
Edles Metall, prekäre Lieferkette
Was hat technologischer Fortschritt mit der Missachtung von Menschenrechten zu tun? Ein Blick auf die Lieferkette des Edelmetalls Platin gibt Antworten auf diese Frage. Ein Projekt in Wien sucht nach Gegenstrategien. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Sandra Schmidhofer
Demonstration zur Bergbaukonferenz „Mining Indaba“ in Kapstadt, 5. bis 7.2.2018
Platin – ein Edelmetall, mit dem wir tagtäglich in Berührung kommen. Es ist Bestandteil von Smartphones, Ohrringen, Katalysatoren oder Herzschrittmachern. Auch für die angestrebte Energiewende ist das Material interessant, weil es sich für den Einsatz in Brennstoffzellen und für die Herstellung von Wasserstoff eignet. Der weltweit größte Platinproduzent ist Südafrika. 120 Tonnen des Edelmetalls wurden 2020 dort gewonnen. Südafrika ist generell eines der wichtigsten Bergbauländer der Welt, auch Gold, Chrom und Steinkohle werden dort in großen Mengen hergestellt. Laut WWF Deutschland befinden sich Rohstoffminen häufig im trockenen Nordosten des Landes, wo Wasservorkommen knapp und Konflikte um dessen Nutzung stark verbreitet sind. Es ist eines von vielen Problemen entlang der Lieferkette von Platin.
Mehrere hundert Meter unter der Erde, bei Temperaturen von bis zu 45 Grad wird das Platin, meist in Kombination mit anderen Metallen, aus der Erde gewonnen. Obwohl Platin eines der teu- ersten Edelmetalle weltweit ist, reichen die Löhne der Minenarbeiter:innen (der Großteil von ihnen Männer) kaum zum Überleben. Laut WWF Deutschland werden für den Bergbau in Südafrika täglich 70 Millionen Liter Wasser benötigt. Die Entwässerung der Minen führt zu Verschmutzungen im Grundwasser, das wirkt sich negativ auf die Gesundheit der lokalen Bevölkerung und die Natur aus.
Immer wieder demonstrieren
Arbeitnehmer*innen für bessere Arbeitsbedingungen. Immer wieder enden diese gewaltvoll. Ein trauriges Beispiel dafür: Das Marikana-Massaker von 2012, bei dem mehr als 30 streikende Bergbauarbeiter des britischen Unternehmens Lonmin von südafrikanischen Polizisten erschossen wurden. Zehn Jahre später sind die Gerichtsverfahren dazu noch immer nicht abgeschlossen. Lonmin war damals Platinlieferant für den deutschen Chemiekonzern BASF. Erst Jahre später hatte BASF die Geschäftsbeziehungen mit Lonmin beendet, heute beliefert Sibanye Stillwater den deutschen Chemiekonzern. Doch auch dort streiken Bergbauleute, seit Wochen werden Gehaltserhöhungen verhandelt – bisher ohne Erfolg.
Immer wieder dieselben Rechtsverletzungen
Laut Globalem Rechtsindex des IGB (Internationalen Gewerkschaftsbund) wurde 2020 in 87 Prozent der Länder weltweit das Streikrecht verletzt. Behinderungen von Gewerkschaftsgründungen und Verweigerungen von Redefreiheit nahmen weltweit zu. In 45 Ländern waren Beschäftigte Gewalt ausgesetzt. In 68 Ländern wurden Beschäftigte willkürlich entlassen und inhaftiert.
Eine Verbesserung der Situation wäre mithilfe eines starken Lieferkettengesetzes möglich, so Miriam Baghdady, Expertin für Wirtschaftsfragen im Volkswirtschaftlichen Referat des Österreichischen Gewerkschafts bunds. „Die Produktionsstätten innerhalb weltweiter Lieferketten befinden sich meistens im Globalen Süden. Immer wieder werden dort die gleichen Arbeitnehmer*innenrechte verletzt: das Recht auf einen angemessenen Lohn, auf sichere Arbeitsbedingungen sowie das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen, Kollektivvertragsverhandlungen zu führen oder zu streiken“, so Baghdady. Und sie fügt an: „Aber auch in Europa werden zum Beispiel Ernte- und Bauarbeiter*innen regelmäßig ausgebeutet.“
Die Expertin fordert eine gesetzliche Verpflichtung für heimische Unternehmen, internationale Menschen- und Arbeitsrechte, sowie Klima- und Umweltstandards entlang ihrer gesamten Lieferketten einzuhalten. Bei Verstößen müsse es zivil- und strafrechtliche Sanktionen geben. Außerdem wäre es notwendig, das Gesetz für alle Unternehmen mit Sitz in der EU und Unternehmen, die hier Produkte in Verkehr bringen, geltend zu machen. Genau das sieht der aktuelle Entwurf eines EU-Lieferkettengesetzes allerdings nicht vor. Auch das Einbeziehen von Gewerkschaften und Betriebsräten ist in dem Entwurf für die Expertin nicht ausreichend sichergestellt.
Miriam Baghdady, Wirtschaftsexpertin des ÖGB, fordert ein starkes Lieferkettengesetz, um Menschenrechtsverletzungen nachvollziehbar zu machen.
Kreislaufwirtschaft und Zertifizierung als Lösung?
