Wer nicht genug verdient, gehört nicht dazu
Um die österreichische Staatsbürgerschaft erlangen zu können, muss vor allem das Einkommen stimmen. Armutsbetroffene oder davon gefährdete Personen werden damit ganz bewusst außen vor gelassen.
Text: Naz Küçüktekin.
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Rund 1,7 Millionen Menschen. 19 Prozent der österreichischen Bevölkerung. So groß ist die Anzahl der Gruppe an Menschen, die in Österreich leben, aber keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Und dieser Ausschluss kann zu Armutsgefährdung führen.
Wenn man keine österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, kann das ein Nachteil am Arbeitsmarkt sein. Manche Berufe sind überhaupt nur mit dieser Staatsbürgerschaft in Österreich möglich.
„Mir sind zwar keine Studien bekannt, die einen direkten Zusammenhang darlegen“, sagt Franjo Marković, Referent in der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der Arbeiterkammer Wien mit Schwerpunkt Migrations- und Integrationspolitik, „aber wir wissen von den allgemeinen Problemen, die viele Menschen mit Migrationsgeschichten haben, zum Beispiel, dass sie vermehrt in prekären Arbeitssituationen landen.“
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ALLEINERZIEHERIN AMINA MÜSSTE EIN
NETTOEINKOMMEN VON 1.625,71 EURO HABEN.
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Auch für die Politolog:innen Tamara Ehs und Gerd Valchars ist zur Beantwortung der Frage, warum Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft im Durchschnitt öfter armutsgefährdet sind, zentral, sich anzuschauen, wer denn alles in diese Gruppe fällt. „Dann sieht man nämlich eine Strukturierung nach Klassen“, erklärt Ehs. Es sei eine Frage von Geld haben oder kein Geld haben. „Wir sehen etwa in Wien, dass nur sechs Prozent der öffentlich Bediensteten nicht wahlberechtigt sind, also keine österreichische Staatsbürgerschaft haben. Bei den Angestellten sind es um die 25 Prozent. Bei den Arbeiter:innen sind es 60 Prozent”, sagt die Politikwissenschafterin.
Staatsbürgerschaft nur mit Geld
Gerd Valchars formuliert es ähnlich: „Das ist kein Querschnitt durch die Bevölkerung, sondern hier sind bestimmte Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Personen mit Fluchterfahrung, überrepräsentiert.“ Personen, die ein geringes Einkommen haben, sollen demnach nicht Österreicher:innen durch Einbürgerung werden. „Das ist die Idee des aktuellen österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts”, erklärt Valchars. Wer nicht genug verdient, gehört nicht dazu.
Das liege laut der drei Expert:innen vor allem an den hohen finanziellen Anforderungen, die eine österreichische Staatsbürgerschaft mit sich bringt. Neben einmaligen Kosten ist diese nämlich auch mit einer Einkommensgrenze verbunden, die für viele unerreichbar ist. Franjo Marković, Referent in der Abteilung Arbeitsmarkt und Integration der Arbeiterkammer Wien, verdeutlicht das mit folgendem Beispiel: Amina ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und arbeitet Teilzeit im Handel. Sie verdient durch diese Arbeit monatlich 1.190 Euro netto. Zusätzlich zur Familienbeihilfe in Höhe von 287 Euro steht ihr ein Kindesunterhalt in Höhe von 300 Euro pro Kind zur Verfügung. Die monatliche Miete für die Wohnung beträgt 700 Euro, die monatliche Kreditrate 100 Euro. Nach Abzug der Aufwendungen muss die Familie ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.625,71 Euro nachweisen. Diese Familie hat keine Chance auf die österreichische Staatsbürgerschaft, denn ihr bleiben monatlich nur 1.277 Euro über.
Frauen sind besonders vom Ausschluss betroffen, so Franjo Markovic´ von der AK Wien.
Frauen besonders betroffen
Das Beispiel verdeutlicht, dass Frauen nochmals stärker betroffen sind. Teilzeitfalle sowie Gender Pay Gap sind hier zentrale Stichworte. „Frauen arbeiten öfter in Teilzeit, oft in sogenannten Frauenberufen, die schlechter bezahlt werden. Sie werden dadurch de facto von vornherein von einer Staatsbürgerschaft ausgeschlossen“, erklärt Franjo Marković.
Auch könne wiederum das nicht Vorhandensein einer Staatsbürgerschaft am Arbeitsmarkt negative Auswirkungen haben. Manche Berufe, wie etwa Richter:in oder Polizist:in, sind überhaupt nur mit einer Staatsbürgerschaft möglich. „Wer die Staatsbürgerschaft des Landes, in dem er oder sie lebt, hat, hat bessere Chancen, sich selbst am Arbeitsmarkt, aber auch im Bildungsbereich zu verwirklichen. Und wer höhere Bildungsabschlüsse hat, ist weniger oft arbeitslos und hat Berufe mit höherem Einkommen“, sagt Politologe Gerd Valchars.
