Wollen wir autoritär?
Unzufriedenheit mit der Demokratie ist nach Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflationsrekord die neue Normalität in Österreich. Der damit verbundene Rechtsruck könnte auch die Demokratie gefährden. Warum autoritäre Tendenzen dennoch nicht in Stein gemeißelt sind.
Text: Edgar Subak.
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Für den tiefen Fall brauchte es nur fünf Jahre. Von 2018 bis 2023 krachte die Zufriedenheit mit dem politischen System in Österreich nach unten: Während 2018 noch knapp zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung mit dem politischen System zufrieden waren, war es 2023 laut Demokratie Monitor nur noch rund ein Drittel. Damit gehört Österreich im europäischen Vergleich zu den Unglücklichen. Laut einer Studie der Universität Wien nahm die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in den letzten Jahren neben Österreich auch in Polen und Tschechien ab. In anderen Ländern wie Deutschland, Frankreich und Ungarn blieb sie konstant. In Italien nahm die Zufriedenheit hingegen zu. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Inflationsrekord reichten sich in dieser Zeit die Hand.
Warum Menschen in Österreich so unzufrieden sind, erklärt sich der Historiker Oliver Rathkolb damit, dass immer mehr Menschen mit den Umbrüchen unserer Zeit überfordert sind. Neben der Migration sind die Digitalisierung und die sich verschärfende ökonomische Ungleichheit für viele ein großes Thema. Im ländlichen Raum stellen sich diese Umbrüche zum tradierten Status quo noch stärker ein.
Besonders armutsbetroffene Menschen zeigen sich mit dem politischen System unzufrieden. Nur 24 Prozent des untersten ökonomischen Drittels der Gesellschaft stimmt der Aussage zu, dass das politische System sehr oder ziemlich gut funktioniere. Beim reichsten Drittel der Gesellschaft sind es hingegen mehr als die Hälfte, die derselben Aussage zustimmen. Das Vertrauen in demokratische und staatliche Institutionen hängt stark mit dem Einkommen zusammen, schreibt die in Deutschland ansässige Hans-Böckler-Stiftung.
Laut einer aktuellen Studie wünschen sich 16 Prozent in Österreich einen „starken Führer“. Das sei der harte antidemokratische Kern. In Wirklichkeit würden aber mehr Menschen damit liebäugeln.
Wunsch nach starkem Führer
Unzufriedenheit zieht sich aber durch alle Schichten. Wozu dann noch Parlamentarismus und Aushandlung unterschiedlicher Interessen? Ob es nicht besser mit einem starken Führer gehen würde, der sich nicht um Parlament und Wahlen schert? Diese Frage bejahten in Österreich 16 Prozent, in Deutschland 17 Prozent. In Frankreich bereits 41 Prozent und in Italien 46 Prozent. Das ergab eine von Historiker Oliver Rathkolb im Frühjahr 2024 präsentierte Studie der Universität Wien. Die 16 Prozent in Österreich seien aber der harte antidemokratische Kern, in Wirklichkeit liebäugelt ein größerer Anteil mit dieser Aussage. Es gebe noch Hemmungen, sich positiv zum historisch belasteten Begriff des „Führers“ zu bekennen, erklärt Oliver Rathkolb im Gespräch.
Diese Unzufriedenheit manifestiere sich in Österreich mit dem Erfolg der rechtspopulistischen Partei FPÖ, die bei der vergangenen EU-Wahl 2024 erstmals in der Geschichte bei einer bundesweiten Wahl den ersten Platz errang. Dass diese Partei sich der Demokratieunzufriedenheit bedient, zeigt sich an der von der FPÖ geübten populistischen Strategie à la „Wir, das Volk, gegen die da oben“. Das Volk steht einer vermeintlich selbstgefälligen Politelite gegenüber. Und das, obwohl die Rechtspopulist:innen oft selbst Teil dieser Politelite sind, wie im Fall Herbert Kickl, dem ehemaligen Innenminister. Hinzu kommt, dass Rechtspopulist:innen Unsicherheiten sowie Ängste in der Bevölkerung schüren, die angeblich nur sie überwinden könnten.
