
Wie von einem anderen Stern
Männer sind öfter bereit, sich mehr um die Kinder zu kümmern, Alte zu versorgen und die Hausarbeit zu teilen. Doch das ist nach wie vor eine Minderheit. Woran liegt das? Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Eva Bachinger, Fotos: Karin Wasner
"Beim AMS gab es offiziell für mich keinen Berater für Wiedereinsteiger, das ist für einen Mann nicht vorgesehen. Mir wurde deshalb eine Beraterin für Gleichbehandlungsfragen zugewiesen. Und bei der Geburt unseres ersten Kindes durfte ich beim erstmaligen Wickeln und Baden der Neugeborenen durch die Hebamme nicht dabei sein. Das sei nur Müttern vorbehalten, hieß es.“ Manuel Juan Ibanez erzählt von seinen Erfahrungen: Er ist Vater von drei Kindern – bald vier – und war bei allen Kindern in Karenz. Ein rares Exemplar, denn in Österreich macht das nur jeder fünfte Vater, die meisten nehmen nur zwei Monate.
Mediale Bilder scheinen trotzdem zu vermitteln, dass sich etwas ändert: Männer, die in Interviews von Schwächen erzählen, prominente Schauspieler, die sich als fürsorgliche Väter präsentieren. Die Kampagne „Echte Männer gehen in Karenz“, initiiert von der ehemaligen Frauenministerin Gabriela Heinisch-Hosek, zeigte harte Jungs mit einem Baby am Schoß. Die Partner von Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger und Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger gingen in Karenz, auch der Partner von Justizministerin Alma Zadic hat das vor. Finanzminister Gernot Blümel meinte während des Wiener Wahlkampfes, dass er ein schlechtes Gewissen habe, weil er seine kleine Tochter so wenig sehe. Der ehemalige Verteidigungsminister Gerald Klug nahm sich nach der Geburt seines Kindes ein Monat Zeit.
Gibt es also neue Väter, vielleicht sogar eine „neue Männlichkeit“? Sind Geschlechterrollen im Wandel? Fragt man ExpertInnen, ergibt sich ein differenziertes Bild: Für Männerforscher Erich Lehner ist das alte Männerbild noch sehr verwurzelt und präsent. Denn der entscheidende Parameter für eine grundlegende Veränderung sei das Verhalten von Männern bei familiären Verpflichtungen. „Ein Papa am Wochenende, der den Kinderwagen schiebt und am Abend der Spielpapa ist, ist ein erster Schritt, entscheidend ist, wie die Aufteilung unter der Woche ist. Von Gleichberechtigung sind wir hier nach wie vor weit entfernt. Man muss natürlich anerkennen, dass es Bewegung gibt, aber nur in einzelnen Gruppen. Wenn man weiß, wie viele Männer Teilzeit arbeiten, ihre pflegebedürftigen Angehörigen betreuen oder Hausarbeit übernehmen, dann sprechen diese Zahlen nicht sehr von Veränderung.“
Philipp Leeb, Verein poika: „Es gibt einen furchtbaren Maskulismus.“
Männer, die übers Feuer hüpfen
Philipp Leeb, Gründer und Obmann von poika, ein Verein zur Förderung gendersensibler Bubenarbeit, stellt auch einen Backlash fest: „Es gibt einen furchtbaren Maskulismus, Männer, die in den Wald gehen und übers Feuer hüpfen, sie sollen wieder richtige Männer werden.“ Andererseits gibt es in den Medien verschiedene Bilder vom Mannsein, die vorbildhaft wirken können. „Heute ist ein Mann mit Kinderwagen sicher kein Thema mehr, vor 50 Jahren war das noch anders. Man sieht Männer zusammensitzen und die Kinder trudeln um sie herum. Es kommt durchaus vor, dass 20 Männer am Spielplatz sind und nur zwei Frauen.
