Von Echsenmenschen und Entvölkerungsplänen
Seit der Corona-Krise sind Verschwörungserzählungen zunehmend sichtbarer. Oftmals werden jene, die daran glauben, als lächerliche Spinner abgetan. Wie aber sollte man solchen Narrativen begegnen? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Valentine Auer
5G-Sendemasten sind für die Verbreitung des Corona-Virus verantwortlich. Klimaaktivistin Greta Thunberg ist eine „Marionette“ des jüdischen Milliardärs George Soros oder – je nach Perspektive – eine Zeitreisende, jedenfalls ist sie gefährlich. Genauso wie die „Echsenmenschen“ Angela Merkel oder Barack Obama.
Das sind doch alles Spinner. So lautet wohl eine häufige Reaktion auf Personen, die von der Wahrheit solcher Sätze überzeugt sind. Doch Menschen, die an Verschwörungen glauben, gibt es quer durch die Bevölkerung – unabhängig von Bildungsstatus, sozioökonomischen Status oder psychischen Erkrankungen.
Es ist das Bedürfnis nach Einzigartigkeit, das Menschen im Verschwörungsglauben eint, sagt Katharina Nocun. Die Politikwissenschaftlerin veröffentlichte im Mai 2020 gemeinsam mit der Psychologin Pia Lamberty das Buch „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“. Der Glaube an Verschwörungen kann Selbstbewusstsein geben, erklärt sie: „Ich bin Teil einer kleinen Gruppe, die die Wahrheit kennt und dadurch die Menschheit retten kann – das ist ein attraktives Selbstbild“. Geht es also um die Eigenwahrnehmung, ist nicht von Spinnern, sondern von Protagonist*innen einer klassischen Heldengeschichte die Rede.
Mehr als ein abwertendes Lachen werden die obigen Sätze bei vielen Menschen dennoch nicht hervorrufen. Verschwörungstheorien halt. Oder passender: Verschwörungserzählungen, Verschwörungsmythen. Denn mit wissenschaftlichen Theorien haben diese Narrative nichts gemein. Im Gegenteil: Wissenschaftliche Erkenntnisse werden ignoriert, stattdessen wird nach Schuldigen gesucht, nach dem großen Plan, der eigentlich dahintersteckt.
Fehlender demokratischer Diskurs
Trotzdem. Verschwörungsgläubige zu belächeln, verkennt die Gefahren, u.a. auch für demokratische Grundwerte, so Nocun weiter: „Wenn ein bestimmter Anteil der Bevölkerung Institutionen wie der Wissenschaft oder den Medien nicht vertraut, findet man als Gesellschaft nur noch ganz schwierig zueinander. Ein demokratischer Diskurs ist kaum noch möglich.“
Wie hoch dieser Anteil ist, ist schwer zu benennen. Als Beispiel nennt die Politikwissenschaftlerin jedoch die USA. Laut einer repräsentativen Umfrage der amerikanischen NGO „Hope not Hate“ glauben 19 Prozent aller Befragten, dass die Covid-19-Pandemie Teil eines „Entvölkerungsplans“ der UNO ist. 15 Prozent denken, dass uns die Impfungen gegen das Virus mit Gift infizieren sollen. Und immerhin 10 Prozent aller Befragten bezeichnen sich als Unterstützer*innen der QAnon-Bewegung. Das ist jene Gruppe von Verschwörungsgläubigen, die zuletzt durch den Sturm auf das Kapitol in Washington Aufmerksamkeit erhielt.
