Wael Al Shammas - Angekommen in Österreich: „Ohne die Menschen in Helfenberg wäre ich heute nichts."
Wael al Shammas arbeitet bei einer Bank in Syrien als der Krieg ausbricht. Um sein Leben zu retten flieht er nach Österreich und beginnt eine Erfolgsgeschichte. Text und Foto: Sonja Kittel
Heute und damals
Wael Al Shammas steht hinter einem Rednerpult und spricht in fließendem Deutsch über Notfall- und Krisenmanagement im Bankenwesen. Hinter ihm wird seine Power Point Präsentation abgespielt, vor ihm hängt das Publikum über 50 Minuten an seinen Lippen. Al Shammas redet als einer der Expertinnen und Experten des 24. Symposiums Sicherheit, das 2017 in Wien stattfand. Etwas mehr als zwei Jahre zuvor, genaugenommen an Maria Himmelfahrt im Jahr 2015, sitzt Wael Al Shammas in einem Minibus und passiert die Grenze nach Österreich. Wenig später wird ihn die Polizei aufgreifen und ins Erstaufnahmezentrum Traiskirchen bringen.
Der Krieg in Syrien
Als der Krieg 2011 in Syrien begann, schaute die Familie Al Shammas jeden Tag Nachrichten und jeden Tag wurde gesagt, dass der Krieg bald zu Ende sei. Deshalb warteten sie, doch das Ende kam nicht. Im Juni 2013 entkam Barakat Al Shammas, der Vater von Wael, nur knapp einer Mörserbombe. Sein Nachbar, der neben ihm stand, war sofort tot. Rebellen hatten sie auf das christliche Viertel in der Altstadt von Damaskus abgefeuert. Barakat Al Shammas war als Teil der syrischen Miliz für die Bewachung des Ost-Tors der Altstadt zuständig. Ein Journalist des Independent publizierte später einen Artikel über ihre Geschichte.
Keine Zukunft mehr
Dieses Ereignis war der Wendepunkt für Wael Al Shammas. „Ich habe in Syrien keine Zukunft mehr gefunden“, sagt der 38-jährige heute. Es ging ihm nicht um ein besseres Leben, nicht um mehr Wohlstand oder einen besseren Job, denn vor dem Krieg war er hier glücklich. Er arbeitete bei einer Bank in Damaskus, zuständig für Krisenmanagement-Planung und Business Continuity Management. Er hatte Electronic Engineering studiert und berufsbegleitend ein weiteres Studium an der Virtual Syrian University begonnen. Doch da man für ein Fernstudium Strom und Internet braucht und beides in Kriegszeiten rar ist, brach er nach einem Semester das Studium und, aufgrund der aussichtlosen Situation, letztendlich sein ganzes Leben in Syrien ab.
Ehrenamtliche Unterstützung
Die Flucht dauerte einen Monat und 12 Tage und kostete Al Shammas, neben vielen Nerven, 7000 Euro. Von Damaskus mit dem Auto nach Beirut, dann in die Türkei mit dem Flugzeug, nach Griechenland mit dem Schiff und mit Bussen und Autos über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich. Das österreichische Asylsystem bringt den Syrer letztendlich nach Helfenberg in Oberösterreich. Ein Glück, wie sich herausstellen wird. Eine Gruppe von Ehrenamtlichen, darunter viele Pensionist*innen, nimmt sich den Menschen in der Flüchtlingsunterkunft an, gibt ihnen Deutschunterricht, unterstützt sie in allen Belangen. „Ohne die Menschen in Helfenberg wäre ich heute nichts“, erzählt Wael Al Shammas. Der gläubige Christ beginnt bald im Kirchenchor zu singen, gibt beim Adventsingen sogar ein Solo zum Besten. Er hält in der Volksschule einen Vortrag über das Leben in Syrien, bäckt mit den Kindern Kekse.
Zurück in die Bank
Obwohl der Syrer mit all dem gut beschäftigt ist in Helfenberg, möchte er endlich wieder arbeiten. Über einen Freund bekommt er Kontakt zu einer Bank in Linz und macht dort ein Volontariat. Zwei Stunden ist er täglich im Bus unterwegs, um endlich wieder seiner Profession nachzugehen. Die Vorgesetzten sind so begeistert von Al Shammas, dass sie ihn unbedingt fix übernehmen wollen. Doch Asylsuchende dürfen in Österreich nicht arbeiten. Nach etwas mehr als einem Jahr und vielen Briefen und Emails von seinem Chef und Ehrenamtlichen in Helfenberg an die Behörden, die sich für den Syrer einsetzen, bekommt er seinen positiven Asylbescheid.
Eine erfolgreiche Geschichte
Der 38-jährige sucht sich eine Wohnung in Linz, absolviert erfolgreich Deutschprüfungen und startet bei der Bank in demselben Bereich, in dem er schon in Damaskus gearbeitet hatte. Seine praktischen Erfahrungen aus dem Kriegsgebiet kann er dabei gut einbringen. Doch von selbst geht es nicht. „Sie haben mich nicht nur geholt, um herumzusitzen und zu lernen, ich muss Verantwortung tragen. Das braucht viel Kraft und Konzentration“, sagt Al Shammas. In seiner Freizeit arbeitet er ehrenamtlich im „Of(f)'n-Stüberl“ der Diakonie, bereitet dort Obdachlosen das Frühstück und unterhält sich mit ihnen. Auch nach Helfenberg fährt er noch oft, um seine früheren Unterstützer*innen zu treffen, die heute seine Familie sind. „Eine erfolgreiche Geschichte zu haben ist das Mindeste, um mich bei den Menschen, die mir geholfen haben, zu bedanken“, sagt er.
„Das hat mich berührt“
Als er seinen Vortrag am Sicherheits-Symposium beendet hatte stand plötzlich eine Schlange an Menschen vor Wael Al Shammas. Sie warteten, um ihm zu gratulieren und sich bei ihm zu bedanken. „Das hat mich berührt, denn der Vortrag war nicht nur über meine Arbeit, sondern über mein Leben“, sagt er stolz und lächelt. Die Deutschprüfung C1 und die Uni sind seine nächsten Ziele.
SOS Mitmensch gibt in der Porträt-Reihe „Angekommen in Österreich“ Menschen, die flüchten mussten, eine Stimme und ein Gesicht. Die Geschichten zeigen auch, welche Hürden Geflüchtete auf ihrem Lebensweg meistern müssen und welche Unterstützung sie dabei erfahren und brauchen. Infos und Kontakte zur freiwilligen Flüchtlingshilfe finden Sie hier.