Wie lange ist man Gast in einem Land?
Eser Akbabas Eltern wurden vor 50 Jahren als „Gastarbeiter“ nach Österreich eingeladen. Politiker greifen die Gastarbeiter-Idee immer wieder neu auf. Bis heute wird aber den „alten“ Gastarbeitern ihr „neues“ Zuhause verwehrt.
Kommentar: Eser Akbaba.
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Meine Eltern, Gülistan und Ali Akbaba, sind vor genau 50 Jahren aus der Türkei nach Österreich gekommen. Sie wurden im Zuge des „Raab-Olah-Abkommens“ als sogenannte Gastarbeiter nach Österreich eingeladen. Damals wie heute brauchte man sie. Im Unterschied zu heute hatten meine Eltern damals keine Ahnung, was sie hier in Österreich erwartet. Heute gibt es das Internet, man kann sich erkundigen, was das Land bietet, wie die Kultur ist und welche Rechte und Pflichten man als Zuwanderer:innen hat.
Meine Eltern hatten nur die Einladung der österreichischen Regierung in der Tasche und ein bisschen Geld – that’s it. Angekommen in Österreich war meine Mutter sehr enttäuscht, da es in Sankt Pölten damals relativ karg war – ein paar Bauten und das war’s. Zu meinem Vater sagte sie schließlich: „Und das ist dein Europa?“ Als Analphabetin hatte es meine Mutter besonders schwer. Keine Chance, die deutsche Sprache zu erlernen, weil es keine Deutschkurse gab. Heute ist das zumindest anders.
Das Ziel der „Gastarbeiter“ damals war, nach einiger Zeit wieder in die Heimat zurückzukehren. Doch das Rotationsprinzip scheiterte und die meisten „Gastarbeiter“ sind geblieben. Österreich wurde nach und nach ihre Heimat. Diese „neue“ Heimat wird ihnen aber seit jeher verwehrt. Sie kamen als billige Arbeitskräfte, mussten sehr hart schuften, um hier ein Leben für sich und ihre Kinder aufzubauen. Und das, um sich auch nach 50 Jahren (!) anhören zu müssen, dass sie eigentlich nie wirklich herzlich willkommen waren und bis heute nicht sind.
„Wenn wir den Bedarf nicht anders decken können, ist es logisch, dass wir zeitlich begrenzt nach unseren Bedürfnissen und nach unseren Vorgaben Leute ins Land lassen“, griff FPÖ-Chef Herbert Kickl im ORF-„Sommergespräch“ im August 2023 die „Gastarbeiter“-Idee wieder auf. Meine Frage ist: Was sind denn „unsere Vorgaben“ und was versteht Kickl unter zeitlich begrenzt? Aus der Geschichte wissen wir, dass es damals nicht funktioniert hat. Wo sind nun die Konzepte?
Den Arbeitskräftemangel, den wir jetzt haben, werden wir so schnell nicht ausgleichen können, denn die Letzten der Babyboomer-Generation gehen ab nächstem Jahr in Pension und wir haben jetzt schon Engpässe, zum Beispiel in den Schulen, in der Pflege etc. Deshalb kann der Vorschlag von FPÖ-Chef Herbert Kickl, Gastarbeiter als „maximale Übergangsituation“ zu sehen, nicht wirklich umsetzbar sein.
Es braucht viel mehr, damit wir diese Menschen, die wir ja so dringend brauchen, nicht nach 50 Jahren noch als „Gastarbeiter“ betiteln. Denn wie sagt es mein Vater so schön: „Wie lange ist man denn Gast in einem Land?“
Eser Akbaba ist Fernsehmoderatorin, Autorin, Podcasterin („Deutsche Sprache, schwere Sprache“), Keynotespeakerin und DaF/DaZ-Trainerin. Ihre Laufbahn als ORF-Wettermoderatorin begann sie im Oktober 2009. Mehr zur Geschichte ihrer Eltern gibt es im Buch „Sie şprechen ja Deutsch“ von Eser Akbaba und Jürgen Pettinger (Kremayr & Scheriau, 2020) zu lesen. Sie lebt und arbeitet in Wien.
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