Umhacken
Der repressive Stil neuer Sondereinheiten verschlechtert offenbar auch die polizeiliche Alltagskultur auf den Inspektionen.
Kolumne: Philipp Sonderegger beobachtet die Staatsgewalt.
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In Polizeikreisen kursiert folgende Geschichte: Wenn ein junger Beamter den Dienst auf einer Polizeiinspektion antritt, wird er von einer älteren Kollegin zur Seite genommen. Sie nimmt ihn an der Schulter, blickt ihm in die Augen und sagt: „Und jetzt vergisst du alles, was du auf der Polizeischule gelernt hast – hier lernst du, wie die Arbeit wirklich funktioniert.“ Die Anekdote soll den Unterschied zwischen der offiziellen Polizeikultur der Leitbilder und der polizeilichen Alltagskultur, der „Copculture“, illustrieren.
Unlängst erzählte eine Polizistin die Geschichte anders. Ein Postenkommandant nimmt eine junge Polizistin zur Seite und sagt: „Vergiss alles, was du in der Bereitschaftseinheit gelernt hast, jetzt zeigen wir dir, wie Polizeiarbeit wirklich geht.“ Seit 2021 werden in den Bundesländern mit den Bereitschaftseinheiten und den Schnellen Interventionsgruppen (SIG) zwei neue Sondereinheiten eingeführt.
In den Bereitschaftseinheiten versehen junge Polizist:innen mehrere Monate überregionalen Dienst an polizeilichen „Brennpunkten“. Im Einsatzoverall patrouillieren die Sechsergruppen an Bahnhöfen, um Suchtkranke und Obdachlose fernzuhalten. Die Gruppen werden von relativ erfahrenen Kommandant:innen angeführt, aber der soziale Kontakt konzentriert sich auf anstrengendes Klientel und gleichaltrige Kolleg:innen, die diese Erfahrung teilen.
Die SIG sind noch robuster. Nach dem Vorbild der Wiener WEGA sollen sie eine Lücke zwischen Streifendienst und der Anti-Terroreinheit Cobra füllen, so das Innenministerium. Diese Lücke dürfte nicht überall allzu groß sein. Ein Offizier aus einer ländlichen Polizeiinspektion beklagt, die Spezialtruppe würde zu gewöhnlichen Amtshandlungen geschickt, damit sie nicht herumstehen: „Dort stehen sie dann mit zwei Ersatzmagazinen am Brustgurt und befragen den Melder einer Lärmstörung. Man kann schon froh sein, wenn die Amtshandlung ohne Umhacken endet.“ Gemeint ist das zu Fall Bringen und Festhalten einer Person am Boden.
Offenbar führt die Einführung dieser Sondereinheiten dazu, dass ihr repressiver Stil auch auf den Polizeiinspektionen Fuß fasst und damit die Arbeit der Polizei insgesamt verschlechtert.
Philipp Sonderegger ist Menschenrechtler, lebt in Wien und bloggt auf phsblog.at.
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