
Update: MuslimInnen und Islam in Österreich – 30 Fragen und Antworten
WICHTIG: Mit der Beantwortung von 30 häufig gestellten Fragen zu MuslimInnen und Islam in Österreich wollen wir Wissen stärken und Vorurteilen vorbeugen. Gemeinsam bilden nichtreligiöse Menschen und Angehörige unterschiedlicher Glaubensgemeinschaften die Zukunft Österreichs. Wir wollen zu Brückenbau, einem differenzierten Problembewusstsein, Dialog, Begegnung und Öffnung anregen. Fragen und Anregungen bitte an [email protected]
--> Fragen- und Antworten-Papier zu MuslimInnen und Islam in Österreich als PDF
Wie lange gibt es MuslimInnen schon in Österreich? |
Historisch hat auf dem Gebiet des heutigen Österreichs noch keine Religion ewig existiert. Die Geschichte der Religionen auf österreichischem Gebiet war und ist von einer Vielzahl an Ereignissen, wie Wanderbewegungen, Kriegen, reformatorischen und gegenreformatorischen Strömungen, teils gewaltvollen Missionierungen, religiöser Vertreibung und Verfolgung, völkischen Ausrottungsversuchen sowie Veränderungen durch Flucht und Migration geprägt. Im Zeitverlauf kam es zu teils markanten Änderungen der religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung. Von den heute bestehenden Religionen können der Katholizismus und das Judentum auf die längste Geschichte im Raum Österreichs zurückblicken. Darüber hinaus sind jedoch auch andere Religionen bereits Jahrzehnte oder Jahrhunderte in Österreich beheimatet.
Neben der Dezimierung des jüdischen Bevölkerungsanteils durch die Verbrechen des Nationalsozialismus und dem seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wachsenden orthodoxen und muslimischen Bevölkerungsanteil, kam es zu einer markanten Veränderung durch den rasant wachsenden Anteil von Menschen ohne Religionsbekenntnis. Waren 1961 lediglich 266.000 Personen in Österreich konfessionslos, so sind es heute Schätzungen zufolge bereits an die zwei Millionen Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft angehören. Die Gruppe der Konfessionslosen liegt damit heute nach den christlichen Glaubensrichtungen an zweiter Stelle in Österreich.
MuslimInnen sollen arabischen Quellen zufolge bereits im 10. Jahrhundert im Gebiet des heutigen Burgenlands gelebt haben. Andere Teile Österreichs erreichten MuslimInnen als Vorhut der osmanischen Truppen im 15. Jahrhundert. Im Jahr 1529 schlossen osmanische Truppen Wien ein. Sie mussten nach großen Verlusten und aufgrund fehlenden Nachschubs und des herannahenden Winters wieder abziehen. Eineinhalb Jahrhunderte später folgte 1683 eine weitere erfolglose Belagerung Wiens durch osmanische Truppen.
Die Geschichte der friedlichen Besiedelung Österreichs durch MuslimInnen reicht in das 19. Jahrhundert zurück. Ab 1878 stand Bosnien-Herzegowina, wo rund 600.000 MuslimInnen lebten, unter österreichisch-ungarischer Herrschaft. 1908 wurde Bosnien-Herzegowina annektiert und ein Teil der Habsburgermonarchie. 1912 wurde von der Monarchie das Islamgesetz erlassen, welches den Islam als Religionsgemeinschaft anerkannte. Zu dieser Zeit lebten in Wien rund 1.000 MuslimInnen. Innerhalb der k.u.k-Armee waren auch Imame zur Betreuung muslimischer Soldaten tätig.
Nach dem Zerfall der Donaumonarchie lebte nur noch eine geringe Zahl an MuslimInnen in Österreich. Bis 1939 bestand in Wien der so genannte „Islamische Kulturbund“, während des Zweiten Weltkriegs eine im Vereinsregister eingetragene „Islamische Gemeinschaft zu Wien“. 1951 entstand der „Verein der Muslims Österreichs“, der sich ausschließlich religiösen, sozialen und karitativen Aufgaben widmete.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kamen MuslimInnen als MigrantInnen nach Österreich. Am 15. Mai 1964 wurde ein Anwerbeabkommen zwischen Österreich und der Türkei unterzeichnet, um den Arbeitskräftemangel in Österreich auszugleichen und den Wirtschaftsaufschwung in Gang zu halten. Danach stieg der Anteil der muslimischen Bevölkerung kontinuierlich an. 1964 lebten etwa 8.000 MuslimInnen in Österreich. Bis 1991 stieg die Anzahl auf über 150.000 an. Mit dem kriegerischen Zerfall Jugoslawiens flohen auch zahlreiche MuslimInnen, vor allem aus Bosnien, nach Österreich. Bis 2001 stieg die muslimische Bevölkerung auf über 330.000 an. Nach 2001 kamen muslimische Flüchtlinge aus Afghanistan, der Russischen Föderation, dem Irak, Pakistan und Syrien nach Mitteleuropa. |
Wie viele MuslimInnen leben heute in Österreich und Europa? |
Die letzte Erhebung statistischer Zahlen zur muslimischen Bevölkerung in Österreich fand im Rahmen der Volkszählung 2001 statt. Laut der Erhebung der Statistik Austria 2001 lebten zu diesem Zeitpunkt 338 998 MuslimInnen in Österreich, was einem Anteil von 4,2% der Gesamtbevölkerung entsprach.
Seitdem gibt es nur noch Schätzungen. Hochrechnungen des Instituts für Islam-Studien aus dem Jahr 2013 sprechen von ca. 574.000 MuslimInnen, neueste Schätzungen von ca. 700.000 MuslimInnen (etwa 8% der Gesamtbevölkerung).. Angesichts der zunehmenden Flüchtlings- und Migrationsbewegungen wird von einem weiteren Zuwachs der muslimischen Bevölkerung in Österreich ausgegangen.