Krisen als Nährboden
Europa ist noch weit entfernt von solchen Zuständen, weiß Nocun. Es mag zwar für manche den Anschein haben, doch einen historischen Höhepunkt von Verschwörungserzählungen erleben wir derzeit nicht. Immer wieder in der Geschichte waren Verschwörungserzählungen Mehrheitsmeinung, bauten Ideologien wie die des mörderischen Nationalsozialismus auf solche Narrative, und werden auch heute noch von Politiker*innen selbst in Umlauf gebracht. Vor allem in Krisenzeiten. Denn diese sind ein guter Nährboden: Tiefgreifende Umbrüche können individuelle Lebenswirklichkeiten in Frage stellen, Existenzen bedrohen, zu Kontrollverlust und Unsicherheit führen. Egal, ob es sich um ein Virus oder um eine Klimakatastrophe handelt – Verschwörungserzählungen machen aus einer abstrakten eine konkrete Bedrohung, sie geben Kontrolle und Sicherheit zurück. Nicht mehr das Gefühl einer Situation hilflos ausgeliefert zu sein dominiert, sondern das Gefühl, dagegen ankämpfen zu können.
Eine Art Ohnmacht
Das macht sich auch in der Arbeit von Dieter Gremel bemerkbar. Der stellvertretende Leiter der österreichischen „Beratungsstelle Extremismus“ erzählt, dass Verschwörungsmythen als Merkmal extremistischer Ideologien schon immer ein Thema waren. Zugleich bemerkte er in jüngster Zeit, wie sich im Alltag bei den Beratungsgesprächen etwas verschoben hat: „Seit 2020 ist der Anlass von Anrufen deutlich öfter die Verschwörungserzählung selbst, nicht der Extremismus. Leute erzählen uns, dass ihr Bruder, ihr Onkel oder ihre Mutter total in Verschwörungsideologien verhaftet ist“, so Gremel.
Katharina Nocun, Buchautorin: Verschwörungs-gläubige zu belächeln verkennt die Gefahren.
Dieter Gremel, Beratungsstelle Extremismus: trifft bei Gesprächen vermehrt auf Verschwörung.
Oft ist es eine Art Ohnmacht, die die Menschen zur Beratungsstelle bringt. Der Dialog wird nicht nur innerhalb der Gesellschaft, sondern im persönlichen Miteinander verunmöglicht, weiß Gremel: „Die Basis über etwas reden zu können, geht verloren. Angehörige oder Freund*innen stellen sich die Frage, ob man sich noch im gleichen Werteraum befindet. Die Befürchtung, dass dem nicht so ist, kann dabei erschreckend sein.“ Hinzu kommen Ängste und Sorgen der Anrufer*innen darüber, dass der Glaube an Verschwörungstheorien sich auf das Leben der Betroffenen negativ auswirken könnte. Auch dass man den Zugang zu der betreffenden Person verliert oder dass es im Extremfall zu Gewalt kommt.
Radikalisierung bis zur Gewalt
In manchen Beratungsgesprächen erkennt Gremel sogar Parallelen zur Rhetorik und den Zielen von QAnon. (Das ist jene Gruppe, die im Internet eine Weltverschwörung satanischer Polit-Eliten wittert, die Kinder entführt und sich mit deren Blut verjüngt. Donald Trump führte, so glauben die QAnon-Anhänger*innen, einen Kampf gegen diese Elite.) Auch Gremel ist bei seiner Arbeit schon die Vorstellung begegnet, dass es einer gewalttätigen Übernahme des politischen Systems bedarf, um Schlimmeres zu verhindern. Bemerkenswert, dass der Verfassungsschutz (BVT) ähnliche Tendenzen festgestellt hat. In einem Bericht über „Corona-Demos“, den Der Standard zitiert, wird „von der Notwendigkeit eines Bürgerkrieges“ berichtet, werden Regierungsmitglieder als „Massenmörder“ verunglimpft, während „die Protestbewegung als legitime Revolutionsbewegung“ bezeichnet wird, „die militant gegen ein tyrannisches Regime vorgehen muss“. Entsprechende Hinweise auf ein Gewaltpotential finden sich auch in Telegram- oder Social-Media-Gruppen, in denen sich – genauso wie auf Demos selbst – Verschwörungsgläubige wie auch Rechtsextreme tummeln.
