
Wahlprobleme
Knapp eine halbe Million Menschen ist von den kommenden Wien-Wahlen ausgeschlossen. Wie lässt sich das mit Demokratie noch vereinbaren? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Valentine Auer, Illustration: P.M. Hoffmann
Rund 30 Prozent der in Wien lebenden Menschen sind zwar im wahlfähigen Alter, dürfen ihre Stimme aber nicht oder nur eingeschränkt abgeben. 13 Prozent der WienerInnen, nämlich jene mit einer nicht-österreichischen EU-Staatsangehörigkeit, dürfen nur auf Bezirksebene wählen, wo Grätzelpolitik entschieden wird. Betroffen vom Wahlausschluss sind vor allem junge WienerInnen. Ein Blick auf die einzelnen Bezirke zeigt zudem große Unterschiede. Besonders sticht der 15. Bezirk hervor: Dort ist knapp die Hälfte der BewohnerInnen nicht oder nur auf Bezirksebene wahlberechtigt. „Die Stimme ist die Währung am politischen Markt“, sagt Politikwissenschaftler und Demokratieexperte Gerd Valchars. Dass ein Drittel der Wiener Bevölkerung nicht wählen darf, führe dazu, dass wir zunehmend in einer defizitären und immer weniger in einer funktionierenden Demokratie leben. „Es entsteht ein Mangel an Legitimation, wenn so viele Menschen ihre politische Präferenz nicht kundtun können. Sie können keine Partei für ihr möglicherweise rassistisches Verhalten abstrafen und keine Partei belohnen, die Politik in ihrem Interesse macht“, so Valchars.
Ein Bündel restriktiver Gesetze
Österreich macht es hier lebenden AusländerInnen nicht einfach. Es gibt einige wenige Länder, die beim Wahlrecht restriktiver sind als Österreich. Doch Österreich bündelt diskriminierende Regeln zu einer insgesamt restriktiven Gesetzgebung, die immer mehr Menschen vom Wählen ausschließt. So zählt Österreich bei der Kopplung von Staatsangehörigkeit und Wahlrecht zu jenen Ländern mit dem härtesten Ausschluss. Zwar gibt es kaum Staaten, in denen Nicht-Staatsangehörige auf nationaler Ebene wählen dürfen, aber es gibt einige Länder, die auf regionaler Ebene und noch mehr Länder, die auf kommunaler Ebene ein diskriminierungsfreies Wahlrecht besitzen. Österreich fällt in keine dieser Gruppen. Ähnlich sieht es beim Erhalt der österreichischen Staatsangehörigkeit und damit auch beim Erhalt des Wahlrechts aus. Eine Möglichkeit die österreichische Staatsangehörigkeit zu erwerben, wäre bei der Geburt. Hier gibt es die zwei Prinzipien „ius soli“ oder Geburtsortprinzip und „ius sanguinis“ oder Abstammungsprinzip: Man kann die Staatsangehörigkeit von jenem Land, in dem man geboren wurde („ius soli“) erhalten, es gibt aber auch die Möglichkeit die Staatsangehörigkeit beider oder eines Elternteils zu erhalten („ius sanguinis“). Ein absolutes Geburtsortprinzip existiert in Europa nicht, der Trend bewegt sich aber dennoch dahin, dieses bedingt einzuführen und an bestimmte Voraussetzungen zu knüpfen. Österreich verschreibt sich hingegen fast gänzlich dem Abstammungsprinzip. Eine weitere Möglichkeit die österreichische Staatsangehörigkeit zu erhalten, ist die Einbürgerung. „Einzeln gesehen sind die Kriterien für die Einbürgerung in Österreich nichts Ungewöhnliches. Jedes Kriterium findet sich in anderen Staaten auch. In Summe aber entsteht ein langer Katalog an sehr restriktiven Kriterien“, erklärt Valchars. Das trifft vor allem auf die notwendige Aufenthaltsdauer von mindestens zehn Jahren sowie auf die notwendige Rücklegung der bisherigen Staatsangehörigkeit zu. Außerdem muss für die Einbürgerung ein gewisses Einkommen nachgewiesen werden. Bei der Höhe dieses Einkommens zählt Österreich erneut zu den strengsten Ländern.
Massiver Ausschluss: Ein Drittel der WienerInnen hat hier den Lebensmittelpunkt, ist vielleicht hier geboren, zahlt in Österreich Steuern, hat aber politisch kein Stimmrecht.
Extra hohe Hürden
Auch bei Fadumo Mohamed scheitert es am Einkommen. Die 17-jährige Wienerin zählt zu jenen 24 Prozent aus dem 15. Bezirk, die überhaupt nicht wählen dürfen. 2006 flüchtete sie gemeinsam mit ihrer Mutter aus Somalia. Den Mindestaufenthalt für eine Einbürgerung würde sie daher erfüllen. Doch das Einkommen der Mutter reicht als Nachweis der sogenannten Selbsterhaltungsfähigkeit nicht aus. Die hohen Kosten, die bei der Ein- und Ausbürgerung anfallen, sind eine weitere Hürde. Mohamed selbst befindet sich gerade im Übergang zwischen Schule und Beruf und ist Teilnehmerin der Produktionsschule „spacelab_girls*“ vom Verein „sprungbrett“. Dass sie ihre Stimme bei der Wien-Wahl nicht abgegeben darf, ist für sie kein wirkliches Problem: „Da ich nicht politisch aktiv bin, finde ich es auch nicht so schlimm, dass ich nicht wählen kann“. „Natürlich gibt es Jugendliche, denen es egal ist, dass sie nicht wählen dürfen – wie bei allen anderen Jugendlichen auch. Viele spüren die Hürde der Einbürgerung aber ganz deutlich. Sie sehen es als unrealistisch an, jemals wählen zu dürfen“, sagt Shokat Ali Walizadeh. Walizadeh ist Jugendreferent und Mitarbeiter beim Integrationsprojekt „CORE“ der Stadt Wien sowie Gründer des Sport- und Kulturvereins „NEUER START“ für geflüchtete Jugendliche.