Eine weitere Möglichkeit, die Probleme in der Rohstofferzeugung zu umgehen, ist möglichst wenige neu gewonnene Rohstoffe zu nutzen. Die ÖGUSSA, die sich selbst als „Österreichs Marktführer in Edelmetallverarbeitung und Recycling“ bezeichnet, wirbt auf ihrer Website damit, dass Edelmetalle auch ohne Ausbeutung und Umweltschäden produziert werden können. Am Beispiel von Gold erklärt man, dass Initiativen wie Fairtrade (FLO) oder Fairmined (ARM) menschenwürdige Arbeitsbedingungen in Minen des zertifizierten Kleinbergbaus gewährleisten würden. Wie aber verhält sich das mit Platin? Nachdem ÖGUSSA auf seiner Website „alle potentiellen Interessengruppen ermutigt“, Fragen bezüglich der Lieferkette zu äußern, haben wir nachgefragt, woher das Unternehmen dieses kostbare Metall bezieht. Marcus Fasching, Geschäftsführer von ÖGUSSA, erklärt, dass man auf recyceltes Platin setzt, weil das nicht nur sozial, sondern auch ökologisch vertretbar sei. „Natürlich kommt auch recyceltes Platin ursprünglich aus einer Mine“, bejaht Fasching. Über den genauen Ursprung des Platins, welches bei ÖGUSSA verarbeitet wird, erhielten wir allerdings keine Auskunft. „Wir verarbeiten nur Platin, das bereits in Verwendung gewesen ist“, so Fasching. Der Argumentationslinie zufolge, liege die Verantwortung für menschenwürdige Bedingungen im Bergbau also bei jenen Unternehmen, die Platin direkt aus der Mine beziehen.
Trotzdem versichert Fasching konfliktfreie Lieferketten und verweist auf Zertifizierungen, die soziale und ökologische Standards versprechen. Dass Zertifikate und freiwilliges Engagement von Unternehmen ausreichen, wird von Befürwortern von Liefergesetzen verneint. Mangelhafte Kontrollen, fehlende Transparenz und eine daraus resultierende mangelhafte Glaubwürdigkeit sind oft Argumente gegen Gütesiegel und Co. Außerdem beleuchten Zertifikate selten die gesamte Lieferkette, sondern nur Abschnitte davon. Ein weiteres Problem sind fehlende strafrechtliche Konsequenzen bei Verstößen. Also lieber doch gesetzliche Verpflichtungen? Fasching äußert sich grundsätzlich offen dafür: „Gesetze schaffen gleiche Spielregeln für alle.“ Die Frage bleibt jedoch: Wie genau sollen diese Spielregeln aussehen?
Charlotte Lonitz, Projektleiterin von „Begegnung Südliches Afrika“, bei einem ihrer Einsätze.
Arbeit global denken
Nach Lösungen für die Probleme im Rohstoffabbau sucht auch das Projekt „Begegnung Südliches Afrika. Arbeit und Leben global gedacht“ des Dokumentations- und Kooperationszentrums Südliches Afrika (SADOCC). Gewerkschafter*innen, Aktivist*innen sowie politisch Interessierte aus fünf Ländern – Österreich, Südafrika, Namibia, Zimbabwe und Mosambik – stellen sich gemeinsam der Frage: Wie verringern wir globale soziale und wirtschaftliche Ungleichheit?
In Seminaren und interaktiven Workshops von Expert*innen und lokalen Aktivist*innen werden anhand von konkreten Fallbeispielen in den drei Themenfeldern Weinbau und –handel, Platin- und Rohstoffabbau sowie informelle Beschäftigung Zusammenhänge zwischen internationalem Handel, kolonialer Vergangenheit und regionalen Gegebenheiten aufgezeigt. „Ziel des Projekts ist es, dass die Teilnehmenden hinter die Kulissen von globalen Lieferketten blicken können“, erläutert Charlotte Lonitz, Projektleiterin von Begegnung Südliches Afrika. „Was kann ich als Konsument*in machen, damit in meinen Produkten weniger Ausbeutung steckt?“
Brieffreundschaft 2.0
Auch bestehende Gegeninitiativen werden in den Veranstaltungen besprochen. Gemeinsam mit Partnerorganisationen in den vier Schwerpunktländern werden beispielsweise die Bestrebungen der Gewerkschaften im südafrikanischen Weinsektor, Aktivismus im Bereich Platinabbau oder die Empowerment- Strategien von Frauengruppen in Mosambik präsentiert.
Eine Besonderheit des Projektes ist die Möglichkeit, sich nach den Seminaren und Workshops in weiterführenden Dialoggruppen austauschen zu können. „Die Teilnehmenden können sich über digitale Medien direkt mit Arbeiter*innen, Gewerkschafter*innen und Aktivist*innen aus den Partnerländern austauschen“, so Lonitz, „eine Art Brieffreundschaft 2.0 über zwei Kontinente hinweg.“ Das auf zwei Jahre hin ausgelegte Projekt wird von der Austrian Development Agency (ADA) aus Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit gefördert und in Partnerschaft mit der Gewerkschaft GPA durchgeführt.
Sandra Schmidhofer ist freie Journalistin und unterstützt das Projekt „Begegnung Südliches Afrika“ von SADOCC bei der Öffentlichkeits- und Pressearbeit. Sie ist zudem Redakteurin beim inklusiven Medien-Startup „andererseits“.
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