Fragen und Antworten zu Humanitärer Aufnahme
Mit der Kampagne zur Wiedereinführung von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen will SOS Mitmensch die humanitäre Tradition Österreichs wiederbeleben. Die Kampagne kann HIER unterstützt werden. Im Folgenden Fragen und Antworten zur Aufnahmeinitiative von SOS Mitmensch sowie zur Geschichte und Gegenwart humanitärer Aufnahme in Österreich und international.
Was ist mit humanitärer Aufnahme von Geflüchteten gemeint? |
Bei „humanitärer Aufnahme“ geht es um die Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Personen durch Staaten, die den Menschen Sicherheit und Lebensperspektiven bieten können. Humanitäre Aufnahmeprogramme sind kein Ersatz für Asylanträge im Land, sondern eine wichtige Ergänzung, um Personen aus akuten Notlagen zu retten.
Es gibt verschiedene Arten von humanitären Aufnahmeprogrammen:
Neben der unmittelbaren Hilfe für die Betroffenen tragen humanitäre Aufnahmeprogramme zu einer internationalen Verantwortungsteilung bei und unterstützen die oftmals überforderten Erstaufnahmeländer. Darüber hinaus werden humanitäre Werte und Traditionen in den Aufnahmeländern gestärkt.
Hintergrundinformation zu „Resettlement“: „Resettlement“ bezeichnet die dauerhafte Neuansiedlung von besonders schutzbedürftigen Geflüchteten in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat. In der Regel handelt es sich dabei um bereits anerkannte Flüchtlinge. Der Aufnahmestaat gewährt ihnen vollen Flüchtlingsschutz und bietet ihnen durch gezielte Hilfestellungen und Unterstützung zudem die Möglichkeit, sich nachhaltig ein neues Leben aufzubauen.
Resettlement gehört zu den sogenannten „dauerhaften Lösungen“ des UN-Flüchtlingskommissariats, um Geflüchteten zu helfen, denen die Rückkehr in ihren Herkunftsstaat auf absehbare Zeit nicht möglich ist. Für Resettlement-Aktionen ausgewählt werden üblicherweise Personen, die aufgrund ihrer körperliche Verfassung, ihres Geschlechts, ihres Alters, ihrer persönlichen Erfahrungen und ihrer rechtlichen Situation ein besonders hohes Schutzbedürfnis haben. Meist leben diese Menschen zum Zeitpunkt des Resettlements schon einige Zeit unter extrem schwierigen Bedingungen und ohne echte Zukunftsperspektiven in Flüchtlingslagern in einem Erstaufnahmeland.
Hintergrundinformation zu „Relocation“: „Relocation“ steht für die Umsiedelung von Geflüchteten innerhalb der Europäischen Union. 2015 wurde es von der Europäischen Kommission als Instrument zur gerechteren Verteilung Schutzsuchender zwischen den EU-Staaten entwickelt. Doch bereits das erste EU-Relocation-Programm 2015-2017 wurde von einigen Mitgliedsstaaten torpediert, indem sie ihren Aufnahmeverpflichtungen nicht oder nur in minimalem Ausmaß nachkamen. Zu diesen Staaten zählte auch Österreich.
Aktuell findet Relocation nur mehr auf freiwilliger Basis und innerhalb einer sogenannten „Koalition der Willigen“ statt. So wurden etwa in Folge des Brandes auf Moria zumindest einige Tausend bereits anerkannte Flüchtlinge, besonders schutzbedürftige Familien und unbegleitete Minderjährige von Ländern wie Deutschland, Frankreich, Finnland, Luxemburg, Portugal, Irland oder den Niederlanden aufgenommen. |
Wie funktionieren humanitäre Aufnahmeprogramme? |
Kurzfristige Aufnahmeaktionen in akuten Krisensituationen Kurzfristig umgesetzte Aufnahmeaktionen in akuten Kriegs- und Krisensituationen erfolgen meist in Absprache mehrerer aufnahmebereiter Länder, um gemeinsam Mittel und Wege für die Rettung von Menschen bereitzustellen. An der Evakuierung und Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen aus Afghanistan haben sich beispielsweise bisher zumindest 22 Länder beteiligt und so zehntausenden Menschen Schutz geboten. Österreich hat sich bislang nicht beteiligt.
