„Wir wollen keine lieben Richter, sondern korrekte"
Ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht auf faires Asylverfahren? Gibt es in Österreich nicht, sagen Andrea Mayrwöger, Doro Blancke und Wolfgang Salm. Für ihren Einsatz haben sie den Verein „Fairness Asyl“ gegründet. Ein Porträt. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Eva Maria Bachinger, Fotos Karin Wasner.
Wolfgang Salm, IT-Experte, recherchiert genau und formuliert bedächtig; Doro Blancke, Keramikerin, ist eine politische Kämpferin; Andrea Mayrwöger, eine Wegweiserin bei rechtlichen Fragen. Sie sind drei AktivistInnen für faire Asylverfahren, die sich unabhängig voneinander seit der Flüchtlingskrise 2015 um geflüchtete Menschen gekümmert haben. Über soziale Medien kamen sie in Kontakt und gründeten daraufhin den Verein „Fairness Asyl“. Das kam so: Wolfgang Salm hatte Flüchtlinge bei ihrem Asylverfahren begleitet, als ihm schon bald Ungereimtheiten auffielen. „Man erkennt bei den Bescheiden sehr schnell, dass hier massiv was falsch läuft. Am Anfang glaubt man es nicht und denkt sich, das muss ein Einzelfall sein, das kann es in Österreich nicht geben. Doch dann begleitet man den zweiten Flüchtling und unterhält sich mit anderen Helfern, die den eigenen Eindruck dann bestätigen“, erzählt Salm in einem Wiener Café. Er fasste zum Neujahr 2017/18 einen Vorsatz: „Ich wollte nicht mehr nur Freunden helfen, indem ich Deutschkurse organisiere oder eine Fahrkarte bezahle, sondern ich wollte versuchen diese Dinge öffentlich zu machen, damit auch andere Menschen davon erfahren, die nicht mit Asylwerbern zu tun haben.“
Das Mahringer-Gutachten
Der IT-Experte hat mittlerweile zehntausende Bescheide systematisch analysiert und viele Mängel festgestellt. Das berühmt-berüchtigte „Mahringer-Gutachten“ war ein Augenöffner. Der Afghanistan-Sachverständige Karl Mahringer hatte Anfang 2017 ein Gutachten für den Bundesverwaltungsgericht (BVwG) erstellt. Der Auftrag des Gutachtens bestand darin, die Versorgungslage in Afghanistan hinsichtlich der Situation abgeschobener AsylwerberInnen zu beurteilen. Mahringer stellte fest, dass junge Männer in Städten wie Kabul problemlos leben könnten. Seit diesem Zeitpunkt nahm man beim Bundesverwaltungsgericht regelmäßig auf das Gutachten Mahringers Bezug. Wie kam es zu dieser Beurteilung? Im Herbst 2016 hatte Europa ein „Joint Way Forward“-Abkommen mit Afghanistan ausgehandelt, das EU-Gelder nach Afghanistan lenkt und Afghanistan im Gegenzug verpflichtet, abgewiesene Asylwerber zurückzunehmen. Wolfgang Salm hat sich dieses „Mahringer-Gutachten“ genau angesehen: „Ich habe erkannt, dass die Literaturliste des Gutachtens ein absoluter Scheiß ist, wenn ich das so drastisch formulieren darf. Mahringer hat einfach irgendwelche Bücher, die sich mit dem Raum Afghanistan beschäftigen, in seine Literaturliste aufgenommen. Die meisten Bücher haben nichts mit seinem Auftrag als Gutachter zu tun, die aktuelle Situation hinsichtlich des Wohnraums, der medizinischen Versorgung oder der Arbeitsmöglichkeiten zu untersuchen. Ein Buch aus dem 18. Jahrhundert hat da nichts verloren. Auch ein Gedichtband ist absolut irrelevant und schlüpfrige Literatur aus dem 19. Jahrhundert in einem Gutachten zu finden ist schockierend. Dass Richter dieses Gutachten dennoch verwendet haben, ist die größere Frechheit, und dass sie dieses Gutachten auch noch als besonders vertrauenswürdig erachten, ist einfach nur schockierend“, ärgert sich Salm. Der IT-Experte hat daraufhin die Website „Fairness Asyl“ gestaltet und seine Erkenntnisse online gestellt. Zeitgleich wurde der Plagiatsgutachter Lukas Gahleitner von Amnesty International beauftragt, das Gutachten zu untersuchen. Das Ergebnis war ernüchternd: „als Entscheidungshilfe komplett untauglich“. Als der Fall öffentlich wurde, war die mediale Aufregung enorm. Es kam zu einer Prüfung der Urteile, und schließlich entzog man Mahringer die gutachterliche Zertifizierung. „Immerhin hat das bestätigt, dass seine Arbeit nicht den Qualitätsrichtlinien entsprochen hat. Der Haken daran ist aber, dass die Erkenntnisse, die auf dieses Gutachten fußen, dennoch ihre Gültigkeit behalten. Betroffene Asylwerber hätten zwar die Möglichkeit gehabt, eine Wiederaufnahme zu erwirken, doch aufgrund einer Frist von zwei Wochen sind die Betroffenen nicht mehr in Österreich. Das Gericht hätte die Möglichkeit, innerhalb von zwei Jahren zu prüfen, ob es zu falschen Entscheidungen gekommen ist. – Tut es aber nicht, auch das spricht Bände“, so Salm.
Hohe Fehlerquote
Salm bestätigt durch seine Analysen auch die sehr hohe „Fehlerquote“ des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA). Tatsächlich werden 42 Prozent der Asylbescheide in zweiter Instanz aufgehoben, das bedeutet, dass der zuständige Beamte des BFA nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht richtig entschieden hat. Bei Afghanen beträgt die Fehlerquote sogar über 50 Prozent. „Hier nicht einzuschreiten, um Verbesserung zu erreichen, ist scheinbar politisch gewollt“, vermutet Salm. Er hat aus seiner Praxis eine beobachtet, das falsch läuft, „nicht nur in Nischenbereichen“. „Es gibt massive Missstände, zum Beispiel, wenn Richter akzeptieren, dass Übersetzer nicht Deutsch verstehen und die Verhandlung dennoch fortsetzen. Natürlich gibt es in den Institutionen auch sehr gute Leute, aber es gibt genug Spielraum für Einzelne, die ihre privat politische Meinung voranstellen möchten und dementsprechend agieren. Das sollte nicht sein, denn rechtlich ist ja ein faires Asylverfahren garantiert.“ Für Doro Blancke, die sich ebenfalls schon lange für geflüchtete Menschen engagiert, steht fest, dass Österreich ein unabhängiges Asylverfahren gewährleisten muss. Man wolle sicher „keine lieben Richter, sondern korrekte“, ergänzt Blancke. Die Situation sei aber aufgrund des Personalmangels in der Justiz schwierig: Zwar habe man die erste Instanz, das BFA personell aufgestockt, das Bundesverwaltungsgericht aber nicht. Erst daraus entstünden die langen Verfahrensdauern, während die Betroffenen selbst zu Untätigkeit und enormer Geduld gezwungen werden. Blancke und Salm plädieren dafür, die großen Themen Migration und Asyl besser zu trennen, um Druck aus dem Asylwesen zu nehmen. Auch ihnen ist klar, dass viele Menschen aus Mangel an Zuwanderungsmöglichkeiten um Asyl ansuchen, aber eigentlich MigrantInnen sind. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang den Rückzug der türkis-blauen Bundesregierung vom UN-Migrationspakt, und auch die Haltung der SPÖ-Gewerkschaft, die sich gegen einen liberaler gestalteten Zuzug von Arbeitskräften wehrt.
Doro Blancke fällt es, anders als Salm, schwer, ruhig bei diesen Themen zu bleiben. Salm nennt sie „Kämpferin an der Front“: Blancke ist sehr aktiv in den sozialen Medien, betreibt einen Blog und hat in der Steiermark den Verein „Gib mir deine Hand“ gegründet. Seit 2014 begleitet sie Flüchtlinge, in letzter Zeit vor allem junge Afghanen. Sie war beteiligt, die Öffentlichkeit auf den Fall in Drasenhofen aufmerksam zu machen, wo junge Asylwerber hinter Mauern, bewacht von Securities mit Hunden untergebracht wurden. „Ich habe täglich mit den jungen Flüchtlingen zu tun. Ich koche für sie, ich höre ihnen zu, ich suche mit ihnen Lehrstellen, ich begleite sie zu den Verhandlungen und Interviews. Es ist erschreckend, wenn man die Ergebnisse, die Wolfgang recherchiert, kennt und sieht wie es den jungen Menschen geht. Da gibt es Autoaggression, Suizide, psychiatrische Diagnosen.“ Oft sei psychologische Hilfe dringend nötig, doch bei einschlägigen Vereinen dauert es bis zu einem Jahr, bis ein Platz frei ist. Blancke hat deshalb ein Netzwerk von Psychologen und Psychotherapeutinnen aufgebaut, die ehrenamtlich Hilfe leisten.