Doch solche Bilder gab es in Wien auch schon am Karl-Marx-Hof um die Jahrhundertwende. Da standen Männer im Hof, wo die Kinder spielten und politisierten.“ Aus seiner Sicht sei Männlichkeit – abgesehen vom existierenden biologischen Fakt – eine Konstruktion, die hergestellt werde; ein Bild, das vorgibt, wie ein Mann zu sein hat. „Eigentlich gibt es auf die Frage, was ist männlich, keine Antwort. Da ist bereits die Frage zu hinterfragen.“ Davon, dass „alte Männerbilder“ von einzelnen politischen Parteien gerne vor allem bei Migranten festgemacht werden, hält Männerforscher Lehner wenig: „Natürlich bringen sie Lebensgewohnheiten aus ihren Herkunftsländern mit, aber es gibt hier Lernpotenzial. Es spricht nichts dagegen, dass sich Einstellungen ändern, wenn die Bedingungen anders sind.“
Angst, das Gesicht zu verlieren
Die Zahl der Männer, die in Österreich in Karenz gehen, sei „extrem niedrig“, kritisiert Leeb, vor allem im Vergleich zu nordischen Staaten. Dennoch, merkt er an, sollte man die offiziellen Zahlen mit Vorsicht genießen. Schließlich können sich Männer, wenn sie selbstständig arbeiten oder arbeitslos sind um das Kind kümmern, ohne dass sie in Karenz sind.
Die Entscheidung hängt laut ExpertInnen grundsätzlich nicht so sehr mit Bildung oder Herkunft zusammen, sondern, ob es ein Bewusstsein dafür gibt, wie wichtig das für Männer, Frauen und Kinder sein kann. Generell würden nach wie vor die Frauen in den Vordergrund gerückt. Sie bekommen die Kinder, sie stillen sie, sie kümmern sich um sie. Auch Frauen selbst wollten das oft so. Dass das ein Mann macht, sei immer noch wie eine Art Privileg, ein Bonus. „Väter werden argwöhnisch beäugt. Man ist sich nicht sicher, ob sie es auch können, und bedenkt nicht, dass auch Frauen den Umgang mit Kindern erst lernen müssen. Es gibt nach wie vor nicht die Selbstverständlichkeit, ich bin Vater, ich geh in Karenz. Es ist Thema, aber nicht wirklich ansprechend und sexy. Viele Männer haben nach wie vor Angst das Gesicht zu verlieren.“
Das Bewusstsein ist das eine, doch entscheidend sind die Rahmenbedingungen: Finanzielle Sorgenfreiheit erleichtert die Entscheidung beim Kind zu bleiben. Zudem: Für Beamte wie die Partner von Köstinger und Meinl-Reisinger ist es erheblich leichter in Karenz zu gehen, als für Männer in der Privatwirtschaft. Dass Frauen Karriere machen und ihre Männer „zurückstecken“ ist jedenfalls nach wie vor nicht selbstverständlich. Ökonomische Zwänge entscheiden: Wer weniger verdient, geht in Karenz, und das ist in den allermeisten Fällen die Frau.
Doch es gibt nun auch Ausnahmen. Wenn Manuel Ibanez seinen Alltag schildert, erinnert das an eine klassische Aufteilung, nur eben umgekehrt: „Kochen mag meine Lebensgefährtin nicht so sehr, das übernehme ich. Sie versucht untertags zwei Stunden freizuschaufeln, damit ich mich mal hinlegen kann. Denn die Nächte sind natürlich auch anstrengend, vor allem der mittlere Sohn ist ein Nachtvogel. Sie hilft mir, wo sie kann. Bis alle Kinder im Kindergarten sind, bleibe ich jedenfalls zuhause. Ich bin eher der häusliche Typ, beruflich nicht so ambitioniert.“ Ibanez ist Dolmetscher für Italienisch und Spanisch, seine Lebensgefährtin Lehrerin. Sie arbeitet Vollzeit und hat auch besser verdient als er. Nach dem Mutteschutz kehrte sie in den Job zurück, Manuel blieb bei den Kindern. Der 36-Jährige macht die Erfahrung, dass sein Lebensmodell „überhaupt noch nicht normal“ sei. „Ich erlebe nach wie vor festgefahrene, alte Strukturen. Ich kenne keinen anderen Mann, der so wie ich über längere Zeit in Karenz war.“ Er will die Zeit mit den Kindern nicht missen und würde sich wieder so entscheiden: „Entwicklungsschritte kann ich miterleben, den ersten Zahn, das erste Wort, den ersten Schritt. Ich habe eine enge Beziehung zu ihnen. Das versäumen leider viele Männer.“
Florian Lems, Ärzte ohne Grenzen: „Für mich ist es kein Widerspruch, Mann und Vater zu sein, der sich um die Kinder kümmert.“
„Wie von einem anderen Stern“
