
„Was hältst du von einer Senioren-WG?“
Drei Patinnen von Jugendlichen, die aus Afghanistan geflüchtet sind, erzählen über ihre Erfahrungen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Laura Marchler, Fotos: Magdalena Stern
Niemand kann ihnen entgehen, den Meldungen zur so genannten „Flüchtlingsdebatte.“ Zumeist kreisen sie um dieselben Themen: Wie Flüchtlinge soziale Strukturen verändern; ob die Menschen aus legitimen Gründen gekommen sind; und was sie hier überhaupt tun. Eher selten wird eine andere Seite beleuchtet: das Engagement der vielen Freiwilligen, die sich weniger über den Zuzug sorgen, als die Menschen dabei unterstützen, sich in Österreich einzuleben. Am 8. Oktober hielt die Initiative #SicherSein am Minoritenplatz in Wien eine Mahnwache gegen Abschiebungen nach Afghanistan ab. 2017 forderten Krieg und Terror in Afghanistan rund 10.000 zivile Opfer, das Flüchtlingshilfswerk UNHCR warnt vor der gefährlichen Situation im Land. Selbst der UN Sicherheitsrat hat 2018 bestätigt, dass es sich bei Afghanistan nicht um ein Nach-Konflikt-Land, sondern um ein Land, das wesentlich von kriegerischen Handlungen geprägt ist, handelt. Dennoch werden Menschen aus Österreich und auch aus Deutschland weiterhin nach Afghanistan abgeschoben. Im Rahmen der Mahnwache am Minoritenplatz erzählen drei Frauen, die sich als Patinnen für Geflüchtete engagieren, von ihren Erfahrungen mit den Jugendlichen.
Jawid* ist 2011 nach Österreich bekommen, nicht lange darauf übernahm Mary K. eine Patenschaft für den damals minderjährigen unbegleiteten Flüchtling aus Afghanistan. Sieben Jahre später erzählt Mary K. mit Tränen in den Augen stolz von einer Erfolgsgeschichte: Die Lehrabschlussprüfung hat Jawid bereits bestanden, nun bereitet er sich auf die Matura im kommenden Frühjahr vor. Eine Prüfung dafür hat er bereits abgeschlossen, doch der Weg zu diesem Erfolg war nicht immer leicht. Vor allem die ständige Ungewissheit über den Aufenthaltsstatus in Österreich belastet alle Beteiligten bis heute. Eigentlich wollte Mary auch eine Unterkunft für Jawid suchen: „Wir waren auf der Suche nach einer geeigneten Wohnung, doch das erwies sich als ziemlich schwierig. Nachdem wir einige Schüler- und Studenten-WGs besichtigt hatten, habe ich Jawid gefragt: „Du, was hältst du von einer Senioren-WG mit meinem Mann und mir?“ Zwar lacht Mary heute darüber, in Wirklichkeit bedeutete ihr dieser Einzug viel. Sie wollte einem jungen Menschen ein zu Hause und Geborgenheit zu geben.
Auch Susanne S. ist Patin, sie erzählt die Geschichte von Rashed*. Der junge Afghane kam 2015 als 16-Jähriger nach Österreich. Seit dem Sommer 2016 hat Susanne neben vier erwachsenen Kindern nun auch einen Patensohn. Rashed erledigte im Laufe der Zeit alles, was man in Österreich von ihm erwartet: Er legte eine Deutsch-Prüfung ab, ist Stammspieler im Fußballverein, und er hat eine Praktikums- und Lehrstellenzusage. Dennoch im Frühling 2018 der Schock: Die Beamten lehnen den Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes ab. In der Begründung heißt es, Rashed sei als Person nicht glaubwürdig, zudem sei er in Österreich nicht verankert. Rashed legte dagegen Beschwerde ein, das Verfahren läuft. Im Gespräch zeigt sich Susanne S. immer noch fassungslos über das Urteil, stärker integriert könne man kaum sein. Sie und ihre Familie geben die Hoffnung dennoch nicht auf. Der engagierte Jugendliche, meint sie, sei doch ganz klar eine Bereicherung, für ihre Familie, und auch für Österreich.
Elisabeth F. hat in der Vergangenheit bereits einige Patenschaften übernommen. Sie erinnert sich an einen besonderen Fall: Zahir* flüchtete 2015 nach Österreich, musste jedoch seine Familie in Afghanistan zurücklassen. Schnell fand er sich in Österreich zurecht, jedoch in ständiger Sorge um seine Familie. Als Zahir schließlich zum Christentum konvertierte, konnte er im Zuge einer Familienzusammenführung seine Familie zu sich holen. 2018 erhielt er plötzlich die Nachricht, dass ein Aberkennungsverfahren eingeleitet wurde. Elisabeth F. will die Hoffnung nicht aufgeben, dass das Verfahren doch noch einen guten Ausgang nimmt.
Die drei Erzählungen stehen für viele andere Lebensgeschichten. Im Gespräch wird klar, dass es hier nicht allein um Sozialarbeit und Unterstützung geht, sondern um mehr. Als Patin oder Pate wird man zur vertrauensvollen Ansprechperson, zum Freund oder sogar zur zweiten Familie. Mit Patenschaften gehen aber mit keine rechtlichen oder finanziellen Verpflichtungen einher. Vermittelt werden Patenschaften durch Vereine wie „PatInnen für alle“ oder „Connecting People“. Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nennt Barbara Preitler, Gründungsmitglied und Therapeutin beim Verein „Hemayat“ (der Folter- und Kriegsüberlebende betreut), drei wesentliche Motivationen, so eine Patenschaft einzugehen: Für Jugendliche sind Bezugspersonen wichtig, die sie beim Erwachsenwerden begleiten und dabei unterstützen, eine eigene Identität herauszubilden; als Vertrauensperson hilft man, sich in Österreich mit der neuen Sprache, mit der Kultur und sozialen Situationen zurechtzufinden; für traumatisierte Jugendliche bietet man eine stabile Beziehung und gibt Vertrauen und Sicherheit. Dabei kann jede/r Einzelne viel ausrichten und vor allem auch dazu beitragen: #sichersein.
*Namen von der Redaktion geändert
Die Initiative wird unterstützt von: Amnesty International, Rotes Kreuz, Samariterbund, SOS Kinderdorf und VIDC. Und mitgetragen von: Ärzte ohne Grenzen, Gesellschaft für bedrohte Völker, Kinderfreunde, Flüchtlingsprojekt Ute Bock, Plattform Asyl für Menschenrechte, Omas gegen rechts, SOS Menschenrechte, Play Together Now, Flucht Punkt Ländle, Flucht Punkt, Bleiberecht Salzburg.
ZUR AUTORIN:
Laura Marchler studiert Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien. Sie ist Redakteurin bei „Zündstoff“, der Zeitschrift der IG Publizistik.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo