
Wir haben viele Dinge umgesetzt
Die Grazer Kommunist*innen haben es mit Fokus auf das Thema Wohnen bis an die Spitze der Stadtregierung geschafft. Neo-Bürgermeisterin Elke Kahr über die Spielräume, Wohnpolitik auf kommunaler Ebene zu gestalten und warum sie gegen die steirische Leerstandsabgabe ist. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Aaron Münch, Antonia Reissner und Peter K. Wagner, Fotos: Peter Troissler
Graz, Rathaus. Zu Siegfried Nagls Zeiten hatte die Atmosphäre noch einen elitären Charakter, Pünktlichkeit, Anzug und Krawatte. Nun gibt es jedoch einen neuen Herrn im Haus – oder besser gesagt eine Frau: Die KPÖ Graz ist bei den Gemeinderatswahlen 2021 stärkste Kraft geworden, Siegfried Nagl wurde entthront und mit Elke Kahr steht erstmals eine Frau an der Spitze der Grazer Stadtregierung. Ein anderer Wind: entspannt, gelassen und freundlich werden wir begrüßt. Aus den angelehnten Büros rund um das Wartezimmer herum ist geschäftiges Treiben zu vernehmen, man hatte das Gefühl, im Rathaus wird nicht verwaltet, sondern tatsächlich gearbeitet. Bald darauf sitzen wir Frau Kahr in ihrem Büro an einem runden Tisch gegenüber. Sie hat viel zu erzählen und nimmt sich doppelt so lange Zeit wie ausgemacht war.
Frau Kahr, bei der vergangenen Wahl im Jahr 2021 hat Ihre Partei einmal mehr auf den Schwerpunkt „Wohnen“ gesetzt und ist damit stärkste Kraft geworden. Wie haben Sie das geschafft?
Die KPÖ ist seit 1998 für die Kommunalwohnungen zuständig. Darüber hinaus ist die KPÖ seit der Einrichtung des Mieternotrufs Mitte der 1990er Jahre mit dem Thema Wohnen eng verbunden. Ich selbst bin ab 2005 für das Wohnungsamt 12 Jahre lang zuständig gewesen. Wir haben da sehr viel erreicht. Wir haben mehr Gemeindewohnungen gebaut, den Kautionsfonds eingeführt und kürzlich erst verbessert. Wir haben die Möglichkeit einer städtischen Mietzinszuzahlung für Gemeindewohnungen oder Übertragungswohnbauten geschaffen. Die Leute wissen, dass wir für diese Sachen stehen und sie haben auch nichts davon, wenn man sie auf eine bessere Welt vertröstet. Was sie brauchen ist Hilfe, Unterstützung und das Gefühl, dass Worte und Taten übereinstimmen.
Die Grazer und steirische KPÖ unterstützen Menschen auch finanziell. Traditionell spenden Ihre Kolleg*innen und Sie einen Großteil der Bezüge, um sie direkt an Menschen in Not weiterzugeben. Kann die KPÖ neben der Symptombekämpfung auch nennenswerte Erfolge bei der Bekämpfung struktureller, sozialer Probleme vorweisen?
Die KPÖ hat in den Ressorts seit 1998 viele Verantwortungen gehabt. Wir haben Stadtteil- und Nachbarschaftszentren aufgebaut und das Budget dafür wird nochmals erhöht. In Zusammenarbeit mit der ÖVP haben wir 2015 die Kosten der Jahreskarte der Grazer Verkehrsbetriebe halbiert. Gleichzeitig ist die österreichweit einzigartige Sozialkarte unsere Errungenschaft. Sie beinhaltet für 13.000 Grazer*innen viele automatische Leistungen wie den Energiekostenzuschuss, die Weihnachtsbeihilfe, das Schulstartgeld, den Kleinkindbonus, die Mobilitätskarte und vieles mehr. Der Kautionsfonds ist 2010 von uns eingeführt worden. Die Mietzinszuzahlung haben wir politisch und außerparlamentarisch erkämpft. Auch haben wir versucht, die Politikerprivilegien abzubauen. Die Klubförderungen der Partei werden an den „Graz-Hilft-Fonds“ gespendet, der beim Sozialamt eingerichtet ist. Wir haben viele Dinge umgesetzt, alles zu erwähnen würde jetzt zu weit führen.
