
„Eine Petition ist oft ein Türöffner“
Welt verändern leicht gemacht: Die zivilgesellschaftliche Kampagnenorganisation #aufstehn will Menschen dabei helfen, ihren politischen Anliegen Gehör zu verschaffen. Wie das gelingt? Ein Gespräch mit Maria Mayrhofer, Geschäftsführerin und Ko-Gründerin von #aufstehn. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Interview: Sandra Schmidhofer
#aufstehn nutzt digitale Technologien um politische Partizipation für alle zugänglich zu machen. Kann man mit ein paar Klicks die Welt verändern?
Es wäre natürlich naiv zu glauben, dass man mit ein paar Klicks die Welt verändern kann. Das ist ein Vorwurf, den man sehr oft hört, wenn man mit Online-Petitionen arbeitet.
Grundsätzlich ist das Internet eine wunderbare Möglichkeit, gerade für Gruppen, die sonst in politischen Diskussionen weniger Gehör finden, sich überhaupt einmal Gehör zu verschaffen. Ich frage mich vielleicht, was das schon für eine Rolle spielt, wenn ich eine Online-Petition unterzeichne. Aber wenn ich dann 20.000 Unterschriften beisammen habe, ist es viel leichter zum Beispiel einen Termin bei einer Politikerin zu bekommen oder von den Medien wahrgenommen zu werden.
Ist #aufstehn auch offline aktiv?
Unsere Mitmach-Möglichkeiten beschränken sich nicht nur auf das Netz. Man kann auch zum Telefon greifen und eine Politikerin anrufen oder zu einer Demo gehen. Und was uns auch wichtig ist, ist dass das was wir tun, nicht nur ein Klick im Netz bleibt. Wir fragen uns immer: Wie übersetzen wir das ins ‚echte Leben’? Wie schaffen wir es, dass wir tatsächlich etwas verändern? Eine Petition ist oft ein erster Schritt, ein Türöffner oder eine Diskussionsgrundlage. Und dann überlegen wir, wie wir weitermachen.
Übergabe der Petition „Hände weg vom Rechtsstaat“ an Justizministerin Alma Zadić. Sie reagierte und entschärfte den umstrittenen Razzia-Paragraphen.
Wie ernst wird Online-Aktivismus von Seiten der Politik genommen?
Das ist sehr unterschiedlich. Wenn 300 Menschen in einer kleinen Gemeinde für einen neuen Zebrastreifen unterschreiben, wird wahrscheinlich recht schnell etwas passieren. Wesentlich schwieriger ist es, Politiker:innen auf Bundesebene zu erreichen. Wir haben in den vergangenen Jahren, vor allem seit der Türkis-blauen Regierung erlebt, dass Anliegen von Bürger:innen keinen großen Raum mehr bekommen und dass sich Politiker:innen stark abschotten. Dass auf die Ängste, Sorgen und Forderungen der Zivilgesellschaft nicht reagiert wird. Es hängt immer davon ab, wie dialogbereit Politiker:innen sind. Und das hängt nicht zuletzt davon ab, welchen Stellenwert die Person zivilgesellschaftlicher Teilhabe einräumt.
Wie gesprächsbereit ist die aktuelle Bundesregierung?
Wir haben einige Anliegen gehabt, wo wir uns mit Minister:innen und hohen Beamten in der Verwaltung getroffen und diskutiert haben. Wir waren zum Beispiel beim ehemaligen Sozialminister Rudi Anschober um über Maßnahmen gegen Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung zu sprechen. Da gab es sehr große Dialogbereitschaft. Bei anderen Minister:innen mussten wir sehr lange auf Reaktionen warten oder wurden immer wieder vertröstet. Bei manchen hatten wir das Gefühl, dass Forderungen grundsätzlich abprallen. Mit dem ehemaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz war es besonders schwierig.
Was waren eure größten Erfolge?
Da gibt es ganz viele. Ein ganz junges Beispiel, wo sehr viele Menschen einen Unterschied gemacht haben – und zwar einen ganz erheblichen – war unsere Aktion zum sogenannten Razzia- oder Vertuschungsparagrafen im Frühjahr 2021. Damals sind die ersten Korruptionsverdachtsfälle im Umfeld von Sebastian Kurz laut geworden. Politiker:innen der ÖVP haben versucht, einen Gesetzesentwurf voranzutreiben, der vorsah, dass Hausdurchsuchen bei Poltiker:innen eingeschränkt werden. Die Hausdurchsuchungen, die wir im Herbst erlebt haben, wären dann nicht möglich gewesen. Gemeinsam mit Expert:innen haben wir uns diesen Gesetzesentwurf angesehen, ihn in einfacher Sprache zugänglich gemacht und dadurch erreicht, dass über 8.000 Stellungnahmen im parlamentarischen Begutachtungsprozess abgegeben wurden. Das hat die Justizministerin Alma Zadić sehr beeindruckt. Der Paragraf wurde schließlich entschärft und Hausdurchsuchungen blieben weiter möglich.
„Denkmal der Schande“: Der Bürgermeister und Antisemit Karl Lueger wird bis heute geehrt.
Ihr habt euch auch beim Thema Tamponsteuer eingesetzt ...
Genau. 2016 haben wir begonnen, darüber zu sprechen. Wir haben einen Appell an den Finanzminister gestartet. Weil wir es ungerecht fanden, dass Produkte für die Monatshygiene höher besteuert wurden als ein Opernbesuch oder ein Besuch im Fußballstadion. Dadurch wurde die sogenannte Periodenarmut noch verstärkt. Viele Menschen haben diesen Appell unterzeichnet und auch das mediale Interesse war groß, weil wir plötzlich über ein Tabuthema gesprochen haben. In den Folgejahren ist dieses Thema immer stärker von Medien und Politik aufgegriffen worden. Letztes Jahr wurde die Senkung der Tamponsteuer schließlich durchgesetzt. Manchmal dauert’s auch ein bisschen länger.