Natürlich, nicht alle Verschwörungsgläubigen sind gefährlich. Studien zeigen jedoch, dass Menschen, die zu so einem Gedankengut neigen, eher Gewalt befürworten, sagt Nocun. Sie erklärt das so: „Innerhalb von Verschwörungserzählungen werden Feindbilder konstruiert, mit denen man keine Lösung finden und keine Argumente austauschen will. Feinde will man bekämpfen. Dadurch kann Gewalt wesentlich einfacher gerechtfertigt werden.“
Als Beispiel nennt die Buchautorin nicht nur den Sturm auf das Kapitol, bei dem mehrere Waffen sichergestellt wurden, sondern auch jüngste rechtsextreme Attentate in Europa. Sei es der Anschlag in Halle auf eine Synagoge (2019) oder jener in Hanau (2020) vor zwei Shisha-Bars, wo der Täter neun Menschen mit Migrationshintergrund erschoss – beide Terroristen rechtfertigten ihre Tat mit wirren, rassistischen Ansichten. Der Halle-Attentäter hatte nach einem klassischen antisemitischen Muster etwas „gegen die Leute, die hinter der finanziellen Macht stehen“ und glaubte, „Der weiße Mann zählt nichts mehr.“ Der Attentäter von Hanau erstand Literatur bei rechten Verlagen über Geheimgesellschaften und den Nationalsozialismus und betrieb einen Youtube-Kanal als „Enthüllungsplattform“. Laut „Spiegel“ hatte der Mann in einer Art Pamphlet seinen rassistischen Wahn niedergeschrieben, bevor er zur Tat schritt. U.a. hielt er fest: Die meisten „Rassen und Kulturen“ seien „destruktiv – vor allem der Islam“. Oder: Nicht alle Bundesbürger seien „reinrassig und wertvoll“. Er könne sich „eine Halbierung der Bevölkerungszahl“ vorstellen.
Aufklären, dagegenreden
Wie sieht nun grundsätzlich ein verantwortungsbewusster Umgang mit Verschwörungserzählungen aus? Dazu Nocun: „Es fällt uns gerade auf die Füße, dass das Thema lange als lächerlich wahrgenommen wurde. Wir müssen jetzt die Aufmerksamkeit nützen und kommunizieren, dass Verschwörungserzählungen nichts mit Dummheit oder psychischen Erkrankungen zu tun haben, sondern in jeder Familie vorkommen können.“
Das bedeutet nicht, dass man Verschwörungserzählungen zuzustimmen oder sie kommentarlos stehen zu lassen hat: Faktenchecks können bei jenen etwas bewirken, die noch ein gewisses Vertrauen in einzelne Personen oder in Institutionen haben, erklärt Dieter Gremel. Präventiv müsse Medienkompetenz aufgebaut werden – insbesondere bei älteren Personen. Und auch im Bildungsbereich ist Aufklärungsarbeit angesagt, so Nocun: „Wenn ich die Mechanismen hinter Verschwörungserzählungen kenne, wenn ich weiß, wann und warum ich selbst verletzlich bin, sinkt die Anfälligkeit für solche Narrative.“
Vor allem gilt es sowohl im persönlichen Kontakt als auch gesamtgesellschaftlich Stellung zu beziehen. „Am Beispiel von Impfgegner*innen zeigt sich, dass in den letzten Jahren viel Raum für Inhalte gelassen wurde, die in Verschwörungsmythen abdriften. Auf diese Weise konnten sich solche Inhalte ohne Gegenrede verbreiten. Es ist daher unglaublich wichtig, hinzuschauen, wenn derartige Narrative aufpoppen“, sagt Gremel. Das bedeutet auch, sich klar zu positionieren. Und zwar gegen Erzählungen, die die Gesundheit aller in einer Gesellschaft lebenden Menschen gefährden können, gegen antisemitische und rassistische Mythen und letztlich gegen Verschwörungserzählungen, die demokratische Werte bedrohen.
www.beratungsstelleextremismus.at
Fake Facts.
Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen
Katharina Nocun, Pia Lamberty
Quadriga Verlag, Berlin 2020
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