Anzeige gegen Kickl
Das Gespräch kreist um die Frage, was sich seit dem Jahr 2015, als hunderttausende ÖsterreicherInnen den ankommenden Flüchtlingen wochenlang geholfen haben, verändert hat. Warum ist die Ablehnung in der Bevölkerung nun so groß? Doro Blanckes Rezept gegen Unbehagen und Angst sind Begegnungscafés zwischen ÖsterreicherInnen und Flüchtlingen. „Da haben wir in ganz Österreich noch Aufholbedarf. Aber erst durch persönliche Begegnungen können Ängste abgebaut werden.“ Vom Hochschaukeln der Gefühle hält Blancke naturgemäß nichts: „Ich möchte in keinem Staat leben, in dem der Pöbel entscheidet, was die Justiz zu tun hat. Ich rede oft mit Menschen aus dem Mittelstand und erzähle ihnen Geschichten, die ich erlebe. Dann stellt sich heraus, dass sie oft keine Ahnung haben, was vor sich geht. Ihnen mache ich keine Vorhaltungen, aber dem Pöbel schon, der in FPÖ-Manier Abschiebungen verlangt.“ Die politische Rhetorik der türkis-blauen Regierung und ihre Gesetzesvorhaben wirken sich auch auf die Arbeit eines Vereins wie „Fairness Asyl“ aus. Salm merkte zunehmend, dass es in einer aufgehetzten Stimmung schwer fällt, die Arbeit des Vereins sachlich darzustellen. Immer wieder hatten auch hochrangige PolitikerInnen behauptet, dass AsylwerberInnen bzw. geflüchtete Menschen nicht arbeiten wollen, dass sie kriminell seien oder „Zuwanderer ins Sozialsystem“ wären. Im September beschloss der Verein schließlich, eine Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft gegen Ex-Innenminister Herbert Kickl wegen Verhetzung einzubringen. Bei seiner Rede am FPÖ-Parteitag hatte Kickl von einem „Triple-A-Rating“ Österreichs gesprochen und meinte damit „Aggressive Afghanische Asylwerber“. Zugleich steht der kleine Verein in regem Kontakt mit Nationalratsabgeordneten wie Alma Zadic (Grüne) und Stephanie Krisper (Neos). Sie haben mehrfach parlamentarische Anfragen auf Basis der Recherchen von Wolfgang Salm gestellt. Und man arbeitet mit mehreren anderen NGOs im Flüchtlingsbereich zusammen, unterstützt die Kampagne „Rettet die Justiz“ von Ex-Justizministerin Maria Berger oder berät unzählige ehrenamtliche HelferInnen bei deren Fragen. Der Verein sammelt Informationen zu Abschiebungen, Behörden, etc. und stellt diese zur Verfügung. Andrea Mayrwöger, Obfrau des Vereins, ist dabei federführend. Sie ist Mitbegründerin von “Hörsching hilft”, lebt in Oberösterreich und den Verein bei allen Anfragen im rechtlichen Bereich. Besonders erhellend sind die Textauszüge aus Asylbescheiden, die man auf der Website von „Fairness Asyl“ unter dem Link „Textperlen“ nachlesen kann.
Die Spenden, die der Verein erhält, gehen 1:1 in die Unterstützung für Flüchtlinge. Ihre Arbeit leisten die drei AktivistInnen ehrenamtlich, und das solle auch so bleiben, sagen sie, um möglichst unabhängig zu sein und um Kritik frei äußern zu können. Natürlich sei es nicht immer einfach, sich derart zu exponieren und wie im Fall Kickls einen Minister anzuzeigen. Aber, sagen die drei, sie hätten ein starkes inneres Motiv, weiterzumachen. Auch sie selbst waren bereits Ziel von Anzeigen, diese wurden letztlich aber von der Staatsanwaltschaft nicht weiterverfolgt, so Blancke. Für sie geht es, wie sie sagt, „ums Menschliche und um Menschenrechte, die mit Füssen getreten werden. Es muss klar sein, dass wir alle betroffen sind, wenn Menschenrechte nicht gewahrt werden.“ Salm ergänzt: „Wir sollten uns einfach an die Gesetze halten, die wir haben.“ In medialen Diskussionen werde häufig der Eindruck erweckt, es sei schlicht eine politische Meinung, dass man etwa Obergrenzen für Flüchtlinge festlegt. Salm: „Es geht aber nicht um private Meinungen oder politische Programme, sondern wir haben uns an die Verfassung zu halten. Ein Asylwerber ist ein Schutzsuchender, der ein Recht auf einen Asylantrag und ein faires Verfahren hat.“
Gemeinsam mit 25 anderen NGOs trägt der Verein „Fairness Asyl“ die Kampagne #FairLassen, die für eine unabhängige Rechtsberatung im Asylverfahren steht. In der unter Ex-Innenminister Herbert Kickl entwickelten Bundesbetreuungsagentur für Asylwerber*innen sollen Menschen auf der Flucht, isoliert von NGOs und Zivilgesellschaft, vom BMI auch rechtlich in ihren Verfahren vertreten werden. Die Kampagne fordert, dass das so nicht passieren darf. Unterstützen kann man die Petition unter: www.fairlassen.at/petition/
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