Viele sagen ja: Gesellschaftlicher Wandel braucht Zeit. Müssen wir geduldiger sein? Oder doch ungeduldiger?
Ich glaube, es gilt eine gute Balance zu finden. Vor allem auch, um bei dieser Arbeit nicht auszubrennen. Es ist einfach so, dass manche Anliegen länger brauchen. Gerade bei großen Angelegenheiten, an denen viele Akteur:innen beteiligt sind, ist das so. Die schon sehr lange diskutierte Bildungsreform lässt zum Beispiel immer noch auf sich warten. Wir widmen uns aber auch den kleineren Themen. Da gibt es oft Veränderungen, die schneller möglich sind. Und das motiviert, weiterzumachen. Diese Erfolge stärken uns dann den Rücken für die schwierigeren Herausforderungen und helfen dabei, in kleinen Schritten zum großen Ziel zu kommen.
Aufgrund der Covid-Maßnahmen sehen manche Bürger:innen die Demokratie in Österreich gefährdet. Wie steht es um unsere Demokratie?
Ich glaube nicht, dass es ausgerechnet die Covid-Maßnahmen sind, die unsere Demokratie gefährden. Da gibt es andere Dinge, die wesentlich gefährlicher sind. Dass ein Teil unserer Bevölkerung die Covid-Maßnahmen nicht gut annimmt, liegt vor allem daran, dass die Regierung in der Kommunikation über weite Strecken versagt hat. Ich glaube aber, dass ein Misstrauen in demokratische Strukturen auch daher kommt, dass in den vergangenen Jahren nicht sorgsam mit unserem Rechtsstaat umgegangen wurde. Weil es Politiker:innen und auch Medien gab, die diesen Rechtsstaat für die eigenen Interessen ausgenutzt haben. Das alles sehen wir als Bürger:innen. Da fragen sich manche: Wo stehen wir mit unserer Demokratie? Deswegen ist es wichtig zu zeigen, dass wir als Zivilgesellschaft mitreden wollen. Personen, die gegen die Impfung oder die Covid-Maßnahmen protestieren, berufen sich auch auf ihr gesellschaftliches Engagement. Aber man muss hier klar unterscheiden: Welche Gruppe hat das gemeinschaftliche Wohl aller im Auge und wer setzt sich nur für die eigene Gruppe ein?
„Ich glaube aber, dass ein Misstrauen in demokratische Strukturen auch daher kommt, dass in den vergangenen Jahren nicht sorgsam mit unserem Rechtsstaat umgegangen wurde.“
Welche Problemfelder will #aufstehn 2022 angehen?
Die angespannte Situation aufgrund der Pandemie ist ein ganz zentrales Themenfeld. Um zu einem positiven Miteinander beizutragen, haben wir uns beispielsweise angesehen, wie man mit Familienmitgliedern, Bekannten oder Freund:innen sprechen kann, die in ein rechtsextremes oder Verschwörungsmilieu abdriften. Wie kann man trotzdem positiven Kontakt halten, sie vielleicht sogar zum Umdenken bewegen? Ein zweites aktuelles, leider sehr trauriges Thema, ist der Gewaltschutz. Also der Schutz vor männlicher Gewalt. Das ist eine Angelegenheit, bei der wir der Frauenministerin schon sehr lange in den Ohren liegen und immer noch auf Maßnahmen warten. Wo zahlreiche Institutionen, die mit Betroffenen arbeiten, immer noch darauf hoffen, mehr Geld zu bekommen. Dann haben wir natürlich die Klimakrise vor Augen, die neben der Pandemie die zweite richtig große Herausforderung ist. Und dann noch der Schutz vor Korruption, Machtmissbrauch und Medienmanipulation. Da arbeiten wir auch mit dem „Rechtsstaat und Anti-Korruptions-Volksbegehren“ zusammen.
Da habt ihr einiges zu tun. Was ist das Hauptziel eurer Arbeit?
Ganz kurz formuliert: Eine bessere Welt. In unseren Augen bedeutet das, dass alle Menschen sich unabhängig von Herkunft, Muttersprache, sexueller Orientierung, Alter oder körperlicher Beeinträchtigung verwirklichen können. Wir als ganz normale Bürger:innen haben die Möglichkeit, diese Welt mitzugestalten. Indem wir an politischen und gesellschaftlichen Prozessen teilhaben. Ich habe mich früher oft gefragt: Was kann ich als einzelne Person schon verändern? Man fühlt sich oft machtlos oder alleine. Dieses Gefühl wollten wir mit #aufstehn vermindern, indem wir leicht zugängliche Möglichkeiten für Partizipation schaffen.
Maria Mayrhofer studierte Internationale Entwicklung und Politikwissenschaft in Wien und Costa Rica, engagierte sich im Bereich der Menschenrechte und publizierte zum bis heute ungelösten Konflikt in der Westsahara. 2015 gründete sie gemeinsam mit Yussi Pick die gemeinnützige Kampagnenorganisation #aufstehn. Kürzlich wurde sie für das Obama Leader Europe Programm ausgewählt, mit dem die Obama Foundation aufstrebende Führungskräfte fördert, die im gesellschaftlichen und ökologischen Bereich aktiv sind.
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