Resettlement-Programme Bei der humanitären Aufnahme mittels eines Resettlement-Programms übernimmt im Regelfall das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) eine Schlüsselrolle. Das UNHCR führt in den Erstaufnahmeländern sowohl das Verfahren zur Anerkennung des Flüchtlingsstatus durch als auch die Auswahl jener Geflüchteten, die besonders schutzbedürftig sind und daher einen dringenden Resettlement-Bedarf haben. Dafür hat das UNHCR sogenannte „Vulnerabilitätskriterien“ zur Feststellung der Verletzlichkeit und Schutzbedürftigkeit von Personen festgelegt.
Um für ein humanitäres Resettlement-Aufnahmeprogramm in Frage zu kommen, muss eine Person zumindest eines der folgenden Kriterien erfüllen:
In Ausnahmefällen können auch Personen, die vom UNHCR keinen Flüchtlingsstatus zuerkannt bekommen haben, für einen Resettlement-Platz vorgeschlagen werden. Das ist dann der Fall, wenn:
Der konkrete Ablauf von Resettlement lässt sich anhand der drei erfolgreichen humanitären Aufnahmeprogramme für syrische Geflüchtete in Österreich (HAP I, II, III) zwischen 2013 und 2018 gut nachvollziehen:
Grafik © ÖRK
Relocation-Programme Relocation ist ein Instrument der EU-Kommission zur Umsiedelung schutzbedürftiger Menschen innerhalb der EU. Die EU-Kommission spricht in diesem Zusammenhang von innereuropäischer „Lastenteilung“ („burden-sharing“). Ein Beispiel ist das als Reaktion auf die gestiegene Anzahl an Schutzsuchenden 2015 eingesetzte Programm zur Umsiedelung schutzbedürftiger Menschen aus Italien und Griechenland.
Das 2018 abgeschlossene Programm funktionierte folgendermaßen:
Ursprüngliches Ziel des Relocation-Programms war es, 160.000 Menschen aus Griechenland und Italien umzusiedeln. Letztendlich wurden zwischen den Jahren 2015 und 2017 nur rund 34.500 Menschen auf 25 EU-Mitgliedsstaaten verteilt.
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Was bringen humanitäre Aufnahmeprogramme den Menschen, die aufgenommen werden? |
Für Menschen, die über humanitäre Aufnahmeprogramme in aufnahmebereite Länder kommen, stellt dies meist den einzigen Weg für eine positive Zukunftsperspektive dar. Denn die betroffenen Menschen sind im Regelfall besonders verletzlich und schutzbedürftig. Für sie ist es aus verschiedensten Gründen unzumutbar dort zu bleiben, wo sie sind. Sie harren in ihrem Herkunfts- oder im Erstaufnahmeland unter extrem schwierigen Bedingungen, großer Unsicherheit und teilweise sogar unter unmittelbarer Gefahr vor Verfolgung aus.
Humanitäre Aufnahme ermöglicht ihnen
Die Ankunft und Aufnahme in den Aufnahmeländern verläuft geordnet, ohne Unsicherheit und Chaos. Die Aufgenommenen erhalten Unterstützungsleistungen in Form von Unterbringung, psychologischer Betreuung, Deutschkursen und Beratung. Sie erhalten rasche Asylbescheide, mit all den damit einhergehenden Möglichkeiten, wie etwa Arbeitsaufnahme. Durch die geordnete Aufnahme wird zudem eine Re-Traumatisierung auf der Flucht verhindert. |
Was bringt die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten Österreich? |
Langfristig angelegte humanitäre Aufnahmeprogramme machen die Aufnahme von Schutzsuchenden planbar und vorhersehbar. Staatliche Einrichtungen sowie die Zivilbevölkerung können mit der Ankunft von Geflüchteten zu einem bestimmten Zeitpunkt rechnen.
Dies ermöglicht, dass frühzeitig entsprechende Strukturen, Programme und eine angemessene Verteilung auf aufnahmewillige Gemeinden und Städte organisiert werden können. Zudem kommen bei dauerhaft angelegten Aufnahmeprogrammen in den meisten Fällen bereits behördlich anerkannte Flüchtlinge nach Österreich, es sind also im Regelfall keine weiteren Asyl-Verfahrensschritte mehr notwendig.
Die EU unterstützt Staaten, die Resettlement durchführen, mit 10.000 Euro pro umgesiedelter Person. Im Fall einer humanitären Aufnahme, die kein Resettlement ist, werden 6.000 Euro pro Person bereitgestellt – im Falle einer besonderen Vulnerabilität 8.000 Euro.
Die Erfahrung aus den bereits durchgeführten Aufnahmeprogrammen in Österreich zeigt, dass sich die Menschen durch den sicheren Fluchtweg, die geordnete Aufnahme und die gut organisierte Betreuung und Unterstützung relativ schnell ein selbstbestimmtes Leben in Österreich aufbauen können:
Darüber hinaus stärken humanitäre Aufnahmeprogramme die humanitären Werte und Traditionen im Aufnahmeland. |
Welche Erfahrungen hat Österreich bisher mit humanitärer Aufnahme gemacht? |
Historisch betrachtet hat sich Österreich immer wieder an der humanitären Aufnahme von Geflüchteten beteiligt. Grob lassen sich die österreichischen Erfahrungen mit humanitären Aufnahmeprogrammen in vier Phasen einteilen:
Im Jahr 2020 wollte die österreichische Initiative „Courage – Mut zur Menschlichkeit“ ein Programm zur humanitären Aufnahme von Geflüchteten aus den griechischen Flüchtlingslagern auf Lesbos anstoßen. Die breite zivilgesellschaftliche Initiative machte der österreichischen Bundesregierung das Angebot, in Kooperation mit Hilfsorganisationen, Gemeinden, Städten, Religionsgemeinschaften und Einzelpersonen in ganz Österreich sichere Plätze für Geflüchtete zu schaffen. Das erste Ziel, 144 sichere Plätze zu schaffen war schnell erreicht. Inzwischen gibt es eine „Landkarte der sicheren Plätze“ in Österreich, die Plätze für mehr als 3.000 Menschen umfasst. Die Bundesregierung reagierte bisher nicht auf das Angebot. |
Welche Erfahrungen machen andere Länder mit humanitärer Aufnahme? |
Auf internationaler Ebene sind vor allem die USA und Kanada, aber auch Australien und Neuseeland Länder mit einer langen und umfangreichen Geschichte der humanitären Aufnahme von Geflüchteten. Das Vorzeigeland in Sachen Resettlement und humanitärer Aufnahme innerhalb der EU ist Schweden.
Resettlement hat in Schweden eine lange Tradition und wird dort bereits seit 1950 durchgeführt. Im Jahr 2018 wurde die schwedische Resettlement-Quote zuletzt substanziell erhöht und liegt seither bei 5.000 jährlichen Resettlement-Plätzen. Umgesetzt wird das Resettlement-Programm in Schweden von der staatlichen Migrationsagentur („Migrationsverket“):
Ähnlich etablierte Resettlement-Programme gibt es in Norwegen und Finnland. Aber auch zahlreiche andere europäische Länder haben – wenn auch in Relation zur jeweiligen Gesamtbevölkerung geringer dimensionierte – langfristige Resettlement-Programme: so haben die Schweiz, die Niederlande, Irland, Großbritannien, Belgien, Deutschland oder Frankreich zumindest in den letzten 10 Jahren stets Geflüchtete über Resettlement aufgenommen. Österreich ist eines von neun EU-Ländern, das seit 2018 überhaupt keine Resettlement-Plätze mehr zur Verfügung gestellt hat. Und Österreich ist nur eines von vier Ländern, das sich seit 2018 an überhaupt keiner humanitären Aufnahmeaktion beteiligt hat.
Seit dem Beginn von Resettlement-Programmen in den 1920er Jahren wurden verschiedene Modelle zur Umsetzung entwickelt. Während die skandinavischen Resettlement-Programme vorrangig von staatlicher Seite abgewickelt werden, übernehmen in vielen anderen Ländern NGOs und andere zivilgesellschaftliche Akteur*innen die auf das Resettlement folgende Integrationsarbeit. Manche Staaten geben privaten Akteur*innen auch die Möglichkeit durch die Übernahme einer Art Sponsorschaft zusätzliche Resettlement-Plätze zu schaffen. Zum Beispiel wurde in Deutschland vor zwei Jahren das Programm „Neustart im Team“ ins Leben gerufen, in dessen Rahmen sogenannte Mentoring-Gruppen (mindestens fünf Personen) durch die Verpflichtung zur Übernahme von Mietkosten und Integrationsarbeit bis zu 500 zusätzliche Resettlement-Plätze schaffen können.
Um innerhalb der EU eine solidarischere Verteilung von schutzsuchenden Menschen zu erreichen, wurde von der EU-Kommission zwischen 2015 und 2017 ein Programm zur Umsiedelung schutzbedürftiger Menschen eingeführt. Dabei wurden insgesamt 34.500 schutzsuchende Menschen aus Italien und Griechenland auf 25 EU-Mitgliedsstaaten verteilt. Malta, Luxemburg, Finnland und Schweden nahmen in diesen zwei Jahren prozentuell mit Abstand am meisten Menschen auf. Einzelne EU-Länder wie Dänemark, Großbritannien, Polen und Ungarn beteiligten sich hingegen nicht an dem Relocation-Programm. Andere erfüllten ihre vorgesehene Quote kaum. Dazu gehörte auch Österreich, das nur 43 statt der vorgesehenen 1.953 Menschen aufnahm. 65 Prozent aller Menschen, die sich weltweit auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung befinden, leben in Ländern des Globalen Südens. Zudem bleiben 73 Prozent aller Geflüchteten in ihren jeweiligen Nachbarländern. Die Hauptaufnahmeländer sind demnach zum größten Teil die oft direkt angrenzenden Erstzufluchtsländer, wie der Libanon, Jordanien oder die Türkei. Diese Erstzufluchtsländer, die derzeit den größten Beitrag zur Bewältigung globaler Krisensituationen leisten, gilt es sowohl durch Hilfe vor Ort als auch durch die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten zu unterstützen. |
Wie steht Österreich im internationalen Vergleich in Sachen humanitäre Aufnahme derzeit da? |
Laut dem „Resettlement Data Finder“ des UNHCR wurden von Österreich zwischen 2011 und 2020, 1.376 Flüchtlinge über UN-Resettlement-Programme aufgenommen. Um die Resettlement-Zahlen in Relation zur jeweiligen Gesamtbevölkerung international vergleichbarer zu machen, hat SOS Mitmensch eine Aufnahmerate definiert, die sich an den Resettlement-Aufnahmeplätzen der letzten 10 Jahre (2011-2020) pro 10.000 Einwohner*innen orientiert. Zehn Jahre deshalb, weil Einzeljahre bei Resettlement aufgrund der Schwankung der Zahlen nicht aussagekräftig sind. Österreich kommt diesbezüglich auf eine Rate von 1,5 Aufnahmeplätzen auf 10.000 Einwohner*innen über einen Zeitraum von zehn Jahren.
Im EU-Vergleich liegt Österreich in punkto humanitärer Aufnahmerate während der letzten zehn Jahre auf dem 10. Platz. In den vergangenen drei Jahren wurde von Österreich allerdings keine Person mehr mittels humanitärer Aufnahme aufgenommen. EU-Spitzenreiter ist Schweden mit einer Aufnahmerate von 26,5. Schweden hat also in den letzten 10 Jahren 26,5 Resettlement-Plätze pro 10.000 Einwohner*innen zur Verfügung gestellt (insgesamt: 27.476). International gesehen hat nur Norwegen mit 35 Resettlement-Plätzen pro 10.000 Einwohner*innen eine höhere Aufnahmerate im Rahmen der UNHCR-Resettlement-Programme.
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Ankünfte im Rahmen von UNHCR-Resettlement-Programmen in den letzten 10 Jahren pro 10.000 Einwohner*innen.
Innerhalb der EU gibt es neben Schweden mit Finnland nur ein einziges weiteres Land mit einer zweistelligen humanitären Aufnahmerate (14,7). Deutschland und Frankreich nehmen zwar in absoluten Zahlen ähnlich viele Schutzsuchende über Resettlement auf wie Schweden (in den letzten 10 Jahren durchschnittlich 3.000 pro Jahr), stellt man die Aufnahmeplätze allerdings in Relation zu der jeweiligen Bevölkerungsgröße klafft hinter diesen drei skandinavischen Ländern in Europa eine große Lücke. Trotzdem kommt Deutschland mit einer humanitären Aufnahmerate von 2,5 immer noch auf eine deutlich höhere Rate als Österreich und liegt auch über den EU-Durchschnitt von 2,2. Auch die Schweiz kommt mit 5,6 auf eine deutlich höhere humanitäre Aufnahmerate als Österreich.
Die in absoluten Zahlen größten humanitären Aufnahmeländer sind außerhalb Europas zu finden. Mit im letzten Jahrzehnt durchschnittlichen 40.000 Resettlement-Plätzen pro Jahr stellen die USA viermal so viele Plätze zur Verfügung wie die gesamte EU und fünfmal so viele wie Kanada. Damit kommen die Vereinigten Staaten auf eine humanitäre Aufnahmerate von 12 Plätze pro 10.000 Einwohner*innen in den letzten 10 Jahren und Kanada auf eine Rate von 22. Weitere Länder mit vergleichsweise hohen humanitären Aufnahmerate sind Australien (20,5) und Neuseeland (14,5). Vor allem bei Kanada und Australien ist erwähnenswert, dass diese zusätzlich zu diesen UNHCR-Resettlements auch sehr viele Resettlements ohne Beteiligung des UNHCR durchführen.
Auch an innereuropäischen Programmen zur solidarischen Verteilung von Schutzsuchenden hat sich Österreich in der Vergangenheit kaum beteiligt. So wurden z.B. im Rahmen des zwischen 2015 und 2017 durchgeführten Relocation-Programmes der EU nur 43 anstelle der vorgesehenen 1.953 Menschen aus Griechenland und Italien nach Österreich umgesiedelt. Spitzenreiter bei der Erfüllung ihrer vorgesehenen Quoten waren Länder wie Malta, Luxemburg und Finnland. Andere europäische Länder wie Dänemark, Polen oder Ungarn beteiligten sich gar nicht an dem Umsiedelungsprogramm.
Als sich im März 2020 die Lage der Geflüchteten in den griechischen Flüchtlingslagern immer weiter verschlechterte, formierte sich innerhalb der EU eine sogenannte „Koalition der Willigen“, bestehend aus 16 Ländern. Dazu gehörten u.a. Deutschland, Frankreich, Irland, Finnland, Portugal, Luxemburg und Kroatien. Ursprüngliches Ziel war es mindestens 5.200 Menschen aus den griechischen Flüchtlingslagern umzusiedeln. Anfang November 2021 lag die Anzahl der umgesiedelten Personen bei 4.463. Deutschland hat dabei fast mehr als die Hälfte der Menschen aufgenommen, nämlich 2.812. Auch an diesem humanitären Aufnahme-Programm hat sich Österreich nicht beteiligt.