Politisches Interesse durch Verschlechterungen
Aus seiner Arbeit weiß Walizadeh, dass es auch anders sein kann und das Wahlrecht vor allem seit der türkisblauen Koalition ein wichtiges Thema ist: „Es gab damals viele Gesetzesänderungen, die schlecht für einen Teil der Gesellschaft waren und sind, vor allem für Geflüchtete und Migranten. Wählen zu können, wurde dadurch wichtiger für viele Betroffene“. Menschen wollen sich gegen Verschlechterungen wehren und mitbestimmen. Auch Walizadeh selbst. 2009 ist er als 19-Jähriger nach Wien gekommen. Seit zwei Jahren versucht er sich einbürgern zu lassen. Bei ihm scheitert es an der Rücklegung der afghanischen Staatsangehörigkeit. Um bei der kommenden Wien-Wahl teilzunehmen, hätte er spätestens am 14. Juli die österreichische Staatsangehörigkeit haben müssen. Doch diese hat er nach wie vor nicht, stattdessen führten die Hürden sogar dazu, dass er im August staatenlos wurde. Eine weitere Wahl also, bei der er seine Stimme nicht abgeben kann. „Es tut weh, schon so lange da zu sein und auf der politischen Ebene nicht mitzuentscheiden. Wir brauchen jede Stimme. Jede Stimme ist gut für die Gesellschaft, für die Demokratie, für das Zusammenleben“, so Walizadeh.
Shokat Ali Walizadeh, Jugendreferent beim Integrationsprojekt „CORE“ der Stadt Wien. Beim Versuch, sich einbürgern zu lassen, wurde er sogar staatenlos.
Gesellschaftliche Repräsentationslücke
Denn der Wahlausschluss verursacht auch eine Repräsentationslücke, sagt Valchars: „Die Politik orientiert sich an den tatsächlichen WählerInnen. Nicht Wahlberechtigte werden schlichtweg ignoriert. Die politische Marktlogik funktioniert so, dass sich Präferenzen, Programme und personelles Angebot danach richten, wo es Stimmen zu lukrieren gibt“. Eine fehlende politische Repräsentation, die viele Menschen einschließt – auch jene, die wahlberechtigt sind: Das zeigt sich vor allem, wenn es um die einzelnen Bezirke geht. So werden die 100 Sitze im Rathaus auf 18 Wahlkreise aufgeteilt, die meisten dieser Wahlkreise entsprechen den Bezirken. Wahlkreise mit mehr EinwohnerInnen stellen proportional mehr Abgeordnete, tatsächlich sind aber nur EinwohnerInnen mit österreichischer Staatsangehörigkeit relevant. Da mehr Menschen im 15. Bezirk als im 23. Bezirk vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, bedeutet dies, dass dem 15. Bezirk nur drei und dem 23. Bezirk sechs Mandate zustehen. Würden nicht-österreichische Staatsangehörige wählen dürfen, wären es vier Mandate für den 15. und fünf Mandate für den 23. Der eine Bezirk wird dadurch über-, der andere unterrepräsentiert. Zudem stellt sich auch in anderen Bereichen die Frage, an wen sich PolitikerInnen orientieren: Es sind mehr jüngere als ältere Personen nicht wahlberechtigt und mehr Personen mit niedrigem als mit höherem Einkommen. Dadurch ist es für PolitikerInnen eher interessant, wohlhabendere und ältere Personen zu adressieren, die in bestimmten Bezirken leben. Dies kann sich darauf auswirken, wie der öffentliche Raum gestaltet wird oder in welche Richtung die Sozialpolitik geht. Auf Bundesebene erschwert der Wahlausschluss so vieler Menschen letztendlich auch die Umsetzung eines weniger restriktiven Einbürgerungsgesetzes oder eines diskriminierungsfreien Wahlrechts, so Valchars: „Diejenigen die wahlberechtigt sind, entscheiden darüber, wer wahlberechtigt sein soll. Das ist ein demokratisches Paradoxon.“
ÖSTERREICH: HOHE HÜRDEN ZUR STAATSBÜRGERSCHAFT
* Nach frühestens sechs bis zehn Jahren kann ein Antrag auf Staatsbürgerschaft gestellt werden.
* Es müssen hohe Einkommenshürden übersprungen werden, die selbst von Vollzeitbeschäftigten nicht immer erreicht werden.
* Für Familien beträgt der Richtsatz 1.525 Euro plus ein Großteil der Mietkosten (mind. 295 Euro) plus 150 Euro pro Kind plus weitere regelmäßige Aufwände. SOS Mitmensch hat mehr als 800 Berufssparten ausgemacht, bei denen auch eine Vollzeitbeschäftigung die Anforderungen für die Staatsbürgerschaft erfüllen würde.
* In der EU hat fast jeder Staat eine höhere Einbürgerungsquote als Österreich. Hier werden von 1000 Menschen jährlich nur 7 Menschen eingebürgert.
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