
Ruth Schöffl: "Flüchtlinge aus der Ukraine brauchen dringend Systemwechsel"
Ruth Schöffl ist Pressesprecherin des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) in Wien. In ihrem Statement zur initiative #ZukunftUkrainer*innen berichtet sie über alarmierende Ergebnisse einer Umfrage unter Ukrainer:innen zu ihrer prekären Lebenslage. Ein Systemwechsel von der Grundversorgung hin zum regulären Sozialhilfesystem ist aus Sicht von Schöffl das Gebot der Stunde:
"Viele können Grundbedürfnisse kaum mehr decken"
Viele geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer können sich in Österreich kaum mehr über Wasser halten und drohen in die Armut abzurutschen, wie eine Umfrage von UNHCR im Frühjahr belegt hat. Erhoben wurden Daten von 533 Haushalten mit insgesamt rund 1.500 Personen. Über ein Drittel der Befragten (rund 38 Prozent) gaben im Rahmen der Umfrage an, dass sie ihre Grundbedürfnisse in den letzten drei Monaten in Österreich kaum mehr decken konnten. Alarmierende 17 Prozent konnten ihre Grundbedürfnisse gar nicht mehr decken – und es ist zu befürchten, dass sich dieser Abwärtstrend in der Zwischenzeit noch verstärkt hat.
"Armutsfalle Grundversorgung"
Der Grund dafür ist, dass Ukraine-Geflüchtete – trotz mittlerweile freiem Zugang zum Arbeitsmarkt – in der sogenannten Grundversorgung feststecken. Diese Unterstützung wurde ursprünglich für Asylsuchende konzipiert und ist daher für eine kurze Verweildauer ausgelegt. Momentan liegt der monatliche Höchstsatz für eine Einzelperson bei rund 425 Euro, dazu kommen noch einmalige Leistungen wie Bekleidungs- oder Schulgeld. Auch für Asylsuchende ist es kaum möglich, mit diesen Beträgen auszukommen, daher wohnen die meisten von ihnen auch in organisierten Quartieren, wo höhere Tagsätze an die Quartierbetreiber*innen ausgezahlt werden.
"Unüberwindbare Hindernisse"
Das Armutsrisiko für Ukrainer:innen wird zusätzlich noch dadurch verschärft, dass die Zuverdienstbeträge in der Grundversorgung einerseits sehr niedrig sind, außerdem ist die Berechnung sehr kompliziert. In der Praxis bedeutet das also, dass Geflüchtete entweder sofort einen Job finden müssen, mit dem sie ihren Lebensunterhalt komplett bestreiten können oder dass sie eben in der Grundversorgung feststecken. Vor allem für die große Gruppe von alleine geflüchteten Frauen mit Kindern bleibt der Sprung aus der Grundversorgung vielfach ein unüberwindbares Hindernis.
"Zugang zu Sozialhilfe würde Ukrainer*innen in die Mitte der Gesellschaft holen"
Es braucht nun endlich einen Systemwechsel, um den Geflüchteten aus der Ukraine in Österreich längerfristige Perspektiven zu eröffnen. Der Zugang zur Sozialhilfe wäre ein wichtiges Element zur Armutsbekämpfung und eine Möglichkeit, Ukrainer*innen in die Mitte der Gesellschaft zu holen. Mit dem Zugang zur Sozialhilfe würde verhindert, dass Geflüchtete aus der Ukraine noch weiter in Armut abrutschen. Außerdem ist die Sozialhilfe ein viel flexibleres und erprobtes System, um Menschen schrittweise in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Wird beispielsweise ein Job angenommen, über den noch nicht der gesamte Lebensunterhalt bestritten werden kann, so kann es Aufstockungsleistungen aus der Sozialhilfe geben. Auch für arbeitssuchende Menschen bietet die Sozialhilfe im Gegensatz zur Grundversorgung Schnittstellen zum Arbeitsmarktservice.
"Systemwechsel ist Gebot der Stunde"
Mit Hinblick auf den unvermindert andauernden Krieg und angesichts der Lage geringen Rückkehrchancen ist aus Sicht von UNHCR ein Systemwechsel das Gebot der Stunde und wäre sowohl für die Betroffenen als auch die Aufnahmegesellschaft von Vorteil."
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