Zeit der Gaukler
Statt sich der Lösung von Problemen zu widmen, betätigen sich Teile der Politik im Vorgaukeln von Scheinaktivitäten und absurder Kulturkampfrhetorik. Die Krisen werden dadurch nicht kleiner. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Alexander Pollak
Politik ist Handeln, um ein Gemeinwesen zu gestalten und zu lenken. Politik erfordert die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen und teilweise widersprüchlichen Bedürfnissen von Menschen und oft schwierig zu lösenden Problemen. Das ist anstrengend, gelingt selten perfekt und steht oft im Widerspruch zur Bedienung des eigenen Kernklientels.
Ein Teil der Politik weicht daher zunehmend auf eine andere Schiene aus. Statt sich ernsthaft mit den Krisen unserer Zeit zu beschäftigen, starten sie politische Scheinaktivitäten und Kulturkämpfe. Sie ziehen gegen „Genderwahn“, „Nichtnormale“, „Klimahysteriker“ oder „Regenbogenideologie“ zu Felde, oder inszenieren sich als „Retter des christlichen Abendlands“. Stolz präsentieren diese Politiker*innen Genderverbote, proklamieren sich und ihre Anhängerschaft als die einzig Normalen, erklären Feindlichkeit gegen Homosexuelle und Transsexuelle zu einem Akt der gesellschaftlichen Stärke und das Aufstellen von Gipfelkreuzen zum Rettungsanker für unsere Gesellschaft – und sie reden und reden ständig über all die Themen, von denen sie zugleich sagen, dass sie unwichtige Randthemen seien.
Ergänzt wird die Kulturkampfrhetorik um begriffliche Kreationen, die bildhaft einfache Lösungen vorgaukeln sollen, wie etwa die Rede von der „Asylbremse“, die man einfach betätigen könne, oder das absurde und gefährliche Bild von der „Festung Österreich“, das suggerieren soll, dass Selbsteinmauerung und Isolation paradiesische Zustände mit sich bringen würden.
Doch weder Kulturkampfrhetorik noch Scheinlösungen leisten irgendeinen Beitrag zur Verbesserung der konkreten Lebenssituation von Menschen und zur Bewältigung der Krisen unserer Zeit. Weder mildert das Propagieren des „christlichen Abendlands“ die rapide zunehmende Erderhitzung, noch senkt das Gerede von „normaldenkenden Menschen“ die für viele unerschwinglichen Wohnkosten. Genderverbote sind kein Beitrag zu Gleichberechtigung. Und das laustarke Proklamieren einer „Asylbremse“ hilft weder Fluchtursachen zu bekämpfen noch Menschenwürde zu sichern.
Die rhetorischen Verrenkungen der Politik sind inzwischen teilweise so atemberaubend absurd, dass selbst Boulevardmedien nicht mehr automatisch mitziehen. So entschied sich die Kronenzeitung zu dem bemerkenswerten Schritt, den Bundeskanzler in Form von „sieben ganz normalen Fragen“ daran zu erinnern, dass es ganz andere und wesentlich wichtigere Themen gebe als die von Nehammer rhetorisch in ein Schnitzel einpanierte Frage, wer und was normal oder nicht normal sei.
Massive Teuerung bei Lebensmitteln, Krise des Gesundheitssystems, explodierende Wohnkosten, Bildungsprobleme, Verfehlung der Klimaziele, rasante Bodenversiegelung, Kinder ohne Obsorge, immer mehr hier aufgewachsene junge Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, Benachteiligung von Mädchen und Frauen usw.
Die Liste an Herausforderungen, die Lösungen harren, ist lang. Und sie wird nicht kürzer, wenn sie mit Nichtthemen, Kulturkampfgehabe und strategisch platzierter Bullshit-Rhetorik zugedeckt werden.
Wir erleben gerade eine Hochzeit der politischen Gaukler*innen. Es ist eine für unsere Zukunft verlorene Zeit – und daher höchste Zeit, sie zu beenden. Parteien, die jeglichen ernsthaften Problemlösungs- und Gestaltungswillen vermissen lassen, haben unsere Stimme nicht verdient.
Unterstützen Sie jetzt unabhängigen Menschenrechtsjournalismus mit einem MO-Magazin-Solidaritäts-Abo