In Gesamteuropa waren im Jahr 2010 6% der Bevölkerung Menschen mit muslimischem Glaubensbekenntnis. Innerhalb des EU-Raums, der mehr als 500 Millionen Menschen umfasst, belief sich die Zahl auf ca. 19 Millionen (3,8%). Die häufigsten Herkunftsländer von MuslimInnen in Westeuropa sind Pakistan, die Türkei, Tunesien, Algerien und Marokko. |
Wie viele MuslimInnen sind in Österreich geboren und aufgewachsen? |
In der letzten genauen Statistik aus dem Jahr 2001 waren insgesamt 95.252 (ca. 28%) der MuslimInnen in Österreich geboren. Knapp die Hälfte der in Österreich lebenden MuslimInnen hatte zu Jahresbeginn 2009 die österreichische Staatsbürgerschaft. Siehe dazu: Bauer, Werner T. (2016) Der Islam in Österreich. http://www.politikberatung.or.at/uploads/media/Der_Islam_in_OEsterreich_01.pdf
Zu Menschen, die zum Islam konvertiert sind, gibt es weder in Österreich noch in Deutschland konkrete Zahlen. Konversionen können privat vor zwei männlichen Zeugen vollzogen werden, weshalb es oft keine schriftlichen Dokumentationen dazu gibt. Siehe dazu: http://www.spiegel.de/spiegelwissen/aus-welchen-gruenden-deutsche-zum-islam-konvertieren-a-898624.html |
Was sind die Herkunftsländer der nicht in Österreich geborenen MuslimInnen? |
Ein großer Anteil der nicht in Österreich geborenen MuslimInnen kam aus der Türkei und aus Bosnien. Weitere Herkunftsländer sind Russland, Serbien, Montenegro und der Kosovo. Es gibt noch keine Statistiken, in denen die aktuellen Flüchtlingsbewegungen berücksichtigt werden. In den letzten Jahren wurden aufgrund der Fluchtbewegungen Syrien, Afghanistan und der Irak zu zentralen Herkunftsländern von in Österreich lebenden MuslimInnen. |
Seit wann ist der Islam in Österreich als Religionsgesellschaft anerkannt? |
In Österreich wurde der Islam bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als Religionsgesellschaft anerkannt und hat dementsprechend hierzulande eine mehr als hundert Jahre lange Tradition. Im Staatsgrundgesetz von 1867 wurde in Österreich-Ungarn Glaubens- und Gewissensfreiheit gewährt. Darauf aufbauend entstand das Islamgesetz vom 15. Juli 1912. |
Welche unterschiedlichen islamischen Strömungen gibt es? |
Der Islam ist – wie jede andere Religion auch – im Laufe der Zeit sehr unterschiedlichen intellektuellen, kulturellen und sprachlichen Einflüssen ausgesetzt gewesen und wurde in unterschiedlichen Regionen unterschiedlich geprägt. So entstanden lokale Auslegungen des Korans und lokale Aussagen religiöser Gelehrter, die auf lokale Fragestellungen eine Antwort suchen.
Im Verlauf der Geschichte entwickelten sich diverse sich dem Islam zugehörig fühlende Gruppen, die sich in Bezug auf ihre religiösen Lehren und Traditionen unterscheiden. Die zahlenmäßig größte Gruppierung sind die Sunniten, die in den meisten islamischen Ländern und auch in Österreich die Mehrheit der MuslimInnen darstellen. Andere Strömungen sind die Charidschiten, die die Ausübung des Kalifenamts durch den bestqualifizierten Muslim – unabhängig von dessen Abstammung – fordern, und die Schiiten, die sich wiederum in einige Untergruppen teilen. Die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten beziehen sich in erster Linie auf die Frage nach dem rechtmäßigen Nachfolger Mohammeds.
Schiitische Gruppen sind etwa die Alawiten und die Aleviten (ob die Aleviten zu den Schiiten gezählt werden sollen ist allerdings nicht unumstritten). Beide Gruppen beinhalten auch nicht- bzw. vorislamische Elemente und werden deshalb von strenggläubigen Sunniten nicht als MuslimInnen anerkannt. 2013 wurden die AnhängerInnen der Islamischen Alevitischen Glaubensgemeinschaft in Österreich als eigenständige Religionsgemeinschaft anerkannt. Sie bilden nach den Sunniten die zweitgrößte islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich.
Auch innerhalb der unterschiedlichen islamisch-religiösen Strömungen herrscht eine große Vielfalt an Auslegungs- und Lebensweisen des Islam. Insgesamt kann daher weder von „dem Islam“ als einheitliches Glaubensgebilde noch von „den MuslimInnen“ als einheitlicher Gemeinschaft gesprochen werden. |
Welche Rechte haben MuslimInnen in Österreich? |
MuslimInnen haben von Gesetzes wegen die gleichen BürgerInnen- und Grundrechte wie alle anderen in Österreich lebenden Menschen. In Bezug auf die Ausübung der Religion kommen den MuslimInnen in Österreich als Mitglieder einer anerkannten Religionsgesellschaft die Rechte der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung, der selbständigen Ordnung und Verwaltung der inneren Angelegenheiten sowie das Recht der Nutzung und des Besitzes bestimmter Anstalten, Fonds und Stiftungen für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecke zu. Außerdem ist der Islam rechtlich mit anderen Religionsgesellschaften in Österreich gleichgestellt. Allerdings wurden im Zuge der Reform des Islamgesetzes einige umstrittene Sonderbestimmungen, etwa bezüglich der Finanzierung der Glaubensgemeinschaft erlassen (siehe den Punkt „Was beinhaltet die Reform des Islamgesetzes?“).
In der Praxis gibt es weitere rechtliche Konfliktfelder, unter anderem in Bezug auf die Errichtung von Moscheen und die (Voll-)Verschleierung von Frauen. In Vorarlberg und Kärnten wurden gezielt im Bereich der Bauordnung Rechtsvorschriften erlassen, um den Bau von Moscheen und Minaretten im Rahmen der verfassungsrechtlichen Religionsfreiheit zu erschweren. |
Was beinhaltet die Reform des Islamgesetzes? |
Im Februar 2015 wurde im österreichischen Nationalrat eine Novellierung des Islamgesetzes beschlossen. Mit diesen Neuerungen wurden, unter anderem, organisierte MuslimInnen in Österreich als Körperschaft öffentlichen Rechts definiert. Weiters wird das Recht von MuslimInnen auf religiöse Betreuung (SeelsorgerInnen) fixiert und islamische Speisevorschriften ausdrücklich anerkannt.
Umstritten ist das Verbot ausländischer Finanzierung, wodurch einige VertreterInnen der islamischen Glaubensgemeinschaft die Erhaltung von Moscheen und islamischen Friedhöfen gefährdet sehen. Diese Änderung wird vor allem in Hinblick auf eine Ungleichbehandlung der muslimischen Glaubensgemeinschaft gegenüber anderen Glaubensgemeinschaften in Österreich kritisiert. Laut Büro des damaligen Kultusministers Josef Ostermayer sei das Verbot allerdings nur eine Präzisierung einer bereits gültigen Norm, die für alle Glaubensgemeinschaften in Österreich gelte.
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Anerkennung von Religionsgesellschaften. Diese ist mit dem neuen Islamgesetz an bestimmte Bedingungen geknüpft, was dazu führt, dass nur noch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) und die Vertretung der Aleviten (ALEVI) anerkannt werden und andere islamische Vereine aufgelöst bzw. unter das Dach der beiden Religionsverbände gestellt werden müssen. Diese Regelung ist besonders in Hinblick auf die vielfältigen islamischen Strömungen umstritten.
Kritik gibt es auch daran, dass im neuen Islamgesetz Passagen enthalten seien, die einen Generalverdacht gegen MuslimInnen nähren würden. So wird im Islamgesetz ausdrücklich „die Pflicht zur Einhaltung allgemeiner staatlicher Normen“ erwähnt und „eine positive Grundeinstellung gegenüber Gesellschaft und Staat“ verlangt. In anderen Religionsgesetzen sind solche Passagen nicht enthalten. |
Wie sind islamische Verbände in Österreich organisiert? |
Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) und die Vertretung der Aleviten (ALEVI) sind für die offizielle Vertretung und Verwaltung der religiösen Belange in Österreich lebender MuslimInnen zuständig. Zu ihren zentralen Aufgaben gehören unter anderem islamische Erziehung und Ausbildung, die Fürsorge für Bedürftige und Kranke und die Errichtung und Erhaltung von Moscheen und anderen religiösen Einrichtungen. Die Finanzierung erfolgt über jährliche Mitgliedsbeiträge, die Verwaltung des islamischen Religionsunterrichts wird staatlich finanziert und die Erhaltung des islamischen Friedhofs in Wien vor allem durch Großspenden aus dem OPEC-Fond und der Botschaft von Katar.
Neben der IGGiÖ und ALEVI gibt es zahlreiche weitere Vereine, die für viele MuslimInnen die bevorzugte Organisationsform darstellen und nach ethnischen Kriterien oder Herkunftsländern organisiert sind. Viele dieser Vereine haben sich zu Dachverbänden zusammengeschlossen.
Die Türkisch Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich (ATIB) umfasst etwa 75.000 Mitglieder und mehr als 60 Vereine und ist somit der größte Verband von MuslimInnen in Österreich. Die ATIB untersteht dem türkischen Staat und wird für ihre enge Bindung zur Türkei kritisiert.
Zur Österreichischen Islamischen Föderation (AIF) gehören rund 30 Ortsvereine, die sich durch politischen Aktivismus in Österreich kennzeichnen und gut in der IGGiÖ integriert sind.
Die Union islamischer Kulturzentren (UIKZ) verfügt über mehr als 40 Gemeinden und legt den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf klassische, religiöse Erziehungstätigkeit.
Weitere Verbände sind zum Beispiel die bosnischer oder arabischer Muslime und die Schiiten Vereinigung Ahl-ul Bayt. |
Wie gestaltet sich der islamische Religionsunterricht in Österreich? |
Seit 1982/83 gibt es in Österreich islamischen Religionsunterricht an öffentlichen Schulen. Die Lehrpläne des Religionsunterrichts obliegen, ebenso wie die Besorgung des Unterrichts, der jeweiligen Religionsgemeinschaft, und sollen sich an den staatlichen Erziehungszielen orientieren. Der islamische Religionsunterricht wird in Österreich durch die öffentliche Hand finanziert. Die LehrerInnen werden in einem privaten Studienlehrgang beziehungsweise im Masterstudium „Islamische Religionspädagogik“ an der Universität Wien ausgebildet. Die Unterrichtssprache ist Deutsch. |
Wie viele Moscheen gibt es in Österreich? |
Die islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) nennt 248 registrierte Moscheen und islamische Gebetsräume in Österreich. Die älteste Moschee in Österreich steht in Wien Floridsdorf und wurde 1979 eröffnet. Sie ist auch eine der vier österreichischen Moscheen mit Minarett. In Telfs wurde 2006 ein Minarett an eine bereits bestehende Moschee gebaut. Drei weitere Moscheen mit Minaretten befinden sich in Graz, Bad Vöslau und in Saalfelden. |
Wie sind muslimische Jugendliche in Österreich organisiert? |
Muslimische Jugendliche sind sowohl in nichtmuslimischen als auch in muslimischen Organisationen engagiert. Zu den muslimischen Jugendorganisationen gehört die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ), die sich als unabhängige Jugendorganisation für muslimische Jugendliche in Österreich definiert. Neben Bildungsprojekten organisiert die MJÖ Workshops und setzt sich für ehrenamtliches Engagement in Österreich ein. Zentrale Aufgabe ist, laut eigenen Angaben, eine demokratische, partizipative und integrative Gestaltung des Lebensumfelds muslimischer Jugendlicher in Österreich.
Die MJÖ ist Mitglied der Österreichischen Bundesjugendvertretung (BJV) und wird vom Bundesministerium für Familie und Jugend (BMFJ) unterstützt.
Weitere muslimische jugendorganisationen in Österreich sind zum Beispiel die Alevitische Jugend Österreich (AJÖ), die Projekte im Bereich Jugendbildung und –arbeit für alevitische Jugendliche in Österreich organisiert oder die Interkulturelle Studentenvereinigung (ISV), die sich für die Anliegen muslimischer Studierender in Österreich einsetzt. |
Seit wann wird gegen MuslimInnen in Österreich politisch kampagnisiert? |
Mit der Übernahme des Parteivorsitzes der FPÖ durch Jörg Haider und der Neuausrichtung der Partei in Richtung Rechtspopulismus (bis hin zu Rechtsextremismus) kehrte die Schaffung von Fronten entlang von Kriterien wie Herkunft, Hautfarbe und Religion in massiver Weise in die österreichische Politik zurück. Während sich diese Frontenbildung anfangs vor allem allgemein auf „Ausländer“ konzentrierte, wurden im Verlauf der 90er Jahre TürkInnen und MuslimInnen als Feindbilder „entdeckt“, anhand derer sich Identitätsstiftung betreiben und polarisierende Debatten entzünden ließen.
Islamistisch motivierte Terroranschläge in den USA und Europa in den 2000er-Jahren wurden als Bezugspunkte für eine weitere Verschärfung der Polarisierung und zur Mobilisierung für Wahlkampfzwecke ausgenutzt. Seitdem macht in Österreich die FPÖ regelmäßig mit antitürkischen, antimuslimischen und pauschal gegen „den Islam“ gerichteten Wahlkampfslogans wie „Wien darf nicht Istanbul werden“, „Daham statt Islam“, „Mehr Mut für unser Wiener Blut“ oder „Abendland in Christenhand“ auf sich aufmerksam. Seit 2019 gibt SOS Mitmensch einen Bericht zu Antimuslimischem Rassismus in der österreichischen Politik heraus. |
Warum entzünden sich immer wieder Debatten bezüglich des Tragens von Kopftüchern? |
In einigen Ländern werden Frauen mittels repressiver Gesetze dazu gezwungen, sich in der Öffentlichkeit teilweise oder gänzlich zu verhüllen. Darüber hinaus gibt es in einigen Regionen dieser Welt und auch innerhalb von Familien gesellschaftlichen Druck auf Frauen, sich teilweise oder gänzlich zu verhüllen. Zugleich gibt es aber auch Frauen, die sich aus Gründen der Tradition, der Religion oder der Identitätsstiftung freiwillig verhüllen. So gibt es Familien, wo etwa die Mutter kein Kopftuch trägt, die Tochter aber schon. Es gibt auch Familien, wo die eine Schwester ein Kopftuch trägt, andere Schwestern aber nicht.
In der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion wird jedoch oftmals nicht auseinander gehalten, ob eine Frau sich freiwillig oder unter Zwang teilweise oder gänzlich verhüllt. Die Verhüllung der Frau wird vielfach generell als Symbol für Unfreiheit, Unterdrückung und auch Sexualisierung gesehen, bei der Frauen die Verantwortung auferlegt wird, ihre angenommene Attraktivität zu verstecken, anstatt dass Männern die Verantwortung auferlegt wird, sich respektvoll gegenüber Frauen zu verhalten, egal wie sie gekleidet sind.
Aus dem Anspruch der Freiheit von Frauen, sich so zu kleiden, wie sie es wollen, entstand in der öffentlichen Debatte immer wieder der Ruf nach Verboten für Frauen, die Haare und/oder das Gesicht zu verhüllen. Doch auch Verbote für Frauen stehen Freiheitsrechten von Frauen entgegen.
Die Diskussion um das Kopftuch wird von Teilen der Politik auch als Gelegenheit benutzt, um Fronten zu schaffen und zu verstärken. Denn das Kopftuch eignet sich als für alle sichtbarer Gegenstand besonders gut, um Fronten zu bilden, zu generalisieren und Vorurteile zu schüren – etwa Vorurteile, wonach Kopftuch tragende Frauen allesamt unfrei und unselbständig seien, allesamt nicht sprechen und schon gar nicht Deutsch sprechen könnten, allesamt kein Interesse an Bildung und Frauenrechten hätten und allesamt fundamentalistisch eingestellt wären. Kopftuch tragende Frauen werden in einem auf Frontenbildung ausgerichteten Diskurs zu einer homogenen Masse gemacht, Individualität und unterschiedliche Lebenssituationen und Entscheidungsgründe werden ihnen abgesprochen.
Darüber hinaus eignet sich das Kopftuch auch gut zur Erzeugung von Bildern. In vielen Medien wurde das Kopftuch als Bildsymbol für von außen kommende Menschen und für Fremdheit verwendet. Wenn von MigrantInnen die Rede ist, werden vielfach Bilder von Kopftuch tragenden Frauen – meist von hinten aufgenommen – gezeigt, ganz unabhängig davon, ob diese Frauen tatsächlich nach Österreich eingewandert oder in Österreich geboren und aufgewachsen sind. Nur selten wird diesen Frauen eine Stimme gegeben.
Teilweise wird von politischer Seite auch gezielt Neid und Hass gegen Kopftuch tragende Frauen geschürt. Etwa als der ehemalige FPÖ-Obmann Heinz Christian Strache in vielen Wahlkämpfen mit dem Satz auftrat: „Willst du eine soziale Wohnung haben, musst du nur ein Kopftuch tragen.“
Dass Kopftuch tragende Frauen im politischen Diskurs teilweise zur Zielscheibe von Neid und Hass gemacht werden, hat auch Konsequenzen im öffentlichen Raum, wo Kopftuchträgerinnen immer wieder Ziel von rassistisch motivierten Übergriffen werden. |
Gibt es in Österreich Verhüllungsverbote? |
Am 28. März 2017 beschloss der Ministerrat ein Verbot der Gesichtsverhüllung im öffentlichen Raum, welches mit 1. Oktober 2017 in Kraft tritt. Das Gesetz untersagt eine Verhüllung der Gesichtszüge durch Kleidung oder andere Gegenstände, womit das Tragen von Burkas und Niqabs im öffentlichen Bereich strafbar wird. Die Strafe für Missachtung des Verbots beträgt 150 Euro pro Vergehen.
Im November 2018 wurde das sogenannte "Kopftuchverbot für Kindergartenkinder" auf Basis einer sogenannten 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern im Nationalrat beschlossen. Die Vereinbarung ist mit dem Beginn des Kindergartenjahres 2021/22 zeitlich befristet. In dieser Vereinbarung verpflichten sich die Bundesländer zur Einführung eines Verbotes des Tragens "weltanschaulich und religiös geprägter Bekleidung, [...] die mit der Verhüllung des Hauptes verbunden ist“.
Das Kopftuchverbot für Volksschülerinnen wurde am 15.Mai 2019 durch den Nationalrat als einfaches Gesetz erlassen. Das Verbot ist geregelt in §43a Schulunterrichtsgesetz. Darin heißt es, dass "das Tragen weltanschaulich oder religiös geprägter Bekleidung mit der eine Verhüllung des Hauptes verbunden ist, bis zum Ende des Schuljahres, in welchem die Schülerinnen das 10. Lebensjahr vollenden" untersagt ist.
Auch im Schwimmunterricht ist das Tragen religiös geprägter Verhüllungen laut Rundschreiben des Bildungsministeriums untersagt. Die Bestimmung verbietet den Schülerinnen bis zum 10. Lebensjahr "das Tragen eines Ganzkörperanzuges mit losen Überkleid". Ab dem 10. Lebensjahr ist das Tragen eines Burkinis im Schwimmunterricht jedoch gestattet.
Gegen die Kopftuchverbote wurde von Seiten der Islamischen Glaubensgemeinschaft Österreich Klage beim Verfassungsgerichtshof erhoben. Ein Urteil steht noch aus.
Verbote am Arbeitsplatz: Der Oberste Gerichtshof urteilte Anfang Juli 2016, dass ein Verbot von Gesichtsschleiern am Arbeitsplatz zulässig sei. Der OGH urteilte, dass die Diskriminierung aufgrund des Tragens eines Kopftuchs ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgesetz darstelle. Der Gesichtsschleier sei aber ein Ausnahmetatbestand, da ein unverhülltes Gesicht zu den Grundregeln der österreichischen Kommunikation gehöre. Daher sei die Kündigung rechtens gewesen.
Ein Urteil des EuGHs im März 2017 stuft ein Verbot des Tragens von religiösen Kleidungsstücken und Symbolen am Arbeitsplatz unter bestimmten Bedingungen als keine verbotene Diskriminierung ein. Rechtens sei ein solches Verbot am Arbeitsplatz jedoch nur, wenn ein Unternehmen interne Regelungen festlegt, die das sichtbare Tragen aller ,politischen, philosophischen oder religiösen Zeichen‘ verbiete, und sich dadurch keine Ungleichbehandlung verschiedener Anschauungen und Religionen ergebe. Des Weiteren ist lediglich die Beschwerde eines Kunden oder einer Kundin über das Tragen eines religiösen Symbols kein ausreichender Grund für eine Kündigung der betroffenen Mitarbeiterin. Kritik an der Entscheidung des EuGH kam unter anderem von der Leiterin der deutschen Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders, da dieses ,Neutralitätsgebot‘ vor allem muslimischen Frauen den Zugang zum Arbeitsmarkt erschweren könnte.
Ein weiteres Konfliktfeld stellt das Tragen von so genannten Burkinis im Schwimmbad dar. Der zweiteilige Schwimmanzug mit integrierter Kopfbedeckung ist eine Form der Bademode, die es Frauen, die Körper und Haar bedecken wollen, ermöglicht, in öffentlichen Bädern schwimmen zu gehen. Wie andere Bademode auch, ist der Burkini meist aus Elastan gefertigt und entspricht somit den üblichen hygienischen Vorschriften. Trotzdem wurden in einigen Bädern Burkinis in der Badeordnung verboten. |
Gibt es in anderen europäischen Ländern Verhüllungsverbote? |
Belgien: 2011 führte Belgien als erstes europäisches Land ein Gesichtsverschleierungsverbot ein. Die Strafen können zwischen 15 und 25 Euro oder bis zu sieben Tagen Gefängnis liegen.
Frankreich: In Frankreich wurde 2011 ein Gesichtsverschleierungsverbot beschlossen, das die Bedeckung mit jeglichen Vollschleiern (Burka, Niqab) an öffentlichen Plätzen (Ausnahme: Gebetsstätten und private Fahrzeuge) verbietet. Verstöße werden mit einer Strafe von bis zu 150€ sanktioniert. Nach der Klage einer französischen Muslimin auf Verletzung ihrer Grundrechte der Religions- und Meinungsfreiheit sowie der Achtung des Privat- und Familienlebens, urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2014, das Verbot sei rechtens. Die Begründung des Urteils bezog sich auf Sicherheitsfragen und auf die Rolle des Gesichts bei zwischenmenschlicher Interaktion.
Schweiz: In der Schweiz wurde im Kanton Tessin ein Gesichtsverhüllungsverbot erlassen. Die Geldstrafen liegen hier zwischen 100 und 10.000 Franken.
Niederlande: In den Niederlanden wurde ein Verbot von gesichtsbedeckender Kleidung an öffentlichen Plätzen und Transportmitteln, nicht aber auf der Straße erlassen. Die Strafen liegen bei bis zu 405 Euro.
Bulgarien: In Bulgarien ist das öffentliche Verhüllen seit 2016 verboten. Ausnahmen gibt es für Gebetshäuser, im Beruf oder beim Sport. Bei einem Verstoß drohen Geldstrafen von bis zu 750 Euro.
Deutschland: Deutschland beschloss 2017 ein Gesichtsverschleierungsverbot für Beamtinnen, RIchterinnen und Soldatinnen im Dienst. Einzelne Schulen verbieten in ihrer Schulordnung das Betreten des Schulgeländes mit Verschleierung.
Dänemark: In Dänemark ist seit 2018 die Gesichtsverschleierung in der Öffentlichkeit verboten. Betroffen sind davon auch islamische Ganzkörperschleier, wie Burka und Niqab. Bei Verstößen drohen mehr als 100 Euro Bußgeld. |
Tragen alle Musliminnen ein Kopftuch? Tragen alle Muslime einen Bart? |
Nein. Ob und wann Musliminnen Kopftuch tragen, ist auf der einen Seite eine individuelle Entscheidung. Auf der anderen Seite wird diese Entscheidungsfreiheit vom gesetzlichen und gesellschaftlichen Umfeld in denen Musliminnen leben immer wieder eingeschränkt. Während es in einigen Ländern Kopftuchverbote in bestimmten Lebensbereichen gibt, werden Frauen in andern Ländern entweder per Gesetz oder durch gesellschaftlichen Druck zum Kopftuch oder anderen Verhüllungen gezwungen.
Dazu wie groß der Anteil an Kopftuchträgerinnen unter österreichischen Musliminnen ist, gibt es keine aussagekräftigen Daten bzw. Umfragen. Für Deutschland kam eine Umfrage aus dem Jahr 2009 zum Ergebnis, dass 30% der muslimischen Frauen ein Kopftuch tragen. Die 2012 veröffentlichte EURISLAM-Studie erhob für verschiedene westeuropäische Länder, dass die meisten muslimischen Frauen in Westeuropa in der Regel kein Kopftuch tragen.
Was das Tragen eines Bartes betrifft, kann man aus theologischer Sicht aus dem Koran – ebenso wie aus der Bibel – zwar eine Art Bartpflicht herauslesen. Die Auslegungen zu dieser Frage sind aber widersprüchlich. Praktisch lassen sich einige muslimische Männer aus religiösen Motiven einen Vollbart wachsen, andere nicht. |
Welchen Angriffen und Benachteiligungen sind MuslimInnen in Österreich fallweise ausgesetzt, nur weil sie MuslimInnen sind? |
Neben den politischen Kampagnen gegen MuslimInnen (siehe dazu dem Punkt „Seit wann wird gegen MuslimInnen in Österreich politisch kampagnisiert?“) wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle von antimuslimisch motivierten verbalen und tätlichen Übergriffen auf der Straße oder in öffentlichen Verkehrsmitteln registriert. Darüber hinaus gibt es Fälle, in denen Personen, die erkennbar MuslimInnen sind, im Bildungsbereich, bei Jobbewerbungen oder auch im Job benachteiligt werden.
Die Dokumentationsstelle für Muslime in Österreich sammelt an sie herangetragene Fälle von antimuslimischem Rassismus sowie Beobachtungen antimuslimischer Vorfälle online. Im Jahr 2015 wurden insgesamt 156 solcher Fälle registriert.
Die Vorfälle reichen von antimuslimischen Beschmierungen über Sachbeschädigung islamischer Einrichtungen, Diskriminierung am Arbeitsplatz und (Online-) Mobbing bis zu antimuslimisch motivierten verbalen und physischen Attacken auf Personen. 95% der Opfer dieser Vorfälle waren im Jahr 2015 muslimische Frauen. Die Betroffenen dieser – großenteils verbalen – Angriffe waren meist durch ihre Kopfbedeckung als Muslima erkennbar. Muslimische Frauen berichteten auch von Spuckattacken oder tätlichen Attacken.
Im ZARA-Rassismus Report werden rassistische Vorfälle in Österreich jährlich gesammelt und aufbereitet. Im Report des Jahres 2015 finden sich auch einige gegen MuslimInnen gerichtete Vorfälle, die von Beschimpfungen über Hasspostings bis zu Diskriminierungen an öffentlichen Institutionen, am Arbeitsplatz und anderen Orten reichen.
Seit 2019 gibt SOS Mitmensch einen Bericht über Antimuslimischen Rassismus in der österreichischen Politik heraus. |
Ist jede Kritik am Islam rassistisch? Was ist der Unterschied zwischen Religionskritik und antimuslimischem Rassismus? |
Antimuslimischer Rassismus beruht auf der pauschalen Abwertung und Abstempelung von Menschen allein aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit.
Antimuslimischer Rassismus bedeutet, dass MuslimInnen (bzw. Menschen, die für MuslimInnen gehalten werden), nicht nach ihren individuellen Handlungen beurteilt, sondern zu einer Gruppe erklärt und allein aufgrund von pauschalen Gruppenzuschreibungen bewertet und oftmals abgewertet werden.
Unterschiedliche Ausformungen von Religion, unterschiedliche Grade von Religiosität und Nichtreligiosität sowie unterschiedliche Lebensweisen werden vom antimuslimischen Rassismus verleugnet und stattdessen „der Islam“ zu einem monolithischen Gebilde und „die Musliminnen und Muslime“ zu einer homogenen, unterschiedslosen (negativ aufgeladenen) Einheit erklärt. Doch „den Islam“ gibt es genauso wenig wie es „das Judentum“ oder „das Christentum“ gibt – und „den Muslim“ gibt es genauso wenig wie „den Österreicher“ oder „die Europäerin“. Es gibt sehr viele Menschen, die sich als einer Religion, einem Staat oder einer Nation zugehörig bezeichnen, aber sehr unterschiedliche Vorstellungen davon haben, was dies denn nun für ihr Leben bedeutet.
Antimuslimischer Rassismus beruht auch darauf, Personen mutmaßlich muslimischer Herkunft auf diese mutmaßliche Herkunft zu reduzieren und alle Handlungen dieser Personen allein unter diesem Aspekt zu betrachten, ohne konkret von Fall zu Fall zu unterscheiden, ob Religion tatsächlich eine Rolle spielt oder nicht.
Von antimuslimischem Rassismus klar zu unterscheiden ist Kritik an einzelnen MuslimInnen oder muslimischen Vereinigungen und Verbänden für ihr konkretes individuelles bzw. institutionelles Auftreten und Handeln. Konkrete Aussagen und Handlungen von Personen und Organisationen können und sollen Gegenstand von (fairer) Kritik sein.
Von antimuslimischem Rassismus ist auch die kritische, nicht mit zweierlei Maß messende Auseinandersetzung mit Glaubenslehren und Glaubenspraktiken zu unterscheiden. Eine solche kritische Auseinandersetzung war und ist ein wichtiger Motor für die Entwicklung von demokratischen Rechten sowie Menschen- und Grundrechten, die für alle Menschen unabhängig von Merkmalen wie Herkunft, Hautfarbe, Religion, Geschlecht oder sexueller Orientierung Gültigkeit haben. |
Was sagen Koranzitate über das Alltagsleben von MuslimInnen in Österreich aus? |
Der Koran ist die Heilige Schrift des Islams. Das Wort „Koran“, das „Rezitation, Vortrag“ bedeutet, bezieht sich auf die mündliche Wiedergabe des Wort Gottes. Nach islamischem Glauben offenbarte der Engel Gabriel Mohammed den Inhalt des Korans und forderte ihn auf, diese Offenbarungen vorzutragen. Eine Besonderheit des Korans ist seine mehrfache Bezugnahme auf sich selbst. Das Wort Qu’ran kommt circa 70 Mal im Text vor und bezeichnet neben Vorträgen und Lesungen auch das vollendete Buch.
Der Koran gliedert sich in 114 Suren (Kapitel), die wiederum aus unterschiedlich langen Versen bestehen. Das gesamte Buch ist in Reimprosa verfasst und gilt deshalb als Kunstwerk. Noch vor dem Tod Mohammeds wurden einige Teile des Korans schriftlich festgehalten. Der dritte Kalif Uthman ließ im 7. Jahrhundert alle vorherigen Koran Kodizes vernichten, um einen offiziell gültigen Koran herzustellen und Verfälschungen vorzubeugen. Die meisten heutigen Versionen des Korans richten sich nach der orthographisch standardisierten Ausgabe der Azhar-Universität in Kairo aus dem Jahr 1924.
In der traditionellen islamischen Theologie gilt jegliche Übersetzung des Korans als unmöglich, da diese eine Interpretation erfordern und dadurch das Wort Gottes verfälschen würde. Dennoch gibt es mittlerweile zahlreiche Übersetzungen des Korans und schon im 8. Jahrhundert wurde begonnen den Koran zu interpretieren, da er teilweise sehr schwierig zu verstehen ist. Aus dieser Interpretationsarbeit entwickelte sich eine islamische Wissenschaft, in deren Rahmen unterschiedlichste Deutungen des Korans verfasst wurden. Historisch war, laut Islamwissenschaftler Thomas Bauer, ein besonderes Merkmal der islamischen Welt, dass diese unterschiedlichen Interpretationen nebeneinander Platz hatten. Zahlreiche MuslimInnen bemühen sich um eine kritische, historische und kontextsensible Neuinterpretation des Korans. Neben dem Koran bildet die Sunna eine gleichbedeutende Glaubensquelle. In ihr sind die Überlieferungen der Taten, Aussagen und des Verhaltens Mohammeds gesammelt (= Hadithe bzw. Ahadith).
Wie in anderen Glaubenslehren auch, gibt es im Koran auf der einen Seite Stellen, die ein positives Leben und Zusammenleben befördern können, und auf der anderen Seite Stellen, die bei wörtlicher und unhistorischer Auslegung mit dem respektvollen und friedlichen Zusammenleben einer vielfältigen Gesellschaft sowie der Gleichberechtigung von Menschen, unabhängig von Herkunft, Religion, Geschlecht oder sexuellen Orientierung nicht vereinbar sind.
Die entscheidende Frage ist, welches Gewicht unterschiedlichen und einander teilweise widersprechenden religiösen Glaubenssätzen im Alltagsleben gegeben wird, ob Inhalte wortwörtlich genommen oder in ihrem historischen Kontext betrachtet und verstanden werden.
Was zählt ist, wie Menschen ihren Glauben oder Nichtglauben leben und was sie als gutes, würdevolles und soziales Leben für sich betrachten. Es gilt, Menschen, egal welcher Glaubenslehre sie anhängen oder nicht anhängen, an ihren Taten zu messen. Siehe dazu: http://www.wasglaubstdudenn.de/spuren/143252/was-ist-der-koran |
Was ist die „Scharia“? |
Die Scharia bezeichnet die Summe von Pflichten und Verboten, die das Leben in einer islamischen Gesellschaft prägen. Sie ist kein feststehendes geschriebenes Werk, sondern wird vielmehr von den Rechtsgelehrten aus dem Koran, den Hadithen (Berichte über Aussagen und Taten Mohammeds, bilden gesammelt die Sunna) und anderen zentralen Texten gedeutet. Nur wenige dieser Rechte sind unumstritten und je nach Auslegung kann es zu sehr unterschiedlichen Gesetzgebungen im Namen der Scharia kommen.
In Europa wird die Scharia oft mit restriktivem Ehe- und Strafrecht verbunden, das im Konflikt zu menschenrechtlichen Standards steht. Tatsächlich wird die Scharia teilweise auch in europäischen Ländern angewandt, zum Beispiel in Bezug auf islamisches Schächten oder bei privatrechtlichen Fällen.
In Österreich kommt es immer wieder vor, dass Imame in familienrechtlichen Fragen gemeinsam mit Familien-Räten in einer Art Mediation Entscheidungen oder Vorentscheidungen treffen. Aus frauenrechtlicher Sicht gibt es hierbei immer wieder Bedenken bezüglich einer möglichen Diskriminierung der Frauen. Grundlage ist hierbei das internationale Privatrecht. Gerade bei Familien- und Erbrecht kommen oft die Gesetze aus den Heimatländern der Beteiligten zur Geltung. So entschied zum Beispiel der OGH 2011 gegen eine Unterhaltszahlung für eine gebürtige Saudi-Araberin von ihrem Exmann auf Grundlage der Scharia.
Die Scharia beinhaltet auch grundlegende alltägliche Themen wie zum Beispiel wann, wie und wie oft das Gebet verrichtet wird oder dass man nicht lügen darf. |
Inwieweit gibt es in den islamischen Glaubenslehren diskriminierende Elemente? |
In islamischen Glaubenslehren gibt es sowohl diskriminierende Elemente als auch Stellen, die zu Toleranz aufrufen (siehe die Punkte „Wie stehen islamische Glaubenslehren zur Gleichberechtigung der Geschlechter?“, „Wie stehen islamische Glaubenslehren zu anderen Religionen und nichtreligiösen Menschen?“ sowie „Wie stehen islamische Glaubenslehren zu Homosexualität?“).
Zu beachten ist, dass die Verschriftlichung des Korans, wie auch die der Tora und der Bibel, sehr lange zurückliegt. Im 7. Jahrhundert entstand erstmals ein Koran Kodex. Zusätzlich gibt es gerade im Koran Stellen, die widersprüchlich wirken und zu verschiedenen oder sogar konträren Interpretationen führen können. Debatten zum Islam werden oft undifferenziert geführt. Während sich KritikerInnen nur auf problematische Stellen im Koran beziehen, erwähnen BefürworterInnen nur die liberalen Stellen.
Reformistische TheologInnen und MuslimInnen fordern eine kritische Debatte zum Koran und dessen Auslegung von beiden Seiten, um einen zeitgemäßen und reflektierten Zugang zum Islam zu ermöglichen. Siehe dazu: http://www.zeit.de/gesellschaft/2016-03/lesart-koran-islam-reform/komplettansicht http://www.zeit.de/2016/19/islamdebatte-aufklaerung-koran-kritik-theologen/komplettansicht |
Wie stehen islamische Glaubenslehren zur Gleichberechtigung der Geschlechter? |
In der öffentlichen Debatte wird Islam häufig mit der Unterdrückung der Frau gleichgesetzt. Tatsache ist, dass es im Koran sowohl Stellen gibt, die die Gleichwertigkeit von Männern und Frauen betonen, als auch Stellen, in denen die Frau dem Mann untergeordnet wird. Schon im 7. Jahrhundert gab es im Islam frauenrechtliche Reformen im Bereich des Erb- und Scheidungsrechts, die zu diesem Zeitpunkt sehr fortschrittlich waren. Aus heutiger Sicht sind diese Rechte in Hinblick auf eine Gleichberechtigung von Mann und Frau allerdings unzulänglich. Frauen haben weniger Rechte als Männer, was im Koran mit den körperlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen begründet wird, aus denen sich unterschiedliche Rechte und Pflichten ableiten. Hierbei ist auch zu beachten, dass es bisher in erster Linie Männer waren, die den Koran auslegten. So erben Frauen beispielsweise nur die Hälfte dessen, was einem Mann zustehen würde, da Männer für die Versorgung ihrer Angehörigen verantwortlich seien, während Frauen ihr Geld für sich behalten dürfen.
Männer haben, nach Interpretation der vierten Koransure, die Möglichkeit mehrere Frauen zu heiraten, unter der Voraussetzung, dass sie alle Ehefrauen gleich und gerecht behandeln. Frauen hingegen dürfen nur einen Ehemann haben, aber sie dürfen selbst bestimmen, wen und wann sie heiraten. Zwangsehen sind laut Koran verboten, dennoch werden sie in einigen islamischen Ländern, wie dem Jemen und Saudi-Arabien, auf gesetzlicher Grundlage, und in anderen Ländern entgegen der Gesetzeslage noch vollzogen.
Während der Koran sowohl Männern als auch Frauen vorschreibt, sich weiterzubilden, haben muslimische Mädchen in einigen Ländern und Regionen nur eingeschränkten Zugang zu einer umfassenden Schulbildung. In einigen islamischen Ländern, wie Saudi-Arabien oder Afghanistan, werden Frauenrechte massiv eingeschränkt unter Berufung auf den Islam oder zum angeblichen Schutz der Frauen selbst. Auch im Iran gibt es erhebliche Einschränkungen für Frauen.
http://www.zdf.de/forum-am-freitag/frauen-im-islam-5227036.html http://www.planet-wissen.de/kultur/religion/islam/pwiedierollederfrauimislam100.html |
Wie stehen islamische Glaubenslehren zu anderen Religionen und nichtreligiösen Menschen? |
Generell ist der Koran oft schwer auszulegen und in sich selbst widersprüchlich, was zu unterschiedlichen Interpretationen führen kann. Dementsprechend schwierig ist eine Beantwortung dieser Frage. In Bezug auf Judentum und Christentum werden im Koran die Gemeinsamkeiten der heiligen Schriften anerkannt. Die Verse „Euer Glauben für Euch, mein Glaube für mich“ aus dem Koran werden oft als Ausgangspunkt für eine islamische Religionsfreiheit angeführt. Auch zu polytheistischen Religionen, die mit Atheismus gleichgesetzt werden, lassen sich Verse finden, die Toleranz fordern. Auf der anderen Seite finden sich im Koran aber auch Stellen, an denen zur Diskriminierung von Andersgläubigen und in bestimmten historischen Zusammenhängern auch zur Gewalt gegen Andersgläubige aufgerufen wurde. So wurde unter anderem zum Krieg gegen Anders- und Nichtgläubige aufgerufen, enge Freundschaften zu Nichtmuslimen verboten und Juden herabgewürdigt. Diese gegensätzlichen Aussagen zeigen die Komplexität einer Interpretation des Korans, die nicht nur muslimische VertreterInnen vor eine schwierige Aufgabe stellt, sondern auch alle MuslimInnen individuell. Die islamischen Verbände in Österreich setzen sich Großteils für ein friedliches interreligiöses Zusammenleben ein. Die Muslimische Jugend Österreich, zum Beispiel, organisiert mit der Katholischen Jugend Österreich gemeinsam Workshops zum Thema interreligiöses Zusammenleben. |
Wie stehen islamische Glaubenslehren zu Homosexualität? |
Historisch war Homosexualität in islamisch geprägten Gesellschaften lange toleriert und vor allem in der Liebeslyrik ein präsentes Thema. Die Entwicklung zur homophoben Rechts- und Gesellschaftslage vieler islamischer Länder heute wird vielfach durch den Einfluss europäischer Kolonialherren begründet.
