„Wünsche mir klare Haltung für Menschenrechte und gegen Rassismus“
Fast zwei Jahrzehnte leitete Ursula Struppe die MA 17 für Integration und Diversität. Nun blickt sie zurück auf die Wiener Integrationspolitik, die Kritik der ÖVP daran sowie die Haltung im Land gegenüber geflüchteten Menschen. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Naz Küçüktekin, Fotos: Magdalena Błaszczuk
Nach 18 Jahren an der Spitze der Wiener Magistratsabteilung für Integration und Diversität (MA 17) verabschiedete sich Ursula Struppe im Frühjahr dieses Jahres in die Pension. Im MO-Interview spricht sie über die Herausforderungen ihrer Arbeit, erzählt, warum sie sich Sorgen um die Stimmung gegenüber Geflüchteten macht, und reflektiert über das Verhältnis zu dem Österreichischen Integrationsfonds (ÖIF) und der Magistratsabteilung für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (MA 35).
MO-Magazin: Wie resümieren Sie ihre Zeit als Abteilungsleiterin der MA 17?
Ursula Struppe: Ich habe jeden Tag und jede Minute gern gearbeitet. Es war ein Job, der sinnstiftend war und Spaß gemacht macht. In dieser ganzen Vielfalt und in solch einer Querschnittsmaterie zu arbeiten, habe ich sehr genossen.
Das hat bestimmt auch viele Herausforderungen mit sich gebracht. Was waren die Größten für Sie?
Die MA 17 hat grundsätzlich zwei Zielgruppen: Die eine sind neu angekommene, zugewanderte Menschen und die andere, grob gesagt, die Mehrheitsgesellschaft. Die erste Zielgruppe ist die leichtere Übung. Die schwierigere Herausforderung ist es, wie man sensibilisieren, Bewusstsein bilden oder auch Haltungen verändern kann. In meinen 20 Jahren ist sicher viel weitergegangen, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir in vielen Dingen nicht noch immer dort stehen, wo wir zur Zeit von Jörg Haiders Ausländervolksbegehren gestanden sind.
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„In den letzten Jahren ist der Umgang mit Geflüchteten
zu einer menschenrechtlichen Herausforderung geworden.“
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Wo haben Sie den Eindruck, dass sich wenig getan hat?
Was mir Sorge bereitet, ist die Haltung gegenüber geflüchteten Menschen. Das steht auch in Verbindung mit der Denke über den Islam. Seit 9/11 hat sich der Fokus zunehmend verändert. In den letzten Jahren ist der Umgang mit Geflüchteten und die menschenrechtlichen Perspektiven dazu die große Herausforderung. Wenn ich an das fürchterliche Schiffsunglück, die hunderten Toten an den Außengrenzen von Europa, oder das, was die NGO SOS-Balkanroute regelmäßig berichtet, denke, sind das schwere menschenrechtswidrige Handlungen, die sich vor unser aller Augen abspielen. Da frage ich mich schon, wie das sein kann, dass das nach wie vor oder in gewisser Weise sogar fast mehr denn je stattfinden kann.
Wie haben sich die Veränderungen in der Migrationspolitik auf Ihre Arbeit ausgewirkt?
Mit den Themen an der Außengrenze hat die MA 17 nicht unmittelbar zu tun. Sie ist für jene zuständig, die in Wien leben und in irgendeiner Weise einen Aufenthaltstitel haben. Da gibt es vieles, was sich positiv verändert hat. Das, was Integration überhaupt bedeutet und dass es notwendig ist, Sprach- und Bildungsmaßnahmen zu finanzieren, das bestreitet grundsätzlich niemand mehr. Die Kompetenz in den Organisationen, sowohl im Bildungssystem als auch am Arbeitsmarkt ist ungemein gewachsen. Das Thema der Anerkennung von Qualifikationen war vor 18 Jahren noch Spezialistinnen und Spezialisten vorbehalten. Mittlerweile findet ein medialer Diskurs darüber statt. Das ist erstaunlicherweise unabhängig von den politischen Veränderungen in den jeweiligen Bundesländern passiert.
Dennoch wird, etwa von Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer, Wien vorgeworfen, bei der Integration versagt zu haben. Die Rede ist auch immer wieder von Parallelgesellschaften.
Was die ÖVP Wien gerne macht, ist, von verfehlter Migrationspolitik zu reden. Dafür ist laut österreichischer Verfassung aber der Bund zuständig. Mir ist auch nicht gelungen, zu verstehen, was Herr Mahrer konkret meint. Es geht bei den Vorwürfen auf der einen Seite um entsetzliche Gewaltfälle. Dann geht es darum, dass es am Brunnenmarkt keine österreichischen Standler gibt. Es ist ein pauschales Zusammenmischen von sehr unterschiedlichen Dingen. Es gibt in Wien keine Banlieues, keine Gegenden, die von einer ethnischen Gruppe dominiert werden. Parallelgesellschaft würde meinen, dass es sich um eine einzige Herkunftsgruppe handelt. Herr Mahrer meint aber eher Personen mit Migrationshintergrund, die, egal wo sie herkommen, eine Parallelgesellschaft darstellen. Das ist denkerisch schon nicht logisch.
Ein anderer Vorwurf ist oft jener der „Multikulti-Romantik“. Wie kann man in so einem Spannungsverhältnis Herausforderungen ansprechen?
Natürlich kann man nicht leugnen, dass es Menschen gibt, die ein elitäres Multikulti-Verständnis haben. Für die etwa andere, „exotische“ Speisen cool sind, die sich aber kaum mit den Menschen und dem Thema auseinandersetzen. Es gibt auch Leute, die den Eindruck erwecken, dass, wenn ich jemanden „Du Idiot“ nenne, und es ist jemand, der Migrationshintergrund hat, dann geht das nicht. Es muss aber die gleiche Normalität im Umgang mit allen herrschen. Man muss nicht mit allen Menschen gleich gut auskommen, aber sie als Menschen wertschätzen unabhängig davon, wo sie oder ihre Familien geboren sind. Den Vorwurf, dass Probleme geleugnet werden, gibt es ständig – obwohl die Stadt Wien seit vielen Jahren den Integrationsmonitor herausgibt, indem bei zentralen Handlungsfeldern die Herausforderungen und Probleme benannt werden.
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„Die ÖVP Wien spricht gerne von verfehlter Migrationspolitik.
Dafür ist aber der Bund zuständig.“
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Wie beurteilen Sie die Rolle und Arbeit des ÖIF im Bereich Integration?
Wenn ich auf die letzten 20 Jahre zurückschaue, muss ich sagen, dass das nicht immer ein sehr enges Verhältnis war. Es war immer eine sachliche Kooperation möglich, aber es gab schon unterschiedliche Sichtweisen: Jene, die zwischen der Bundespolitik und der Politik der Stadt Wien vorhanden waren und die sich natürlich auf den ÖIF bzw. die MA17 ausgewirkt haben. Das waren zum Beispiel unterschiedliche Sichtweisen auf die Wertekurse und mit welcher Semantik diese argumentiert wurden. Der ÖIF hatte viele Jahre auch einen starken Islam-Schwerpunkt, wo zum Teil sehr vielen Leuten mit einer ganz bestimmten Sicht die Bühne gegeben wurde.
Was für eine Sicht war das?
Eine, die problemorientiert ist und sehr einseitig artikuliert wurde. Eine, in der nicht vorkam, dass es patriarchale Vorstellungen unter anderen Zuwanderungsgruppen in gleicher Form gibt, oder auch in der österreichischen Mehrheitsgesellschaft. Aber in den letzten zwei Jahren gab es eine gute Kooperation mit dem ÖIF, gerade im Zusammenhang mit Ukrainer*innen.
Wurde der ÖIF unter Sebastian Kurz politisiert?
Ja, natürlich. Der ÖIF wurde zu einem wesentlichen Instrument des Staatssekretärs und späteren Bundesministers für Integration. Er war politisch eng an ihn und seine Vorstellungen angebunden.
Eine andere Organisation, die in der Außenwahrnehmung oft als Gegenpol zur MA17 gilt, ist die MA 35. Haben Sie das auch so empfunden?
Nein, das habe ich nicht. Die Kolleg*innen der MA35 waren immer schon mit enormen Herausforderungen konfrontiert, durch Gesetzesänderungen oder steigende Antragszahlen. Natürlich sind wir da in einer angenehmeren Position. Wir sind diejenigen, die den Leuten Deutschkurse und Informationsveranstaltungen anbieten.
Die ehemalige Leiterin der MA 17 für Integration und Diversität wünscht sich eine Reform des Einbürgerungsrechts. „Das Demokratiedefizit in Wien und die Zahl nicht wahlberechtigter Menschen ist skandalös“, sagt Ursula Struppe.
Quasi good cop, bad cop?
In gewisser Weise schon. Die MA 35 ist eine Behörde, die MA 17 unterstützt bei der Integration. Das sind unterschiedliche Aufgaben. Die Probleme, die es in der MA 35 gab und gibt, sind allgemein bekannt. Aber ich habe das Engagement der Abteilungsleiter immer bewundert. Ich hatte es viel leichter. Und es gibt viele engagierte Kolleg*innen bei der MA 35, die zum Teil unter schwierigen Umständen ihren Job machen. Man tut ihnen unrecht, wenn man sie pauschal verurteilt.
Was würden Sie sich in den nächsten Jahren von der österreichischen Integrations- und Migrationspolitik wünschen?
Ich würde mir wünschen, dass es eine klare Haltung und Engagement für Menschenrechte und gegen Rassismus gibt. Heruntergebrochen auf das Operative, glaube ich, dass wir eine Reform des Einbürgerungsrechts brauchen. Das Demokratiedefizit in Wien und die Zahl nicht wahlberechtigter Menschen ist skandalös. Doppelstaatsbürgerschaften müssen möglich gemacht und Einbürgerungshürden gesenkt werden. Vor allem für Kinder und Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind, muss man Lösungen finden. Ich glaube auch, dass man sich einiges im Bereich der erleichterten Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen überlegen muss. Denn Willkommenskultur würde auch bedeuten, Menschen wertzuschätzen, mit allem, was sie ausmacht – inklusive Ausbildung und Qualifikationen.
Naz Küçüktekin war bei der Wiener Bezirkszeitung, dem biber Magazin, bei Profil und zuletzt beim Kurier tätig, wo sie sich im Ressort „Mehr Platz“ vor allem mit migrantischen Lebensrealitäten beschäftigte. Das tut sie nun weiterhin als freie Journalistin.
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