„Viele Jugendliche haben Existenzängste“
Inflation, Klimawandel und Krieg an allen Ecken der Welt: Wenn man die Nachrichten liest, kann man leicht von den schlechten Schlagzeilen überwältigt werden. Doch was macht das mit der Jugend und wie stellen sie sich ihre Zukunft inmitten dieser Krisen vor?
Text: Salme Taha Ali Mohamed.
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Man merkt es, wenn man an der Supermarktkasse steht, die Energierechnung öffnet, die Nachrichten liest oder am unstetigen Wetter. Die Welt befindet sich in multiplen Krisen. Das geht auch an der Jugend nicht spurlos vorbei. „Das, was gerade auf der Welt passiert, kann für viele Jugendliche überfordernd sein“, weiß die Jugendsozialarbeiterin Merivan Kar. Aktuell leitet sie die Mobile Jugendarbeit Donaufeld, eine Einrichtung des Vereins Wiener Jugendzentren. Mit ihrem Team sucht sie regelmäßig Parks und Plätze auf, an denen sich vermehrt Menschen zwischen 10 und 24 Jahren aufhalten. In ihrem Gassenlokal in der Donaufelder Straße 73 bietet sie darüber hinaus ein wöchentliches Wohnzimmer, in denen Jugendlichen Spiele spielen, miteinander Zeit verbringen oder einen Raum finden können, in dem ihren Problemen Gehör geschenkt wird.
Wie wird meine Zukunft aussehen? Werde ich einen Job finden? Wie wird sich das Klima entwickeln? Viele Fragen, die die Jugend beschäftigen.
„Wir merken, dass sie viele Existenzängste haben, die ihre Psyche belasten“, so Kar. Wie kann meine Zukunft aussehen? Werde ich es schaffen, die Schule zu beenden? Werde ich danach einen Job finden? Das sind nur einige der Fragen, über die sich Kar zufolge viele junge Österreicher:innen den Kopf zerbrechen. Die aktuellen wirtschaftlichen und geopolitischen Geschehnisse tragen ihren Teil dazu bei. Dazu zählt auch die Inflation mit den stetig steigenden Lebenserhaltungskosten. „Ein großes Thema dieses Jahr war der Hunger, mit denen die Jugendlichen zu uns kommen. Manche bekommen zuhause mit, wie die Eltern jeden Cent umdrehen und sich genau überlegen müssen, wann sie heizen, welche Lebensmittel sie sich leisten und ob es heute etwas Warmes zu essen geben kann“, erklärt die Jugendsozialarbeiterin. Sehr beliebt sind gerade deshalb die gemeinsamen Kochaktionen, die freitags in der Einrichtung angeboten werden.
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„MANCHE SEHEN ZUHAUSE , WIE GERADE JEDER CENT
UMGEDREHT WIRD“, SO DIE SOZIALARBEITERIN.
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Große Sorge um die Umwelt
Wie es auf diese Weise weitergeht, fragt sich auch die 12-jährige Farah Issa. Denn selbst in ihren jungen Jahren weiß sie: „Es verteuert sich jetzt schon alles.“ Dass es in ein paar Jahren besser werden könne, bezweifelt die Schülerin. „Vor allem in der Zukunft wird es schwieriger werden, sich Lebensmittel zu leisten“, befürchtet sie. Ihre 16-jährige Schwester Halaz stimmt ihr zu: „Früher konnte man mit weniger Geld am Tag überleben, das wird immer schwieriger. Aber ich glaube, dass es in Österreich im Gegensatz zu anderen Ländern immer viele Möglichkeiten geben wird, um Geld zu verdienen und ein gutes Leben zu führen.“ Während sie sich um ihre persönliche Zukunft keine großen Sorgen macht, sieht es anders aus, wenn sie an die Entwicklung der Welt denkt. Vor allem der Klimawandel beschäftige sie. „Es wird immer mehr Plastik verbraucht, das nicht gut entsorgt wird und dann im Meer landet“, sagt die 16-Jährige.
Die 18-jährige Hannah Weissenberger sieht der Zukunft hingegen kritisch entgegen – und zwar „in jeder Hinsicht“, wie sie sagt. „Der Klimawandel bereitet mir viele Sorgen und ich denke oft darüber nach“, erklärt sie. Manchmal sorge sie sich auch, dass sich die aktuellen Kriege weiter in Richtung Österreich ausbreiten könnten. Doch ihre Angst beschränkt sich nicht nur auf ihr eigenes Leben. Es beeinflusst auch ihre Zukunftsplanung und die ihrer Freund:innen. „Ich möchte kein Kind in einer Welt bekommen, wo Kriege und Armut herrschen. Aber das wird meiner Meinung nach in den nächsten Jahren nicht besser werden oder verschwinden“, so Hannah. Sie maturierte vor wenigen Monaten und ist gerade dabei erste Schritte ins Arbeitsleben zu wagen. Diese Erfahrungen bedeuten auch, dass sie erstmals mit der Diskrepanz zwischen der Höhe eines Durchschnittseinkommens und den Lebensmittelpreisen konfrontiert wird.
Hannah Weissenberger sieht die Zukunft skeptisch. Das beeinflusst auch ihre Planung.