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OHNE ÖSTERREICHISCHE STAATSBÜRGERSCHAFT
BLEIBEN GEWISSE LEISTUNGEN VERSPERRT.
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Außerdem betont Valchars, dass eine Staatsbürgerschaft Zugang zu bestimmten Leistungen biete, die ohne sie versperrt bleiben. So standen Kärnten und Oberösterreich zuletzt in der Kritik, weil sie Drittstaatsangehörige, wie Ukrainer:innen, die großteils in privaten Unterkünften wohnen, vom Energiebonus ausschlossen. Zuvor gab es einen ähnlichen Sachverhalt in Bezug auf den Wohn- und Heizkostenzuschuss in Niederösterreich. „Und das erzeugt oder verstärkt natürlich die Armutsgefährdung. Auch muss man dazu sagen, dass es hier zwar über die Unionsbürgerschaft der EU einen relativ guten Zugang zu sozialen Rechten gibt, Drittstaatsangehörige da aber nicht gleichermaßen erfasst sind und erst ab einer längeren Aufenthaltsdauer Anspruch erhalten“, erklärt der Politikwissenschafter. Ein Beispiel, das Arbeitsmarkt- und Integrationsexperte Marković noch einwirft, ist die oftmals langwierige Feststellung des Aufenthaltsstatus von ausländischen Staatsbürger:innen, wenn es um Sozialleistungen wie Kinderbetreuungsgeld, Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe geht. „Wir haben in unserer Beratung oft Mütter, die Probleme mit dem Kinderbetreuungsgeld haben. Denn um dieses zu bekommen, muss man auch bei der Krankenkasse einen rechtmäßigen Aufenthalt nachweisen. Das dauert oft sehr lange“, erzählt er. Marković berichtet von Fällen, wo er gemeinsam mit Betroffenen ein Jahr lang um das Kinderbetreuungsgeld kämpfte. „In diesem Zeitraum bekommen sie aber kein Geld, was natürlich auch die Armutsgefährdung verstärken kann”, sagt der Experte. Dieses Problem betreffe sowohl EU-Bürger:innen als auch Drittstaatsangehörige.
Einkommensschwächere Gruppen haben oft nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und können somit auch nicht wählen. Ein demokratiepolitisches Problem, sagt Politologin Tamara Ehs.
Deutsche Reform als Vorbild
Auf die Frage, ob es Beispiele in der Europäischen Union gebe, die das Thema Staatsbürgerschaft besser handhaben, antwortet Gerd Valchars nüchtern mit einem: „Ja, so ziemlich alle anderen“. Ein Beispiel sei Deutschland. Dort ist eine Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes, das einen schnelleren Zugang zur Staatsbürgerschaft sowie Doppelstaatsbürgerschaften ermöglicht, derzeit Gegenstand parlamentarischer Verhandlungen. Der Entwurf der Koalitionspartner würde auch vorsehen, dass Kinder nicht-deutscher Eltern, die in Deutschland geboren sind, direkt eine deutsche Staatsbürgerschaft bekommen, sofern ein Elternteil schon seit fünf Jahren in dem Land lebt, statt wie aktuell erst nach acht Jahren. In Österreich existiert derzeit keine Form des sogenannten „ius soli“. Das hat zur Folge, dass der Anteil der in Österreich geboren Kinder mit ausländischer Staatsbürgerschaft immer größer wird.
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POLITOLOGE VALCHARS:
„FAST ALLE ANDEREN EU-STAATEN HABEN EIN BESSERES MODELL“
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Für Politologin Tamara Ehs ist diese sowie die allgemeine Entwicklung in puncto Staatsbürgerschaft, auch auf einer demokratiepolitischen Ebene problematisch. „Denn wir sehen, dass vor allem die Arbeiterschaft, also Handwerker:innen, Pfleger:innen oder Reinigungspersonal, nicht wahlberechtigt ist. Das heißt dann auch, dass die Interessen einer ärmeren Gruppe überhaupt nicht entsprechend in unseren Landtagen und Parlamenten vertreten sind.“ Die Schere, wie sich das Wahlvolk und die tatsächliche Bevölkerung zusammensetzen, gehe immer weiter auseinander. Auf der Strecke bleiben dabei, wie so oft, jene, die es sowieso schon schwerer haben.
Naz Küçüktekin war bei der Wiener Bezirkszeitung, dem biber Magazin, bei Profil und zuletzt beim Kurier tätig, wo sie sich im Ressort „Mehr Platz“ vor allem mit migrantischen Lebensrealitäten beschäftigte. Das tut sie nun weiterhin als freie Journalistin.
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