„Wohnen ist dringlich“
Die Corona-Maßnahmen und jüngst auch die Inflation haben Spuren hinterlassen. Clemens Mitterlehner, Geschäftsführer der ASB Schuldnerberatungen, über Problematiken und mögliche Hilfe. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Gunnar Landsgesell
Welchen Anteil hat Wohnen bei Ihren Schulden-Beratungsgesprächen?
Wir haben mit allen Problemlagen zu tun, von Kleinstschulden, wenn der Kirchenbeitrag nicht bezahlt wurde, über große Bankkredite, und alles was mit Wohnen zusammenhängt wie Miete, Energie, Internet. Unsere erste Aufgabe ist zu schauen, welche Unterlagen es gibt. Da tauchen oft Dinge auf, die den Betroffenen selbst nicht bewusst sind, weil sie Briefe gar nicht mehr öffnen. In dramatischen Fällen sehen wir auch, dass es schon einen Delogierungstermin gibt. Die Frage ist dann: Lässt sich die Situation noch bereinigen? Da tritt der Privatkonkurs völlig in den Hintergrund, weil es nun zu allererst um die Existenzsicherung geht.
Wer wird in diesem Fall aktiv?
Das kommt darauf an, wo die Person wohnt. Im städtischen Bereich gibt es spezialisierte Einrichtungen zur Wohnungssicherung. Im ländlichen Bereich, wo ich jahrelang Beratungen gemacht habe, gibt es das nicht so oft. In diesem Fall muss man sich als Schuldnerberater dann selbst bei der Wohnbaugenossenschaft um eine Ratenzahlung oder auch um die Abwendung der Delogierung bemühen.
Sind Mietrückstände oft das alleinige Problem?
Schulden sind Multiproblemlagen. Es ist selten, dass jemand mit einem spezifischen Problem kommt. Mehr als ein Drittel unserer Klient*innen ist arbeitslos, da spielt die Arbeitssuche eine Rolle, die Verknappung im Alltag, also die Armutserfahrung. Wohnen ist insofern dringlich, weil das gesichert werden muss. Das ist in jeder Beratung Thema: wie sicher ist die Wohnsituation? Das ist das kleine Ein-mal-eins des Schuldenberaters: zu schauen, ob die Situation ausreichend stabil ist, um darauf eine Schuldenregelung aufzubauen.
Wann kommen die Betroffenen zu Ihnen, ist da überhaupt noch Spielraum?
Die Menschen kommen meistens erst spät, wenn es gar nicht mehr geht. Oder wenn jemand aus dem Umfeld sagt: unternimm etwas. Auch das Kindeswohl spielt da eine Rolle. Ganz dramatische Fälle sind etwa, wenn jemand zu uns kommt, um die Kinder wieder zurückzubekommen.
Wie hat sich die Situation durch Corona verschärft, wenn regulär arbeitende Menschen in Not kommen?
Das ist fast der Klassiker: Auf der einen Seite ‚Working poor’, also Menschen, die arbeiten, und es geht sich trotzdem nicht aus. Auf der anderen Seite Menschen in relativ stabilen Situationen, wo etwas Unvorhergesehenes passiert, und aus der Verschuldung die Überschuldung entsteht. Durch Corona ist das häufig passiert: Ein Einkommen bricht weg oder fällt durch Kurzarbeit geringer aus. 20 Prozent weniger Einkommen kann die Situation zum Kippen bringen. Oder, ein eigentlich erfreulicher Grund: Ein Kind kommt auf die Welt. Das führt zu einer Kostensteigerung und einer Einkommensreduktion und immer wieder in eine finanzielle Überforderung.
Wie kann man als Schuldenberatung letztlich helfen?
Wir können beraten und an spezialisierte Einrichtungen weiterverweisen, und wir haben auch als wichtige Maßnahme das ‚betreute Konto’. Wenn Betroffene Probleme haben, ihr Geld richtig einzusetzen, nehmen wir für sie die Priorisierung vor: existenziell wichtige Dinge, wie die Wohnung, haben Vorrang. Alle Einkünfte von der Arbeit oder vom AMS gehen hier ein, werden priorisiert abgebucht, der Rest steht dem Betroffenen dann zur Verfügung.
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