Antimuslimischer Rassismus in der Spitzenpolitik weiter auf dem Vormarsch
SOS Mitmensch hat zum zweiten Mal einen Bericht über antimuslimischen Rassismus in der österreichischen Spitzenpolitik veröffentlicht. Erstmals beteiligen sich, neben der FPÖ, auch namhafte ÖVP-PolitikerInnen an Abwertungs- und Ausgrenzungskampagnen gegen Musliminnen und Muslime. Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle und der Rassismus-Experte Benjamin Opratko sehen Anlass zur Sorge und Handlungsbedarf.
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Rassistische Kampagnen verletzen Menschen
„Es ist erschreckend, wie stark antimuslimische Abwertungs-, Ausgrenzungs- und Feindbildkampagnen inzwischen in Teilen der österreichischen Spitzenpolitik verankert sind. Diese Kampagnen verletzen Menschen und können den Nährboden für Diskriminierung, Hass und im Extremfall auch Gewalt bilden“, warnt Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.
Musliminnen und Muslime als Sündenböcke
Der von SOS Mitmensch gemeinsam mit ExpertInnen präsentierte Bericht dokumentiert mehr als zwanzig Beispiele für antimuslimisch-rassistische Kampagnen im Jahr 2019. Dazu zählt etwa eine Kampagne der FPÖ zur Karfreitags-Regelung, in der Musliminnen und Muslime als Sündenböcke für die Abschaffung des gesetzlichen Feiertags abgestempelt wurden. Eine weitere FPÖ-Kampagne schürte Neid gegen muslimische Schulkinder aufgrund religionsbezogener Feiertage geschürt und zog eine scharfe Trennlinie zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Kindern. Kritik übt der Bericht aber nicht nur an der FPÖ, sondern auch an der ÖVP. So sei etwa die Forderung der damaligen Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler, nach verpflichtenden KZ-Gedenkstätten-Besuchen ausschließlich für Musliminnen und Muslime ein Negativbeispiel für Selektion und das Schüren von Generalverdacht.
Beispiele für antimuslimisch-rassistische Kampagnen in der österreichischen Spitzenpolitik im Jahr 2019:
Damaliger FPÖ-Klubobmann besetzt ein negativ wahrgenommenes Thema antimuslimisch, obwohl das Thema nichts mit Religion zu tun hat
Vizekanzler der ÖVP-FPÖ-Regierung macht Musliminnen und Muslime zu Sündenböcken für die Kartfreitags-Streichung
Diverse Politiker schließen muslimische Kinder kollektiv aus dem österreichischen "Wir" aus und skandalisieren ihre Feiertage
FPÖ-Kampagne klassifiziert die Religion von Musliminnen und Muslimen und damit auch sie selbst pauschal als niemals zugehörig
Staatssekretärin im Innenministerium selektiert Menschen nach ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit und will sie (und nur sie) zu Maßnahme verpflichten
Neue Hauptakteure: Hofer und Nepp
Im Verlauf des Jahres 2019 gab es einen Wechsel bei den zentralen Akteuren des antimuslimischen Rassismus in der österreichischen Politik. Nach dem Ausscheiden von Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus aus der FPÖ, haben der neue Parteiobmann Norbert Hofer und der neue Wiener Obmann Dominik Nepp die Rolle als Speerspitzen der antimuslimisch-rassistischen Dauerkampagne der FPÖ eingenommen. Auf Seiten der ÖVP haben sich Karoline Edtstadler und Gernot Blümel an der pauschalen Abstempelung und Abwertung von Musliminnen und Muslimen beteiligt.
Abstempelung als „ewige Fremde“
„Bei antimuslimischem Rassismus geht es nicht um die kritische Auseinandersetzung mit Religion, sondern um den kollektiven Angriff auf Menschen alleine aufgrund einer Vorurteils- und Hassideologie“, erklärt Gerlinde Affenzeller, Geschäftsführerin von SOS Mitmensch. Zentrales Fundament des antimuslimischen Rassismus sei die pauschale Abstempelung und Ausgrenzung von Musliminnen und Muslimen als „ewige Fremde“. Ein Teil der Kampagnen würde sich neuerdings bewusst an der Schnittstelle von Islamfeindlichkeit und antimuslimischem Rassismus bewegen, um sich weniger leicht angreifbar zu machen, das rassistische Fundament sei jedoch unverkennbar, so Affenzeller.
SOS Mitmensch-Geschäftsführerin Gerlinde Affenzeller betont das rassistische Fundament der im Bericht dokumentierten Kampagnen
Spitze eines wesentlich größeren Eisbergs
SOS Mitmensch betont, dass die im Bericht dokumentierten Kampagnen lediglich die Spitze eines wesentlich größeren Eisbergs seien. „In den Bericht wurden ausschließlich Vorfälle aus der österreichischen Spitzenpolitik und ausschließlich Fälle mit einer klar erkennbaren antimuslimisch-rassistischen Tendenz aufgenommen. Es gibt darüber hinaus jedoch zahlreiche weitere Fälle, bei denen der Verdacht der antimuslimischen Stimmungsmache naheliegt“, erklärt SOS Mitmensch-Sprecher Pollak.
Die im Bericht festgehaltenen Kampagnen seien nur die Spitze eines größeren Eisbergs, betont SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak
Stainer-Hämmerle: „Rassismus in die Mitte der Politik gerückt“
Für die Politik-Expertin Kathrin Stainer-Hämmerle zeigt der Bericht von SOS Mitmensch eindrücklich, wie antimuslimischer Rassismus in die Mitte der österreichischen Politik gerückt sei. „Ein Bericht über das Jahr 2019 gliedert sich aber immer in zwei Teile: In jene Phase, in der die FPÖ am Regierungstisch saß und ein amtierender Innenminister Rassismus verharmloste oder gar selbst betrieb, und in jene, wo ein Expertenkabinett sich bemühte, das Vertrauen in die österreichische Politik und die Justiz wiederherzustellen“, betont Stainer-Hämmerle. Die Politologin rechnet damit, dass es auch im nächsten Jahr wieder einen Bericht über antimuslimischen Rassismus geben werde. Daher fordert sie, dass Parteien allen Versuchen der gesellschaftlichen Spaltung entschiedener als bisher entgegen treten und es mehr Zivilcourage und deutlichere Worte gegen Rassismus, Sexismus und Vorurteile gibt.
Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle fordert ein entschiedeneres Entgegentreten gegen Rassismus und andere Vorurteils-Ideologien
Opratko: „Rassismus klar benennen und erforschen“
Rassismus-Experte Benjamin Opratko zeigt sich ebenfalls über die im Bericht von SOS Mitmensch aufgezeigte Entwicklung besorgt. „Rassismus beginnt nicht erst bei Gewaltakten und ist auch nicht auf pseudo-biologische Rassentheorien angewiesen. Rassismus liegt auch dann vor, wenn einer Bevölkerungsgruppe pauschal abgesprochen wird, legitimer Teil der Gesellschaft zu sein“, erklärt Opratko. Der Rassismusforscher begrüßt es ausdrücklich, dass antimuslimischer Rassismus von SOS Mitmensch klar als solcher benannt werde. Opratko fordert von der Regierung, systematische Forschung zu Rassismus und insbesondere zu antimuslimischem Rassismus endlich angemessen zu fördern.
Rassismus müsse klar benannt und die Erforschung und Bekämpfung von Rassismus stärker gefördert werden, fordert Rassismus-Forscher Benjamin Opratko
Kritik an fehlender Ächtung und fehlenden Konsequenzen
SOS Mitmensch schließt sich den Forderungen von Stainer-Hämmerle und Opratko an. Scharfe Kritik übt die Menschenrechtsorganisation an fehlenden Konsequenzen von antimuslimischem Rassismus. „Bislang hat kein einziger Politiker, der in eine antimuslimisch-rassistische Kampagne involviert war, zurücktreten müssen oder ist aus seiner Partei ausgeschlossen worden. Es braucht endlich eine unmissverständliche Ächtung von rassistischen Kampagnen“, so SOS Mitmensch-Sprecher Pollak.
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