„Die Demokratie wird von innen bedroht“
Wie groß ist die Gefahr von rechts? Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes im Gespräch über die engen Verbindungen der FPÖ mit rechtsextremen Gruppierungen wie den Identitären und die Unterhöhlung der Demokratie.
Interview: Lotte Blumenberg.
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MO-Magazin: Im September wird in Österreich gewählt. Die FPÖ führt die Wahlumfragen an und bekam auch bei der EU-Wahl im Juni die meisten Stimmen. Wie ordnen Sie diese starke Zustimmung ein?
Bernhard Weidinger: Die FPÖ hat sich in ihrer Geschichte bereits zweimal auf einem ähnlichen Niveau befunden, sowohl in Wahlergebnissen als auch in Umfragen, unter Haider und dann wieder unter Strache. Insofern ist es in gewisser Weise eine Rückkehr zu früheren Verhältnissen. Bemerkenswert ist, unter welchen Bedingungen diese Rückkehr erfolgte: Einerseits ist die Regeneration nach der Ibiza-Affäre sehr schnell gegangen. Zum anderen ist dieser nunmehr dritte Aufstieg der FPÖ nicht wie die ersten beiden mit einer gewissen Mäßigung, zumindest in der Rhetorik, einhergegangen, wie das unter dem späteren Haider und dem späteren Strache der Fall war, sondern eigentlich mit einer weiteren Radikalisierung der Partei.
Rechtsextremismusforscher Bernhard Weidinger sieht die äußerste Rechte in Österreich im internationalen Vergleich sehr stark vertreten.
Ist die FPÖ als eine rechtsextreme Partei anzusehen?
Zunächst ist zu klären, von welchem Rechtsextremismusbegriff man ausgeht. Versteht man, wie die Rechte selbst, Bereitschaft zu physischer Gewalt als ein notwendiges Kriterium, dann trifft das auf die FPÖ nicht zu. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man umfassendere Kriterien anlegt und die Frage stellt, wie eine Partei oder Gruppierung zur Demokratie in inhaltlicher Hinsicht steht. Zur Demokratie gehören auch Minderheitenrechte, Pressefreiheit, Pluralismus, der Gleichheitsgrundsatz etc. Wer eine Einstufung der FPÖ als rechtsextrem argumentieren will, kann auf das Bekenntnis der Partei zur „deutschen Volks-, Sprach- und Kulturgemeinschaft“ verweisen, auf ihre systematische Ethnisierung des Sozialen, die Feindbildpflege etwa gegenüber Muslim:innen. Und nicht zuletzt auch auf ihre Kontakte zu rechtsextremen Gruppierungen im In- und Ausland, ihre Unterstützung rechtsextremer Medien sowie ihre weitgehende Angleichung an die Positionen und Rhetorik der Identitären Bewegung.
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„DER AUFSTIEG DER FPÖ IST DIESES MAL MIT EINER
WEITEREN RADIKALISIERUNG EINHERGEGANGEN“
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SOS Mitmensch veröffentlichte im Juli 2024 ein Dossier über die zahlreichen Verflechtungen zwischen der FPÖ und der rechtsextremen Szene in Österreich. In einem Interview im Mai 2024 sagten Sie, der Kurs der FPÖ werde mittlerweile von den Identitären geprägt. Was bedeutet das konkret?
Es gelingt der Identitären Bewegung sehr stark, Begrifflichkeiten vorzugeben und Agenda-Setting zu betreiben. Vor allem die Freiheitliche Jugend ist mit den Identitären weitgehend verschmolzen, nicht personell-organisatorisch, aber in dem, was sie sagen und tun. Die FPÖ selbst verwendet inzwischen mit großer Selbstverständlichkeit von den Identitären geprägte Begriffe wie „Bevölkerungsaustausch“ und „Remigration“. Im Zuge der Potsdam-Affäre erklärte die FPÖ im Jänner in einer Presseaussendung, dass „Remigration das Gebot der Stunde“ sei. Die FPÖ nimmt unter Herbert Kickl die Rolle ein, die ihr von rechtsextremen Strategen seit Jahren zugedacht war. Sie ist so etwas wie die parlamentarische Flanke einer Gesamtbewegung und unterstützt diese Bewegung nach Kräften, etwa durch Inserate in ihren entsprechenden Medien, Gastkommentare und Interviews in diesen Medien. Oder auch durch parlamentarische Anfragen, die zum Beispiel Gegner:innen der extremen Rechten ins Visier nehmen.
2002 hat die damalige schwarz-blaue Regierung den Rechtsextremismusbericht abgeschafft. Nun soll es ihn wieder geben, verfasst vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes. Warum braucht es den Bericht?
Es wird oft gesagt, gerade von rechts, von der FPÖ, es bräuchte diesen Bericht nicht, weil es den Verfassungsschutzbericht gäbe. Das sind aber zwei sehr unterschiedliche Dinge. Der Verfassungsschutzbericht hat den Anspruch, alle Bedrohungsquellen der verfassungsmäßigen Ordnung in Österreich zu behandeln, von Rechtsextremismus über Dschihadismus bis hin zu Spionage. Dementsprechend bekommt jedes dieser Themen nur knappen Raum. Unser Bericht, den wir zum 1. Oktober an die Ministerien für Inneres und Justiz liefern, wird wesentlich umfangreicher werden und sich dem Rechtsextremismus analytischer und stärker in der Tiefe widmen.
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„DER IDENTITÄREN BEWEGUNG GELINGT ES,
AGENDA-SETTING ZU BETREIBEN“
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2023 gab es laut Innenministerium 1.208 rechtsextremistisch motivierte Straftaten in Österreich, ein Anstieg von 30 Prozent gegenüber 2022 und ein Rekordhoch. Wie groß ist die Bedrohung durch Rechtsextremismus, auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern?
Es gibt Länder, wo die Wahrscheinlichkeit, auf der Straße von Neonazis verprügelt zu werden, wesentlich höher ist als in Österreich. Aber natürlich ist diese Gefahr stark davon abhängig, wer man ist. Für bestimmte Personengruppen, sichtbare Minderheiten etwa, ist Rechtsextremismus durchaus gefährlich im Sinne einer Bedrohung der physischen Integrität, auch in Österreich. Eine schwierigere Frage ist, wie gefährlich der Rechtsextremismus für die Demokratie an sich ist. In der parteiförmigen Ausdrucksform ist Österreich ein Land, wo die äußerste Rechte im internationalen Vergleich seit Jahrzehnten sehr stark ist. Heute geht die Bedrohung für die Demokratie weniger von Kräften aus, die sich in frontaler Gegnerschaft zur Demokratie positionieren, sondern von Kräften, die sich im Rahmen demokratischer Institutionen und Prozesse bewegen. Die Gefahr einer Unterhöhlung der Demokratie von innen ist größer als die Gefahr einer putschartigen Beseitigung von außen. Das gilt freilich nicht nur in Österreich.
Lotte Blumenberg ist freie Journalistin in Wien und schreibt u. a. für das Südwind-Magazin. Ihre Schwerpunkt sind Ungleichheit, Rassismus und Feminismus.
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