Kahr war 12 Jahre lang für das Wohnungsamt zuständig. Es wurden mehr Gemeindewohnungen gebaut, der Kautionsfonds eingeführt und eine städtische Mietzinszuzahlung geschaffen.
Sie haben in Ihrer Antrittsrede von einem „Blick von unten“ auf die Stadt Graz gesprochen. Ist dieser Blick in Ihrer neuen Rolle noch möglich?
Es ist wurscht, in welcher Aufgabe oder Rolle ich da bin. Die Leute achten nicht auf deine Funktion, ich bin ja der gleiche Mensch geblieben. Ich könnte gar nicht anders, ich sehe mich eher als Aktivistin, denn als Politikerin. Es kommen jede Woche hunderte Leute zu mir persönlich. Das ist mir auch wichtig, das habe ich mein Leben lang so gehalten, denn viele Errungenschaften der KPÖ sind durch das persönliche Gespräch entstanden.
Wie geht es Ihnen mit den neuen Aufgaben, wenn Sie etwa bei einem Spatenstich Hände schütteln müssen?
Ich gehe zu wenigen Spatenstichen, muss ich ehrlich sagen. Morgen werden Gemeindewohnungen übergeben und natürlich gehe ich dahin, weil mich interessiert, wer dort wohnen wird und, um zu betonen, wie wichtig es ist, in einem Haus zusammenzuhalten, egal, von wo man kommt. Da geht es viel um Wertschätzung. Darin sehe ich die Verpflichtung von Menschen in politischen Funktionen. Es geht nicht darum, auf einem Bild zu sein.
Welche Maßnahmen setzen Sie gegen die Ghettoisierung und gegen die Marginalisierung von Randgruppen, wenn es um das Thema Wohnen geht?
Es ist wichtig, dass die Stadt Graz ihre Steuerungsmöglichkeiten nicht aus der Hand gibt und Maßnahmen beim Erwerb von Grund und Boden setzt. Das haben wir auch gemacht. Wir haben über 1.000 neue Gemeindewohnungen, vor allem in Gebieten ohne bisherige Gemeindewohnungen, geschaffen. Ein weiteres Instrument wäre die Wohnbauförderpolitik, die ist aber Landessache. Deswegen haben wir letztens den Antrag gestellt, dass die Fördermittel an private Wohnbauträger mit einem bestimmten Anteil an Gemeindewohnungen zweckgebunden sein sollen. Das wäre die beste Steuermöglichkeit und das müsste man genauso bei der Altbausanierung und deren Förderung machen.
Sie sitzen auch hier, weil Ihrem Vorgänger Siegfried Nagl von der ÖVP vorgeworfen wurde, Immobilieninvestoren zu viel Raum für privaten Wohnbau zu geben. Welche Hebel haben Sie tatsächlich, um billigen Wohnraum zu schaffen? Die Anzahl der Gemeindebauten von Wien kann Graz nur schwer in einer Legislaturperiode erreichen.
220 Wohnungen werden alleine heuer übergeben. Man muss Grundstücke sichern und auch in die Richtung gehen, dass wir in Bestandshäusern Wohnraum sichern, wenn Wohnungen Privaten gehören und der Preis einigermaßen passt. Ich bin ja nicht der Meinung, dass nicht gebaut werden soll, die Frage ist aber für wen, wie und wo gebaut wird. Ansonsten gibt es natürlich keinen Hebel. Enteignen kann man ja niemanden, das ist ein Bundesgesetz und in der Verfassung geschützt. Ich betone das, weil das immer wieder uns gegenüber als kommunistischer Partei aufkommt.
Eine andere Steuermöglichkeit ist eine Leerstandsabgabe. Eine solche wurde kürzlich auf Landesebene beschlossen. Warum haben Ihre Kolleg*innen von der KPÖ Steiermark dagegen gestimmt?
