von 863 Euro für Einzelpersonen geben. Der ursprüngliche Plan einer Deckelung von 1.500 Euro für Familien wurde fallen gelassen, nachdem der Verfassungsgerichtshof genau dieses Modell in Niederösterreich gekippt hat. Die oberösterreichische Deckelung soll nun ebenfalls vom VfGH geprüft werden, an den das Landesverwaltungsgericht einen Antrag gestellt hat. Laut Regierungsplänen haben Familien mit mehreren Kindern dennoch Nachteile. Denn der Betrag pro Kopf verringert sich mit steigender Anzahl der Personen, die in einem Haushalt leben. So soll eine Familie für das erste Kind 25 Prozent des Richtsatzes erhalten, für das zweite 15 Prozent, für das dritte gar nur 5 Prozent.
Ähnlich wie in Oberösterreich sollen BezieherInnen der Mindestsicherung zunächst nur einen Basissatz bekommen, das wären 563 Euro. Um den Höchstbetrag von 863 Euro zu erhalten, hat die Regierung einige Hürden vorgesehen, getarnt unter dem Begriff „Arbeitsqualifizierungsbonus“. Den können nur Personen beanspruchen, die einen Pflichtschulabschluss in Österreich vorweisen oder Deutschkenntnisse auf Niveau B1. Drittstaatsangehörige und EU-BürgerInnen müssen ohnehin zunächst fünf Jahre warten bis sie Anspruch haben. Außerdem müssen sie eine „Integrationsvereinbarung“ unterschreiben und Wertekurse besuchen. Der Höchstbetrag von 863 Euro Mindestsicherung ist für die Länder zudem nur ein Richtwert, er darf zwar nicht überschritten werden, dafür bleibt die Grenze nach unten offen.
Das heißt die Länder dürfen weniger Mindestsicherung ausbezahlen, wenn z.B. die Wohnkosten niedrig sind oder Teile der Vergütung in Form von Sachleistungen erfolgen.
Legt man das Rechenmodell der geplanten Mindestsicherung auf die Situation von Mohammads Familie um, ergibt sich ein Betrag von 1.553 Euro monatlich, also kaum mehr als die oberösterreichische Höchstgrenze. Vorausgesetzt die Familie erfüllt alle Kriterien. Eine Familie, bei der die Eltern keinen Pflichtschulabschluss haben oder nicht die geforderten B1-Deutschkenntnisse nachweisen können, würde nach dem geplanten Regierungsmodell nur noch 953 Euro monatlich erhalten. Für Mohammad und Reeham wird es noch lange dauern bis sie das Leben führen können, das sie ihren Kindern bieten möchten. Bis beide ihre Berufe in Österreich ausführen dürfen, müssen sie ihre Ausbildungen anerkennen lassen und Zusatzprüfungen ablegen. Ein Prozess, der Zeit braucht.
Marina Wetzlmaier lebt in Wels und schreibt als freie Journalistin über gesellschaftskritische Themen, Integration und Soziales.
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