Im Koran gibt es keine klare Stellungnahme zu Homosexualität. In der konservativen Auffassung des islamischen Rechts wird, auf Grundlage von Hadithen, Homosexualität kriminalisiert. In vielen islamisch geprägten Staaten werden homosexuelle Handlungen mit unterschiedlichen Haftstrafen geahndet, in einigen Ländern, wie Jemen, Iran oder Saudi-Arabien, ist sogar die Todesstrafe möglich. Allerdings gibt es auch vermehrt muslimische Organisationen und Einzelpersonen, die sich für eine liberale und tolerante Haltung gegenüber Homosexualität aussprechen.
Der Anschlag auf ein Homosexuellenlokal in Orlando wurde von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich und von der Türkischen Kulturgemeinschaft Österreich verurteilt. |
Was ist "Islamismus"? |
Unter „Islamismus“ werden politische Ideologien zusammengefasst, die Religion nicht als Angelegenheit des Einzelnen verstehen, sondern eine auf Religion basierende gesellschaftliche und staatliche Ordnung fordern. Nicht alle islamistischen Gruppierungen wollen diese politisch-religiöse Vorstellung mit Mitteln der Gewalt umsetzen. Gemeinsam sind ihnen allerdings die Ablehnung einer Trennung von Religion und Staat und ein dementsprechender fundamentaler Widerspruch zu demokratischen Grundsätzen.
Die Wurzeln des sunnitischen Islamismus liegen in der politischen Bewegung der „Muslimbruderschaft“, die 1928 in Ägypten gegründet wurde. Die Muslimbruderschaft strebte in Ägypten, auch unter Anwendung von Gewalttaten, eine Reformierung der Gesellschaft im Sinne des Islamismus an. Im Laufe der Zeit splitterten sich von der Muslimbruderschaft zahlreiche Gruppierungen ab.
Zum Verhältnis von Islam und Islamismus ist zu sagen, dass sich der Islamismus zwar auf den Islam beruft, sich zugleich aber viele – auch religiöse – MuslimInnen von islamistischen Strömungen nicht vertreten fühlen.
Von ExpertInnen wird teilweise kritisiert, dass der Begriff „Islamismus“ unpräzise sei und sehr unterschiedlich verwendet werde. Teilweise kommt es im Alltagsgebrauch zu einer falschen Gleichsetzung von „Islamismus“ und „Islam“. Der Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger betont, dass er als Sammelbegriff für politische Ideologien, die sich auf „den Islam“ berufen, den Begriff „Politischer Islam“ verwendet und darüber hinaus versucht, so präzise wie möglich die jeweiligen religiös-politischen Strömungen (Salafismus, Dschihadismus, usw.) zu benennen. |
Was ist "Salafismus"? |
Der „Salafismus“ ist eine besonders radikale islamistische Strömung. AnhängerInnen dieser Ideologie fordern eine Rückbesinnung auf den frühzeitlichen, „ursprünglichen“ Islam (arab. Salaf: Vorfahre; Vorgänger). Während Salafiyya Anfang des 20. Jahrhunderts eine reformistische Strömung des Modernismus bezeichnete, ist der zeitgenössische Salafismus zum Teil stark von radikalen, militanten Vorgehensweisen geprägt, durch die die angestrebte Gesellschaftsform nach den „ur-islamischen“ Vorstellungen und Regeln mitunter weltweit durchgesetzt werden sollen.
Nicht alle SalafistInnen vertreten ihre Weltanschauung mit Gewalt. Die dschihadistische Strömung steht für eine militante Durchsetzung islamistischer beziehungsweise salafistischer Vorstellungen. Die Organisation Al-Kaida und die Terroranschläge des 11. September 2001 sind dem dschihadistischen Salafismus zuzuordnen.
Während für dschihadistische Gruppierungen der Begriff Dschihad mit „Heiliger Krieg“ gleichgesetzt wird, bedeutet derselbe Begriff für friedliche MuslimInnen „der Weg Gottes“, „zu Gott finden“ und „sich Mühe geben“, aber nicht für Krieg.
Auch in Europa gibt es salafistische Netzwerke, die mit Propagandaaktionen neue Mitglieder anwerben wollen. In Deutschland schätzt das Bundesamt für Verfassungsschutz die salafistischen AnhängerInnen 2015 auf ca. 7.500 Personen. Die meisten dieser SalafistInnen sind Anhänger des politischen Salafismus und verbreiten ihre Weltanschauung auf gewaltfreiem politischem Weg. Allerdings haben salafistische Strömungen ein hohes Radikalisierungspotential und alle bisher in Deutschland identifizierten terroristischen Netzwerke haben salafistischen Hintergrund.
Für Österreich gibt es keine konkreten Zahlen zu salafistisch geprägten Personen. Der Verfassungsschutzbericht 2015 spricht von 259 Personen, die aus Österreich ausgereist sind, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Doch das ist nur die Spitze eines um das Vielfache größeren Eisbergs. |
Wofür steht der so genannte „IS“/Daesh? |
Die Terrormiliz IS bezeichnet eine islamistische Terrororganisation, deren Ziel die Errichtung eines "Kalifats" im arabischen Raum ist. Vielfach wird die Organisation auch als Daesh bezeichnet. Daesh (oder Da’ish) ist die arabische Bezeichnung für „Der Islamische Staat im Irak und der Levante“ (ISIL). Daesh wird im arabischen Raum oft abwertend verwendet und erinnert an das arabische „Dahes“, das so viel wie „Zwietracht säen“ bedeutet. Die Terrormiliz lehnt die Bezeichnung ab und hat seine Verwendung innerhalb seines Herrschaftsgebietes verboten.
Die Terrormiliz hat ihre Wurzeln in der Al-Kaida im Irak, die 2004 gegründet wurde. 2006 verbündete sich Al-Kaida im Irak mit sunnitischen Gruppen und Aufständischen und rief den „Islamischen Staat im Irak“ (ISI) aus. 2014 eroberte ISIS große Gebiete in Syrien und im Irak und rief ein „Kalifat“ unter dem Namen „Islamischer Staat“ (IS) aus. Inzwischen wurden ISIS/Daesh weitgehend zurückgedrängt. |
Wie stehen islamische Verbände radikalem Islamismus gegenüber? |
Die islamischen Verbände in Österreich verurteilen islamistische Terrorakte. Fuat Sanac, bis Juni 2016 Präsident der IGGiÖ, startete gemeinsam mit dem damaligen Integrationsminister Sebastian Kurz eine Initiative zur De-Radikalisierung von Jugendlichen und gegen den Missbrauch des Islam. Die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) veröffentlichte ein Maßnahmenpaket gegen Radikalisierung und bietet Workshops zur Ursachenforschung von Extremismus und Präventionsarbeit an. |
Wie kann ein demokratisches Zusammenleben in einer von religiöser und nichtreligiöser Vielfalt geprägten Gesellschaft funktionieren? |
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