Wenn es doch passiert
In Österreich steht Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch, seit 50 Jahren wird er nicht mehr bestraft. Wie ist es, in einem Land einen Abbruch zu haben, in dem das bis heute illegal ist?
Text: Milena Österreicher.
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Die Initiative „Aus Prinzip“ setzt sich für die Streichung des Paragrafen 96 aus dem Strafgesetzbuch ein, der Schwangerschaftsabbruch bis heute illegalisiert.
Ich dachte immer, das passiert nur den anderen, nicht mir“, sagt Johanna. Sie war Anfang zwanzig, als sie erfuhr, dass sie schwanger ist. Frisch aus dem Elternhaus ausgezogen, am Anfang einer Beziehung, eine belastende Zeit. Trotz Pille zeigt der Test ein positives Ergebnis. „Schon als Jugendliche sagte ich immer zu meinen Freundinnen, dass ich keine Kinder möchte“, erzählt sie. Mit ihrem damaligen Partner vereinbart Johanna, dass jede:r von ihnen eine Stimme bekomme: Er, sie und auch ihr Körper, der die Schwangerschaft austragen würde. Das Ergebnis: Drei Stimmen dagegen. Johanna macht sich online auf die Suche nach Informationen zum Abbruch. Dort stößt sie sofort auf viele Seiten von Abtreibungsgegner:innen. Es würden viele Falschinformationen kursieren. „Gerade mit Fotos aus viel späteren Schwangerschaftswochen werde Druck erzeugt“, berichtet Johanna. Als sie zu ihrer Frauenärztin geht, fragt diese sie mehrmals, ob sie sich wirklich sicher sei. Danach bekommt sie eine Liste mit Kliniken. Ihr damaliger Partner begleitet sie – keine Selbstverständlichkeit wie sie später im Aufwachraum feststellt, wo die anderen Frauen alleine sind. Auch die Klinik nutzt die Chance und gibt ihnen einen Fragebogen. Es seien so selten Paare gemeinsam da.
Ärztin Mirijam Hall äußert sich auch in der Öffentlichkeit zu Schwangerschaftsabbruch. Dafür wird sie angefeindet, erntet Hasskommentare und Drohbriefe. Aufhören ist für sie dennoch keine Option.
Eine Straftat
In Österreich steht Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch: Laut Paragraf 96 ist ein Abbruch mit einer Freiheits- oder Geldstrafe zu bestrafen. Paragraf 97 legt Ausnahmen fest, wann dieser straffrei ist. Dazu zählt unter anderem, dass ein Abbruch innerhalb der ersten drei Monate nach ärztlicher Beratung möglich ist. Im November 1973 wurde diese sogenannte Fristenregelung verabschiedet. Zuvor wurden Abbrüche mit bis zu fünf Jahren „schwerem Kerker“ bestraft. Seit 1975 ist die Fristenregelung gültig. Heute werden rund 30.000 Abbrüche pro Jahr in Österreich vorgenommen. So schätzt es zumindest Christian Fiala, Gynäkologe und Begründer des Ambulatoriums Gynmed, aufgrund der Zahlen in seiner Klinik. In Österreichs Kliniken kommen dabei auch Frauen aus naheliegenden Ländern, wie Polen oder Ungarn, wo noch restriktivere Gesetze gelten. Sie werden hier von Ehrenamtlichen der Initiative „Ciocia Wienia“ („Tante aus Wien“) unterstützt. Organisationen, die sich abtreibungskritisch zeigen, fordern immer wieder Erhebungen, wie viele und warum sich Frauen gegen die Schwangerschaft entscheiden. „Warum Frauen das tun, ist erforscht“, sagt Pamela Huck von der Initiative „Pro Choice Austria“. Dazu gehöre, dass der Zeitpunkt nicht passe, keine Kinder gewollt seien, die Partnerschaft unglücklich mache oder die Familienplanung bereits abgeschlossen sei. Wenn man die Anzahl erheben wolle, ginge das, wenn etwa die Krankenkasse die Kosten übernehmen würde.
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„SCHON ALS JUGENDLICHE WUSSTE ICH, DASS ICH
KEINE KINDER MÖCHTE“, SAGT JOHANNA.
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In Österreich kostet der Abbruch zwischen 380 und 800 Euro – je nach Bundesland und je nachdem, ob er in einem öffentlichen Krankenhaus oder einer Privatklinik durchgeführt wird. Johanna zahlte rund 500 Euro in einer Wiener Klinik: „Eine Menge Geld für mich damals als Studentin.“ Die Möglichkeit einer staatlichen Kostenübernahme in finanziellen Notlagen gibt es derzeit nur in Wien durch die MA 40, das Magistrat für Soziales, Sozial- und Gesundheitsrecht. Um auch andere Mädchen und Frauen zu unterstützen, die sich einen Abbruch sonst nicht leisten könnten, bildete sich deshalb 2018 der Verein „CHANGES for Women“. Anlass war der Fall einer Minderjährigen aus Niederösterreich, die durch eine Vergewaltigung schwanger wurde, und deren Familie einen Abbruch nicht bezahlen konnte. Es wurden privat Spenden gesammelt, später formierte sich der heutige Verein. „Unsere Arbeit basiert auf dem Solidaritätsgedanken“, sagt Isabel Tanzer von „CHANGES for Women“. Seit Beginn hätten sie rund 800 Frauen unterstützt. Allein im letzten Jahr kamen 400 Anfragen, knapp 250 Personen wurde etwas zugezahlt oder der Abbruch ganz übernommen.
