
„Und, wann geht ihr wieder zurück?“
Der Machtwechsel in Syrien bewegt Exilgemeinschaften weltweit. Auch in Österreich herrscht keine Ruhe – im Gegenteil. Was wird aus den Leben, die Geflüchtete hier aufgebaut haben?
Text: Naz Küçüktekin.
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„Ich habe nicht geschlafen“, erinnert sich Banan Sakbani an die Nacht vom 6. auf den 7. Dezember. „Niemand von uns hat es“, fügt sie noch hinzu. In diesen Stunden geschah das, was viele Syrer:innen kaum noch für möglich gehalten hatten: Das Assad-Regime, das Syrien über fünf Jahrzehnte hinweg mit eiserner Hand regierte, fiel. Rebellengruppen stürzten den Diktator von der Macht. Die Familie Assad – zuerst Hafiz, später sein Sohn Bashar – hatte das Land seit 1971 beherrscht. Unter Bashars Herrschaft brach 2011 ein brutaler Bürgerkrieg aus, der Millionen Menschen zur Flucht zwang.
In Österreich leben derzeit rund 95.000 von ihnen. Seit 2015 haben 86.905 Menschen aus Syrien eine positive Asylentscheidung erhalten, weitere 17.421 wurden mit subsidiärem Schutz anerkannt. Auch Sakbani und ihre Familie flohen und fanden in Österreich Schutz. Seit sieben Jahren lebt die 22-Jährige mit dem Status eines anerkannten Flüchtlings in Wien, studiert Jus, und arbeitet nebenbei in einer Kanzlei.
Syrer:innen feierten Anfang Dezember 2024 in der Hauptstadt Damaskus den Fall des Regimes und die Flucht des Langzeitherrschers Bashar al-Assad.
Beängstigende Debatten
Zum ersten Mal, seitdem sie ihre Heimat verlassen musste, blickt sie hoffnungsvoll in dessen Zukunft. „Es ist unglaublich, meine Verwandten in Damaskus beim Telefonieren zum ersten Mal ihre eigenen Meinungen sagen zu hören“, erzählt sie. Die Menschen vor Ort seien erleichtert. „Es verändert sich gerade sehr viel. Eine neue Verfassung soll kommen“, zeigt sich Sakbani zuversichtlich. Bald, so hofft sie, könne sie ihre Verwandten in Syrien besuchen.
Fragt man die junge Frau nach ihren Sorgen und Ängsten, sind diese vielmehr auf Österreich bezogen. Und die Debatten, die schon kurz nach dem Machtwechsel begannen. „Es ist absolut nicht in Ordnung, davon zu sprechen, Menschen wieder nach Syrien abschieben zu wollen“, betont sie. Viele hätten sich in den Jahren hier ein Leben aufgebaut. „Man sollte es den Menschen selbst überlassen, wie und wo sie leben wollen“, findet sie.
Familiennachzug ausgesetzt
Schon binnen kürzester Zeit zeigen innenpolitische Ankündigungen allerdings eine andere Realität: Von Rückkehr und Härte wird gesprochen. Einen Tag nach dem Sturz des Assad-Regimes beauftragte der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer Innenminister Gerhard Karner damit, alle laufenden Asylverfahren syrischer Geflüchteter vorerst auszusetzen. Auch bereits erteilte Asylbescheide sollen einer Überprüfung unterzogen werden. Betroffen sind rund 7.300 offene Verfahren in erster Instanz. Innenminister Karner kündigte zudem an, ein Rückführungsprogramm nach Syrien vorzubereiten. Jetzt, wo Assad weg ist, könnten Geflüchtete ja wieder in ihr Land zurück, ist auch ein Tenor, der sich in Teilen der Gesellschaft etabliert.
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"Es ist unglaublich,
meine Verwandten zum ersten
Mal ihre Meinung sagen
zu hören", erzählt Sakbani.
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„Und, wann geht es wieder zurück nach Syrien?“, fragte Tareks Chef ihn kurz nach den Entwicklungen in seinem Heimatland. Es sollte ein Scherz sein. Doch lachen kann Tarek, 2015 als Geflüchteter nach Österreich gekommen, wenig darüber. „Ich verstehe nicht, was für ein Problem Menschen mit uns haben“, fragt sich der 43-Jährige in seinem Wohnzimmer in Wien Ottakring. Seit 2015 lebt er hier. Er arbeite als Fliesenleger, zahle Steuern und tue niemandem etwas an, betont er mehrmals.
Seine Frau Lin nickt (mit ihren Nachnamen möchte das Paar nicht genannt werden). Sie ist über die Rot-Weiß-Rot-Karte erst Oktober vergangenen Jahres nach Wien gekommen. In Syrien hatte sie als Lehrerin an einer Mittelschule unterrichtet. Das möchte sie auch in Österreich in Zukunft tun. Vorher hat sie aber noch eine andere Priorität. Lin und Tarek, deren Familien früher Nachbarn in einem Vorort von Damaskus waren, erwarten im August ihr erstes Kind. „Wir möchten, dass unser Kind hier aufwächst und zur Schule geht“, erklärt die 35-Jährige. Trotz der Erleichterung über den Sturz des Regimes bleibt sie vorsichtig: „Wir wissen nicht, wie sich Syrien weiterentwickeln wird.“
Banan Sakbani ist seit sieben Jahren in Österreich und studiert derzeit Jus. Die 22-Jährige findet es nicht in Ordnung, Syrer:innen abschieben zu wollen, die ihr Leben hier aufgebaut haben.
„Aktuell wissen wir es nicht“
Für Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination österreich ist die unvorhersehbare Zukunft Syriens der entscheidende Punkt bei der Beurteilung der aktuellen Lage. „Was wir wissen, ist, dass das Assad-Regime in seiner bisherigen Form zu Ende gegangen ist. Aber wie die neue Verfassung aussehen wird, ob es zu einer nachhaltigen Demokratisierung und einer besseren Sicherheitslage kommt, das können wir derzeit nicht seriös sagen“, betont er.
Es gebe viele offene Fragen: Wird der Staatsapparat reformiert? Was geschieht mit den Strukturen, die jahrzehntelang für die Verfolgung von Menschen verantwortlich waren? Kommt es zu Prozessen und einer Aufarbeitung? Oder bleibt es bei personeller Kontinuität? Auch der Umgang der neuen Machtelite mit politisch Andersdenkenden sei entscheidend. Gahleitner-Gertz erklärt, dass möglicherweise neue Fluchtgründe eine Rolle spielen könnten, sollten grundlegende Veränderungen ausbleiben: „Das ist alles sehr komplex. Aktuell wissen wir es schlicht nicht.“
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Auch der Umgang der neuen
Machtelite in Syrien mit
politisch Andersdenkenden wird
entscheidend sein.
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Bis diese Fragen beantwortet werden können, ist auch der Familiennachzug eine offene Causa. Etwa 5.000 syrische Verfahren sind hier aktuell anhängig. Positive Bescheide, die eine Einreise ermöglichen würden, wurden vorläufig ausgesetzt. „Momentan gibt es keine Einreisen über das Familienverfahren“, so Gahleitner-Gertz. Was laut dem Expertem aber mit Sicherheit festgestellt werden konnte, ist, dass Mitteilungen über mögliche Aberkennungsverfahren verschickt werden. Das sei aber noch kein Grund zur Panik. „Das bedeutet nach wie vor nicht, dass die Personen jetzt nicht rechtmäßig aufhältig sind, sondern dass es mal zur Einleitung eines Verfahrens kommt“. Grundsätzlich könne man sagen, dass diejenigen, die einen Schutzstatus haben, diesen weiterhin behalten. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl selbst bzw. der Direktor der Behörde habe mitgeteilt, dass er vorerst keine Voraussetzungen sieht, hier Aberkennungen durchzuführen.
Momentan könne man noch nicht beurteilen, ob es in Syrien zu einer nachhaltigen Demokratisierung und besseren Sicherheitslage kommen wird, meint Lukas Gahleitner-Gertz von der asylkoordination.
Angst vor Verschärfungen
Mit den jüngsten politischen Entwicklungen in Österreich könnten die Bedingungen für Geflüchtete und Hilfsorganisationen dennoch schwieriger werden. „Mit einer FPÖ-ÖVP-Regierung müssen wir mit drastischen Maßnahmen im Asylbereich rechnen“, warnte Gahleitner-Gertz noch im Jänner. Die FPÖ orientiere sich in ihrer Flüchtlingspolitik stark an Viktor Orbáns Ungarn, wo das Asylrecht weitgehend außer Kraft gesetzt sei.
Offen ist zu Redaktionsschluss noch, welche Regierungskonstellation es in Österreich geben wird. Der Asylexperte zeigt sich jedenfalls entschlossen: „Wir bereiten uns vor, um die Rechte von Geflüchteten auch weiterhin durchzusetzen.“
Für Tarek und Lin wäre ein Leben, anderswo, auch in Syrien wieder, im Grunde vorstellbar: „Wir würden das schon schaffen.“ Doch gegenüber ihrem Kind sehen sie eine Verantwortung: „Wir möchten nicht, dass unser Kind uns in Zukunft Vorwürfe macht, dass wir ihm Chancen genommen haben, weil wir nicht in Österreich geblieben sind“. Auch für Banan Sakbani steht fest, dass ihre Zukunft hier ist. Ihre Familie in Syrien will sie bei der ersten Gelegenheit besuchen und wiedersehen. „Mit meinem Asylstatus geht das derzeit leider nicht. Ich muss noch warten, bis sich das klären wird“, sagt sie.
Naz Küçüktekin war bei der Wiener Bezirkszeitung, dem biber Magazin, bei Profil und zuletzt beim Kurier tätig, wo sie sich im Ressort „Mehr Platz“ vor allem mit migrantischen Lebensrealitäten beschäftigte. Das tut sie nun weiterhin als freie Journalistin.
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