Vom Gespräch zur Ablenkung
Laut der Studie „Generation Nice: Jugend in der Multikrise“, die 2023 vom Institut für Jugendforschung durchgeführt wurde, stehen die drei Teenager mit ihren Bedenken nicht alleine da. Von 800 Befragten zwischen 16 bis 29 Jahren machen sich 48 Prozent Sorgen aufgrund der derzeitigen Inflation. 55 Prozent sorgen sich darum, was die Teuerungen, und 47 Prozent, was die Kriege für ihr Leben bedeuten. 39 Prozent haben Angst vor dem Klimawandel. Nur 7 Prozent haben die Hoffnung, dass alles am Ende gut werde.
Bei der Mobilen Jugendarbeit Donaufeld gibt es eine Vielzahl an unterschiedlichen Strategien, um mit den Ängsten der Jugendlichen umzugehen. Denn es gilt: Was die Erwachsenen beschäftigt, beschäftigt in der Regel auch die Jugendlichen, wenn auch auf verschiedene Arten. „Manche haben völlige Angst, andere meinen, dass schon nichts weiter passieren wird“, berichtet Merivan Kar, „wir handeln da ganz unterschiedlich, je nach Situation.“ Bei Entlastungsgesprächen und Einzelfallhilfen bieten die Sozialarbeiter:innen den Jugendlichen entweder ein offenes Ohr oder Hilfe bei konkreten Anliegen, etwa das Schreiben einer Bewerbung oder der Suche nach der ersten eigenen Wohnung. Wenn es aber bei mehreren der jungen Klient:innen einen Redebedarf zu einem bestimmten Thema gibt, werden dafür gemeinsame Workshops, manchmal auch mit externen Expert:innen vorbereitet. „Manchmal, wenn ihnen scheinbar alles zu viel wird, fragen wir sie einfach, was sie gerade machen möchten. Dann kommen Antworten wie Eislaufen, was wir dann mit ihnen machen. Mit der Ablenkung wollen wir sie auf andere Gedanken bringen“, führt die Jugendsozialarbeiterin fort.
Merivan Kar leitet die Mobile Jugendarbeit Donaufeld und beobachtet viele Existenzängste.
Wer darf hier mitbestimmen?
Aber natürlich stoße auch die Jugendsozialarbeit irgendwann an ihre Grenzen. Hier sei dann die Politik gefragt. „Ich denke, dass das Psychotherapieangebot ausgebaut werden muss. Es gibt schon coole Projekte, wie Gesund aus der Krise, aber wir brauchen mehr niederschwellige Angebote, die auf die Bedürfnisse von Jugendlichen zugeschnitten sind“, sagt Merivan Kar. Sie betont, dass auch das Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten Angst nehmen könne. Doch während die Möglichkeiten von Minderjährigen ohnehin beschränkt sind, gilt das noch mehr für diejenigen, die in Österreich geboren worden, aber keine Staatsbürger: innen sind. Laut dem „Bericht zur Lage der Jugend in Österreich“ vom Bundeskanzleramt trifft das heute auf 232.093 junge Menschen zwischen 14 und 24 Jahren zu. „Ohne die österreichische Staatsbürgerschaft haben sie deutlich weniger Möglichkeiten und sind per se von Prozessen der politischen Mitgestaltung ausgeschlossen. Damit sich hier etwas verbessert, muss der Einbürgerungsprozess einfacher gemacht werden. Jetzt ist er mit vielen Hürden und hohen Kosten verbunden“, erklärt Kar.
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DAS PSYCHOTHERAPIEANGEBOT MUSS
IN ÖSTERREICH AUSGEBAUT WERDEN.
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Auch Hannah sieht die Lösung in der politischen Mitbestimmung. „Ich fühle mich als Jugendliche mit meinen Ängsten nicht von der Politik gehört. Ich finde, dass wir viel mehr eingebunden werden müssen, weil es unsere Zukunft ist“, betont die 18-Jährige. Initiativen wie das Jugendparlament oder der Kindergemeinderat, bei dem sie selbst vor Jahren mitgemacht hat, sind für sie erste Schritte in die richtige Richtung. Bildung spiele hier ebenfalls eine wichtige Rolle: „Man sollte Kindern bereits in der Volksschule den Klimawandel altersgerecht erklären. Nur weil die Erwachsenen am Ende nicht mehr da sind, wenn diese Probleme eintreten, kann man den Jugendlichen trotzdem zeigen, dass es ein Problem ist, an dem alle arbeiten müssen.“ Auch Halaz und Farah setzten auf Aufklärung. „Ich finde, diese Dinge sollten überall Thema sein“, so die 16-Jährige. Und notfalls sorgen die Jugendlichen selbst dafür – etwa, indem sie wie Halaz ihre Umgebung auf umweltschädliches Verhalten aufmerksam machen oder wie Hannah auf die Fridays For Future-Demos gehen.
Salme Taha Ali Mohamed schrieb unter anderem für das biber Magazin, Social Attitude und das uni:view-Magazin der Uni Wien. Aktuell arbeitet sie als Redakteurin für die Wiener BezirksZeitung.
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