Der Verein „CHANGES for Women“ berät mehrsprachig und unterstützt Mädchen und Frauen, die sich keinen Abbruch leisten können.
Druck und Scham
„Ich habe keinen Tag an meiner Entscheidung gezweifelt“, sagt Johanna heute. Nach dem Abbruch habe sie sich aber schlecht gefühlt, auch weil sie wusste, sie hatte eigentlich eine Straftat begangen. „Warum darf mir eine Gesellschaft und ein Staat so ein schlechtes Gewissen machen?“, fragt sie. Johanna will keine genauen Angaben über sich in der Zeitung lesen. Das Thema ist bis heute ein gesellschaftliches Tabu. Als Johanna begann, im Freundeskreis darüber zu sprechen, erzählten einige Frauen, sie hätten auch schon einen Abbruch gehabt. „Das war überraschend für mich“, sagt Johanna. Sie wünsche sich mehr Personen, die über das Thema sprechen – auch öffentlich.
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IN ÖSTERREICH KOSTET DER SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH
ZWISCHEN 380 UND 800 EURO.
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Zu diesen Personen zählt Mirijam Hall. Sie ist Assistenzärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe an der Klinik Ottakring, wo sie auch Abbrüche vornimmt. „Es ist ein Menschenrecht, über seinen eigenen Körper bestimmen zu dürfen“, sagt Hall. Sie spricht deshalb über Schwangerschaftsabbrüche, etwa bei Veranstaltungen der Initiative „Aus Prinzip“. Diese ist ein Zusammenschluss von NGOs, Privatpersonen sowie Politiker:innen der SPÖ und der Grünen, der sich seit letztem Jahr für die Streichung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafgesetzbuch einsetzt. „Man braucht eine dicke Haut, wenn man sich in der Öffentlichkeit dazu äußert“, sagt die Ärztin. Unter anderem sei ein sehr aktiver Abtreibungsgegner aus Deutschland auf sie aufmerksam geworden. Er stellte Kontaktdaten und Fotos von ihr und ihrer Familie, darunter von ihrem kleinen Sohn, auf seine Webseite, bezeichnete Hall als „Henkerin von Ottakring“ und stellte Holocaust-Vergleiche an. Seine Anhänger:innenschaft versah sie mit Hassnachrichten und Drohbriefen. „Ich bin mit meinem Dienstgeber, der sehr unterstützend ist, sämtliche Klagswege gegangen“, erzählt die Ärztin. Noch sind Verfahren anhängig, zumindest einige Aussagen musste der Webseiten-Betreiber bereits vom Netz nehmen. Hall empfiehlt Betroffenen, eine Auskunftssperre machen zu lassen und sich ein Netzwerk an unterstützenden Menschen zu suchen, etwa bei „Aus Prinzip“ oder der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung. Sie lese heute nicht mehr alle Nachrichten und gehe auch nicht mehr allein auf Veranstaltungen, wo es um das Thema geht.
Weg mit dem Paragrafen: Unterstützer:innen der Initiative „Aus Prinzip“ zerschneiden Ende November 2023 symbolisch den Paragrafen 96 des Strafgesetzbuches.
Hoffnung auf Änderung
Auch Johanna ist vorsichtig, wem sie von ihrem Abbruch erzählt. Auf Social Media kommentiert sie ab und zu Posts von anderen, äußert sich aber nicht zu ihren eigenen Erfahrungen. Hoffnung geben ihr hingegen Entwicklungen in einigen EU-Ländern. So nahm Frankreich dieses Jahr das Recht auf Abtreibung in die Verfassung auf. Deutschland strich vor zwei Jahren das sogenannte Werbeverbot, das zuvor das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen untersagt hatte. Auch auf europäischer Ebene formieren sich Initiativen. So knackte die EU-Bürger:inneninitiative für einen sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen „My Voice, My Choice” im August in zehn Ländern die Gültigkeitshürde.
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„MAN BRAUCHT EINE DICKE HAUT, WENN MAN SICH ÖFFENTLICH
ZUM THEMA SCHWANGERSCHAFTSABBRUCH ÄUSSERT“
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Auch Österreich überschritt die Schwelle von 13.395 Unterschriften. Bis nächsten April muss EU-weit eine Million gesammelt werden, damit das Anliegen auf höchster EU-Ebene behandelt wird. Momentan steht die Petition bei etwas mehr als der Hälfte an notwendigen Unterschriften. „Vielleicht kommt es so eines Tages auch dazu, dass der Paragraf in Österreich endlich aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird“, sagt Johanna. Dies scheine machbar, wenn nicht nur ein paar Frauen, sondern die ganze Gesellschaft dies fordere.
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