Aus mehreren Gründen: Erstens, weil es ein Gesamtpaket war, welches aus mehreren Punkten bestand. Und andererseits, weil ich das nicht für ein taugliches Instrument halte. Du löst damit das eigentliche Problem nicht. Du kannst damit einen wohnungspolitischen Diskurs erreichen, aber diese leerstehenden Wohnungen sind zu teuer oder in marodem Zustand. Die Abgabe von bis zu 1.000 Euro zahlen diejenigen, die man treffen möchte, aus der Portokasse, und die anderen gängelt man damit sehr. Fachleute sagen, der vermutete Leerstand sei nicht so groß und die Wohnungsnot sei so akut, dass die Leute selbst überteuerte Wohnungen nehmen. Es ist mehr Aufwand, als es Nutzen bringt.
Fördermittel an private Wohnbauträgersollen mit einem bestimmten Anteil an Gemeindewohnungen zweckgebunden sein.
Welche Herausforderung bedeutete die Unterbringung von ukrainischen Geflüchteten für die Stadt Graz?
Da hat es einen Konsens über alle Maßen bei der öffentlichen Hand und vielen Privatpersonen gegeben. Die Messe als Ankunftseinrichtung war schnell auf eigene Beine gestellt. Wir haben Gemeindewohnungen tiptop hergerichtet. Durch die große private Hilfsbereitschaft ist die Wohnversorgung der ukrainischen Familien eigentlich nicht das Thema. Interessanterweise sind in Graz auch nicht so viele Menschen aus der Ukraine – etwa 2.500 gemeldet Hauptwohnsitze sind es Stand Ende April. Bei uns sind Gott sei Dank eher Menschen angekommen, denen es besser geht. Sie sind gut ausgebildet, mit vielen persönlichen Ressourcen. Was ich im Parteienverkehr mitbekomme, ist, dass sich aktuell viele nicht-ukrainische Geflüchtete als Geflüchtete zweiter Klasse sehen. Man muss schaffen, die Bedingungen für die eine Gruppe zu den Bedingungen für alle zu machen.
Noch eine Frage zum Ukraine-Krieg: Die steirische KPÖ wirbt für eine aktive Neutralitätspolitik ...
... das ist die Rolle eines neutralen Staates. Von unserem Land soll nie wieder ein Krieg ausgehen, das bedeutet auch keine Waffen zu liefern oder sich zu beteiligen. Der Geist der Kriegslogik, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten, endet in einer Dauerspirale der Gewalt. Wir haben probiert, die Gräben nach dem Jugoslawienkrieg – das mag ganz banal klingen – mit „Jugo“- Festen etwas zu schließen, und darum geht es: immer das Verbindende zu suchen, aber auch nichts zu beschönigen, die Welt kann nur friedlicher und besser werden, wenn man dafür kämpft. Mich sorgt, dass Länder wie Schweden jetzt bereit sind, ihre Neutralität aufzugeben. Wir reden gerade über marginalisierte Gruppen, wo wird denn das hinführen, wenn wir die Mittel in Aufrüstung stecken? Wir verwenden da Steuergeld, das wir dringend brauchen.
Die Gegenseite argumentiert, Russland habe eine Grenze überschritten und das könne man nicht akzeptieren.
Es ist nicht in Ordnung, keine Frage. Aber das war bei vielen anderen Kriegen auch so. War der Angriff auf Libyen richtig, auf den Irak? Die Souveränität jedes Volkes ist zu schützen und zu wahren. Selbstverständlich ist es eine Schweinerei, was in der Ukraine passiert. Ich tue mir mit dem Thema aber insofern schwer, als dass es dann im Reflex schnell heißt: „Natürlich, die Kommunisten sind Putin-treu.“ Nur, weil es einmal eine Sowjetunion mit Hammer und Sichel gab, sind das nicht unsere Bündnispartner. So etwas ärgert mich wirklich, es wird alles vermischt.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo