Ahmad Esawe: "Es geht um das große Ganze"
Wer sind die Menschen, die nach Österreich geflüchtet sind und sich hier ein neues Leben, fernab von Krieg und Verfolgung aufbauen? Immer mehr von ihnen schaffen es, hier Fuß zu fassen. Viele haben inzwischen einen Job gefunden. Um diesen Menschen eine Stimme und ein Gesicht zu geben, haben wir Gespräche mit Geflüchteten geführt. Wir stellen sie in der Reihe „Ich lebe und arbeite in Österreich“ vor. Heute: Ahmad Esawe, 28, staatenlos.
„Ich lebe seit April 2014 in Österreich“, erzählt Ahmad Esawe, den positiven Asylbescheid, erhielt er im März 2015. „Die ersten 11 Monate warten war nicht einfach“, sagt er lächelnd, „aber in dieser Zeit habe ich Deutsch gelernt.“ Seine Reise nach Österreich hat ihn über die Türkei mit dem Boot nach Griechenland geführt. Von dort aus konnte er nach Österreich fliegen. „Bis Griechenland war ich immer wieder mit Freunden in Verbindung. Die Frage war immer: In welcher Stadt sind gerade welche Leute? Wen kann man gerade wo treffen?“
Als Flüchtling zur Welt gekommen
Bis auf eine Schwester, die mit ihrem Mann und ihren Kindern in Algerien lebt, ist Ahmad Esawes Familie mittlerweile in Österreich angekommen. Es macht die Situation nicht einfacher, dass seine Familie palästinensisch und staatenlos ist. Ahmad Esawes Großeltern flüchteten aus Haifa und wegen dem nicht geschlossenen Frieden zwischen Syrien und Israel, konnte die Familie nie um Staatsbürgerschaft in Syrien ansuchen. „Ich bin schon als Flüchtling auf die Welt gekommen“, erzählt Herr Esawe.
Im Hochbauplanung und Konstruktionen
Der studierte Architekt, der in Homs aufgewachsen ist und dort auch studiert hat, arbeitet seit zwei Jahren bei FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH, wo er an der Ausführungsplanung, der Schnittstelle zwischen ArchitektInnen und StatikerInnen fungiert. „Die Firma arbeitet weltweit im Hochbau, Tiefbau, Oberbautechnik, Brückenbau und Projektmanagement, aber meine Abteilung ist noch auf Österreich spezialisiert“, erzählt er lächelnd. Hochgebäude, Hotels und Wohnanlagen gehören zu den Projekten, die geplant werden. „Wir sind keine kleine Firma, arbeiten aber nicht nur mit den Großen zusammen. Es geht immer auch darum, einen Ausgleich zu finden.“ In Ahmad Esawes Abteilung arbeiten ca. 30 Leute.
Ein praktisches Fundament schaffen
Die Anstellung in der Firma ist seine erste Arbeit in Österreich. Es war nicht einfach sie zu bekommen. Zwischen Asylbescheid und Arbeitsbeginn hat er sein Masterstudium an der TU in Architektur begonnen. „Netzwerke waren sehr wichtig, um diese Arbeit zu bekommen.“ Diese Chance in seiner Firma wollte er sich nicht entgehen lassen. Er denkt aber darüber nach, sein Masterstudium an der TU berufsbegleitend fertig zu machen. Einstweilen ist das Studium aber gestoppt. „Ich denke auch schon dran, später irgendwann das Doktorat zu machen und zu forschen, aber momentan geht es wirklich vor allem darum, ein praktisches Fundament für mein Leben zu schaffen. Wenn man in einem neuen Land lebt, muss man sich um die Grundpfeiler kümmern. Das tue ich vor allem im Augenblick. Aber ich werde weiterlernen, dafür fehlt es mir nicht an Leidenschaft.“
Beziehung als Grundpfeiler
Zu den Grundpfeilern in Ahmad Esawes Leben gehört auch seine Verlobte, ebenfalls palästinensisch, ebenfalls aus Syrien, die aber mittlerweile nicht mehr staatenlos ist, sondern in den Niederlanden, wohin sie flüchten konnte, vor wenigen Monaten die Staatsbürgerschaft erhalten hat. Sie studiert Medizin in Deutschland, will aber ab dem Herbst in Wien weiterstudieren. „Momentan ist die Frage offen, ob sie hier an der Uni quereinsteigen kann. Wenn sie erst Mal in Wien ist, soll dann auch bald geheiratet werden, erzählt Herr Esawe lächelnd.
Soziale Fragen wichtig
„Arbeit heißt für mich Selbstverwirklichung. Wo sind meine Stärken, wie kann ich im Team arbeiten, wie ist mein Verhältnis zu den anderen im Team. Auch in Anbetracht, des Problems ein Flüchtling, oder ein Ausländer zu sein. Wie kann ich mit meinen Kollegen eine Beziehung aufbauen? Meine Kolleginnen und Kollegen in der Arbeit haben mir sehr geholfen. „In der Zukunft habe ich vor, neben meiner Arbeit mich auch sozial zu engagieren, ich hab in Syrien schon Erfahrungen mit der UNICEF und UNRWA gemacht“, lächelt er, „das will ich weitermachen, denn wenn man ein Gebäude entwirft muss man sich auch mit den sozialen Fragen beschäftigen. Das gehört unbedingt zusammen.“
Arbeitserfahrungen von Geflüchteten nutzen
„Ich verstehe nicht, warum Menschen die nach Österreich kommen davon abgehalten werden sich produktiv in die Gesellschaft einbringen zu können. Ich würde sagen, rund 70% der Geflüchteten bringen viel Arbeitserfahrung mit und Know-how und kosten dem Staat keine 12 Jahre Schule. Warum hält man diese Menschen davon ab, an der Gesellschaft teilzunehmen, ich versteh das nicht. Meiner Meinung nach ist es vom menschlichen Faktor, ist es auch wirtschaftlich unlogisch.“
Wir wollen helfen
„Für die Zukunft wünsch ich mir, dass die Menschen verstehen, dass wir alle nicht vereinzelt sind. Es geht um das große Ganze. Meine Verlobte und ich haben schon darüber nachgedacht, dass wir irgendwann miteinander in Länder gehen, wo Hilfe gebraucht wird.“
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