Florian Lems, Kommunikationschef bei „Ärzte ohne Grenzen“ war ebenfalls in Karenz, und zwar mit seinen Zwillingssöhnen vier Monate lang. Danach konnte er noch ein sechsmonatiges Sabbatical anhängen. Seine Familie hat positiv reagiert, grundsätzlich auch Freunde und Bekannte. Doch manchmal hat er das Gefühl, dass Meinungen nicht offen ausgesprochen werden: „Wenn man über die Aufteilung zwischen Partnern redet, merkt man, dass es nicht selbstverständlich ist, wenn sich der Mann gleichwertig einbringt. Es hat immer damit zu tun, ob man es wirklich will. Ich kenne Männer, die das einfach nicht möchten. Für mich ist es selbstverständlich und auch kein Widerspruch, Mann und Vater zu sein, der sich um die Kinder kümmert. Ich hoffe, dass es selbstverständlicher wird, denn es ist besser für alle, Frauen, Männer und Kinder. Es ist wesentlich für Kinder, dass auch der Vater präsent ist.“
Um gute Bedingungen zu schaffen, sind auch Arbeitgeber gefragt. Eine NGO wie „Ärzte ohne Grenzen“ scheint dafür ein Beispiel zu sein, wie Lems meint: „Mein Arbeitgeber steht dem Thema sehr aufgeschlossen gegenüber. Wir haben flexible Arbeitszeiten, was auch hilfreich ist.“ In einem Wirtschaftsunternehmen schaut die Sache anders aus: „Wir sind ein Saisonbetrieb, im Winter können wir nicht arbeiten und ich muss auch viele Regentage unter dem Jahr einplanen. Wenn dann in der Hauptsaison ein Mitarbeiter meint, er will nun in Karenz gehen, dann geht das einfach nicht. Dann kann er gleich zuhause bleiben“, schildert ein Salzburger Bauunternehmer. Dass ein Mitarbeiter, der gerade Vater geworden ist, zwei Wochen frei hat, sei schon ungewöhnlich und viel Zeit, meint er. Auf die Nachfrage, ob er nicht wie Betriebe, wo viele Frauen beschäftigt sind, Personalreserven für die Karenzvertretung bilden könne, kann er nur müde lächeln: „Wir suchen händeringend Fachpersonal, ich kann schlichtweg keine Reserve aufbauen“. In der derzeit ohnehin schwierigen wirtschaftlichen Situation sind solche Überlegungen „wie von einem anderen Stern“.
Philipp Leeb versteht diese Sichtweise, wenngleich er meint, dass ein Chef hier auch kapitalistisch denken könnte: Ein zufriedener Mitarbeiter ist ein guter Mitarbeiter. Trotzdem sei hier vor allem die Politik gefragt, Schwierigkeiten abzufedern. „Doch ich habe das Gefühl, es ist politisch nicht erwünscht. Man macht es Männern nicht einfach, während gleichzeitig der Vorwurf gegen sie im Raum steht. Bei Frauen ist es klar, dass sie in Karenz gehen oder Teilzeit arbeiten, aber sie erfahren dadurch ja auch Nachteile wie Kündigungen, einen Karriereknick oder Einkommensverluste.“ Auch Männerforscher Lehner betont, dass es nicht nur um persönliche Haltungen gehe: „Es ist klar, dass die Wirtschaft, die nach wie vor männerdominiert ist, bei diesem Thema mauert. Viele Männer scheitern an den Strukturen und an einem fehlenden positiven Klima in der Firma.“ Würden Strukturen durch politische Impulse verändert, folge die Anpassung. Das habe man in nordischen Ländern beobachten können, erklärt Lehner.
Kinderbetreuung und Hausarbeit gelten seit Jahrhunderten als Frauensache. Für Männer war Familie dennoch immer schon wichtig, als Statussymbol, als ein Zeichen von privatem Erfolg, aber emotional waren sie aufgrund der beruflichen Abwesenheiten oft nicht so mit den Kindern verbunden. Bei der jüngeren Generation scheint die Einstellung, dass der Job nicht mehr alles ist, ein wichtiger Faktor für eine andere Gestaltung zu sein. Darauf weist Lems hin, wenn er meint: „Die Frage ist auch, welchen Stellenwert hat Arbeit im Leben? Ist es das Wichtigste oder ein Teil des Lebens? Ich arbeite viel und gerne, aber es gibt noch andere Prioritäten.“
Leeb findet einen offenen Diskurs über Zuschreibungen von Männern und Vätern nötig sowie Angebote und positive Verstärker im Sinne von „wir unterstützen euch, kümmert euch um die Kinder.“ Er nimmt aber auch die Männer selbst in die Pflicht: „Stellt euch auf die Hinterbeine. Nicht das Kind gehört euch, aber ihr habt das Recht, Teil der Familie zu sein.“
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