Ali Amiri - Angekommen in Österreich: „Ich lebe zwischen zwei Welten.“
Ali Amiri musste mit seiner Familie nach Europa flüchten. Seine Leidenschaft fürs Turnen hat er dabei nie aus den Augen verloren. In Österreich erhielt er subsidiären Schutz. Inzwischen hat er seinen Traumjob als Turntrainer gefunden und versucht auch anderen zu helfen. Text und Foto: Magdalena Stern
Turnen aus Leidenschaft
Kunstturnen - Das war schon lange vor seiner Ankunft in Österreich Ali Amiris größte Leidenschaft. Heute ist der 29-jährige Trainer beim Landesfachverband für Turnen in Tirol. Er unterrichtet Kinder und Jugendliche im Kunstturnen von der Basis bis zum Leistungssport. Zusätzlich bringt er talentierten Spitzensportler*innen aus anderen Disziplinen das Kunstturnen bei. Dass er heute frei und ohne Repression seinen Traumberuf ausüben kann, weiß Amiri sehr zu schätzen, denn der Beginn seiner Trainerkarriere, als Sohn afghanischer Flüchtlinge in der iranischen Stadt Yazd, war ein holpriger.
Arbeitsverbot im Iran
„Mit dem Turnen begonnen habe ich als Sechsjähriger“, erzählt Amiri, „und mit 17 habe ich dann die Trainerausbildung absolviert und gleich bestanden.“ Während alle anderen relativ schnell ihren Trainerausweis erhielten, wartete er vergeblich. „Die Situation war sehr stressig für mich“, sagt der junge Mann heute, der die Auskunft erhielt, dass ihm die Ausstellung des Ausweises verweigert wurde, weil er Afghane und kein Iraner war. Sein damaliger Chef entschied, ihn trotzdem, inoffiziell, als Trainer arbeiten zu lassen. Das sollte drei Jahre lang gut gehen, bis ausgerechnet während einer Show anlässlich des Weltflüchtlingstages alles aufflog. Vertreter der Stadt Yazd wurden auf den afghanischen Trainer aufmerksam und als Amiri am Tag nach der Show zur Arbeit kam, überbrachte ihm sein Chef die Hiobsbotschaft: Totalsperre. „Ich bin dann zu dem Vorsteher der Provinz Yazd gefahren, aber bekam dort die gleiche Auskunft: du bist Afghane, du darfst nicht als Trainer arbeiten“, erinnert er sich an diese schwere Zeit.
Ankunft in Österreich
2012 musste seine Familie aus politischen Gründen schließlich in die Türkei und 2014 dann weiter nach Griechenland flüchten. Nach der Ankunft in Österreich, ging es ziemlich schnell nach Tirol: „Nach drei Tagen sind wir von Traiskirchen nach Innsbruck gekommen, haben dort nach zwei Jahren unseren Asylbescheid bekommen, uns dann eine Wohnung gesucht und ein neues Leben begonnen“, erzählt Ali Amiri.
Nur subsidiären Schutz
Die Asylverfahren von Amiri und seiner Familie wurden aus unerklärlichen Gründen getrennt behandelt, deshalb hat seine Familie heute einen positiven Asylbescheid, er hingegen nur eine subsidiäre Schutzberechtigung, die jährlich verlängert werden muss. Er lebt heute in einer WG mit drei anderen jungen Männern. In der Wohnung der Familie war zu wenig Platz. „Ich bin aber immer bei meinen Eltern zum Essen und Zeit verbringen. Das ist vielleicht ein bisschen die unterschiedliche Kultur bei uns geblieben. Die Kinder bleiben bis zur Heirat bei ihren Eltern und dürfen eigentlich erst dann ausziehen“, erklärt der Turntrainer die Wohnsituation.
Sprachentalent
Als Sprachentalent hat er sich Deutsch mehr oder weniger in Eigenregie beigebracht, wurde von seinen Trainer*innen immer wieder dazu ermuntert, den nächsten höheren Deutschkurs zu belegen und legte schließlich relativ rasch die B1 Prüfung ab: „Ich habe durch den Sport so viele österreichische Kontakte gehabt, da musste ich ständig reden, das hat mir sehr geholfen“, erzählt der 29-jährige.
Ziel: Nationalmannschaft trainieren
Der engagierte junge Mann ist neben seiner Tätigkeit als Trainer für Kunstturnen auch Trainer für das Projekt „Media Literacy“ beim Verein Multikulturell. Angesprochen auf seine Zukunftspläne meint Amiri, dass er gerne Sportwissenschaften studieren und irgendwann die Nationalmannschaft trainieren möchte. „Ich habe Sport nicht studiert und in Österreich ist es wichtig, diese Verbindung von Wissenschaft und Praxis zu haben“, sagt er mit Blick auf seine nächsten Schritte.
Mehr Unterstützung für afghanische Geflüchtete
Ein Herzensprojekt, für das er bereits um Unterstützung von Seiten der Stadt Innsbruck angesucht hat, sind Workshops für afghanische Geflüchtete. Ali Amiri hat selbst als ehrenamtlicher Buddy für die Caritas gearbeitet und besuchte im Rahmen dieser Tätigkeit einen Workshop, der ihn mit vielen hilfreichen Tipps hinsichtlich des Asylverfahrens versorgte. Sein Wunsch ist es nun selbst solche Informationsworkshops für afghanische Geflüchtete abhalten zu können und die Öffentlichkeit für die spezielle Situation dieser Gruppe zu sensibilisieren: „In Afghanistan herrscht seit 50 Jahren Krieg. Es hat sich nichts verändert dort, nichts gebessert. Es gibt kein funktionierendes Schulsystem und die ökonomische Situation ist sehr schlecht. Wir sind arm an Ressourcen und Bildung“.
Schwierigkeiten bei Einvernahme
Laut Amiri führt das dazu, dass sich afghanische Geflüchtete schwerer bei Einvernahmen tun. Sie haben größere Schwierigkeiten als andere Flüchtlingsgruppen, das österreichische Asylsystem zu verstehen und sind dadurch benachteiligt. Das möchte er ändern. Zudem hält er es für sinnvoll, Asylwerbenden Zugang zu Lehre und Ausbildung zu geben, unabhängig von Zeit und Status, weil so selbst im Falle einer Abschiebung Wissen und Know-how in die Herkunftsländer weitergeleitet werden können.
„Ich habe meinen Traumjob gefunden“
Ali Amiri weiß, dass er im Vergleich zu anderen viel Glück hatte, es ist ihm aber auch wichtig zu betonen, dass er nie nur darauf gewartet hat, dass ihm etwas Gutes passiert: „Ich habe mich immer sehr bemüht, gelernt, gearbeitet und war in Bewegung“. Als er wieder über das Kunstturnen spricht, strahlen seine Augen: „Ich habe meinen Traumjob gefunden. Während ich auf meinen Asylbescheid gewartet habe, habe ich auf Drei-Euro-Basis für den Landesfachverband gearbeitet und sobald ich meinen Asylbescheid hatte, haben sie mir eine Anstellung angeboten.“
Zwischen zwei Welten
Angst machte ihm in letzter Zeit die Regierungskonstellation aus ÖVP und FPÖ und ihre möglichen Auswirkungen auf das Asylrecht. Zu seinem neuen Leben in Österreich meint er abschließend: „Österreich ist ein wunderschönes Land und ich respektiere hier alles, die Politik, die Religion, aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht ganz zu Österreich gehöre, ich bin zwischen zwei Welten geblieben“.
Danksagung
Ali Amiri ist es ein besonderes Anliegen sich bei all jenen Menschen zu bedanken, die ihn auf seinem Weg begleitet und unterstützt haben, vor allem bei Landesfachwart Hans-Peter Farbmacher, der wie Amiri selbst Trainer beim Landesfachverband für Turnen in Tirol ist.
SOS Mitmensch gibt in der Porträt-Reihe „Angekommen in Österreich“ Menschen, die flüchten mussten, eine Stimme und ein Gesicht. Die Geschichten zeigen auch, welche Hürden Geflüchtete auf ihrem Lebensweg meistern müssen und welche Unterstützung sie dabei erfahren und brauchen. Infos und Kontakte zur freiwilligen Flüchtlingshilfe finden Sie hier.