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2005 LEBTE DIE HÄLFTE DER WELTBEVÖLKERUNG IN
AUTOKRATIEN, 2023 WAREN ES 71 PROZENT.
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Wo rechtspopulistische Kräfte an die Macht kommen, erodiert früher oder später auch die Demokratiequalität und das befördert autoritäre Regierungsformen. Geschehen ist das etwa in Ungarn unter Victor Orbán. Der Ministerpräsident verwandelte Ungarn durch die Kontrolle eines großen Teils der Medien und Änderungen der Verfassung nach 14 Jahren an der Macht in eine elektorale Autokratie. In elektoralen Autokratien werden formal noch Wahlen abgehalten, andere Elemente einer liberalen Demokratie – wie eine vielfältige, unabhängige Medienlandschaft, eine unabhängige Justiz und ein funktionierender Parlamentarismus – sind stark beschnitten. Auch global geht die Tendenz hin zu mehr Autokratien. 2005 lebte noch die Hälfte der Weltbevölkerung in Autokratien, 2023 waren es bereits 71 Prozent.
Wahlurne stoppt autoritäre Trends
Siege rechtspopulistischer Parteien sind jedoch nicht in Stein gemeißelt. Trotz autoritären Trends in vielen Ländern kehrten etwa Polen, Slowenien, Tschechien und Brasilien durch Wahlen zurück zur liberalen Demokratie beziehungsweise sind auf bestem Weg dorthin. „Autoritäre Trends können an der Wahlurne gestoppt werden. Dafür braucht es eine zivilgesellschaftliche Mobilisierung vor den Wahlen und die Rückkehr zu Rechtsstaatlichkeit nach den Wahlen“, erklärt Hauke Hartmann, Demokratie-Experte der Bertelsmann Stiftung in einer Aussendung.
Historiker Oliver Rathkolb sieht Möglichkeiten, den Autoritarismus-Wunsch zu verringern.
Als letztes Mittel gilt die demokratische Zivilgesellschaft, die auf den Straßen demonstrieren geht und so politischen Druck aufbaut. Dieser Druck kann im Zusammenspiel mit Verfassungsgerichten oder Wahlbehörden freie Wahlen erzwingen und so politischen Einhalt autoritärer Figuren erzielen. Justiz, Medien und eine kritische Zivilgesellschaft sind gute Mittel gegen autoritäre Verschiebungen innerhalb von Demokratien, heißt es weiters von der Bertelsmann-Stiftung. Auch dem Parlament und den Parteien selbst komme eine wichtige Rolle zu. Denn sie prägen den öffentlichen demokratischen Diskurs mit.
Was autoritären Tendenzen weiter Wind aus den Segeln nimmt, ist ein gestärktes soziales Miteinander. „Besonders der ländliche Raum, der von Abwanderung sowie sinkenden Arbeitsplätzen geprägt ist, braucht mehr Aufmerksamkeit“, erklärt Oliver Rathkolb. Die Schaffung von Arbeitsplätzen, aber auch mehr Kulturangebote und soziale Netzwerke könnten der Unzufriedenheit dort entgegenwirken. Daneben sei Bildung auch ein Mittel gegen autoritäre Entwicklungen. Nicht nur formale Hochschulabschlüsse, sondern Angebote der Erwachsenenbildung und Fortbildungen geben das Rüstzeug an die Hand, nicht jedem Demagogen oder jeder Demagogin alles zu glauben.
Edgar Subak war für die (alte) Wiener Zeitung, den Kurier und die Süddeutsche Zeitung tätig und ist Redaktionsmitglied im „etc. magazin“. Vor kurzem absolvierte er das Journalismus-Kolleg der Österreichischen Medienakademie.
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