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan im Sommer 2021 nahm eine Vielzahl an Ländern auf der ganzen Welt an der humanitären Evakuierung von schutzbedürftigen Menschen teil. Zweiundzwanzig Länder beteiligten sich bisher an den Evakuierungen und konnten so tausenden Menschen Schutz anbieten. Österreich nahm an diesen humanitären Aufnahmeaktionen nicht teil und verweigerte selbst die Aufnahme von akut gefährdeten Frauenrechtsaktivistinnen und Journalistinnen aus Afghanistan. |
Welche Position vertreten österreichische Politiker*innen gegenüber der humanitären Aufnahme von Geflüchteten? |
Im Regierungsprogramm der 2017 ernannten ÖVP-FPÖ-Regierung gab es noch ein klares Bekenntnis zur humanitären Aufnahme von Geflüchteten. Für besonders vulnerable Gruppen war „ein österreichisches Resettlementkontingent“ vorgesehen:
Quelle: Screenshot Regierungsprogramm 2017-2022, S. 34 & 35
Diesem schriftlichen Bekenntnis zur humanitären Aufnahme mittels eines Resettlement-Kontingents folgten aber keine konkreten Umsetzungsschritte. Das Regierungsprogramm der derzeit regierenden türkis-grünen Bundesregierung erwähnt die geordnete humanitäre Aufnahme von Geflüchteten nicht mehr.
Der politische Diskurs in Bezug auf Flucht und Asyl hat sich in den letzten Jahren immer weiter verhärtet. Das lässt sich nicht nur anhand der Regierungsprogramme, sondern auch anhand der Veränderung der inhaltlichen Positionen von Spitzenpolitiker*innen in Bezug auf die humanitäre Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen verfolgen. Im Sommer 2018 forderte der damalige Bundeskanzler und ÖVP-Obmann Sebastian Kurz noch, dass es ein Aufnahmeprogramm für „die Schwächsten der Schwachen“ geben müsse.
Quelle: Screenshot Twitter, 26.08.2018
Zwei Jahre später, im September 2020, antwortete der damalige Bundeskanzler auf die Frage, ob Österreich seine Entscheidung, aus humanitären Aufnahmeprogrammen auszusteigen, revidieren werde, mit: „Nein. Wir haben schlicht zu massive Herausforderungen bei der Integration jener, die seit 2015 zu uns gekommen sind.“ Wenn andere Länder bereit wären, Menschen direkt aus betroffenen Gebieten aufzunehmen, dann wäre laut Kurz aber Resettlement der richtige Weg.
Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka hat seine Haltung zur geordneten Aufnahme von schutzsuchenden Menschen über die Jahre deutlich verändert. In seiner Funktion als Innenminister (2016) machte er sich noch dafür stark, dass die Auswahl von in Europa aufenthaltsberechtigten Flüchtlingen schon in UNHCR-Flüchtlingslagern in den Konfliktregionen erfolgen solle. Man müsse „jene holen, die Schutz am dringendsten brauchen bzw. die wir am meisten brauchen.“ Nur ein Jahr später vertrat er eine andere Position. Als Reaktion auf die Forderung der EU-Kommission im Jahr 2017, mehr Geflüchtete über Resettlement aufzunehmen, meinte Sobotka, dass Österreich eines der meistbelasteten Länder in der Vergangenheit gewesen und noch mit der „Aufarbeitung der bisherigen Situation, insbesondere der Integration, aber auch der Außerlandesbringung jener, die kein Bleiberecht haben“, beschäftigt sei.
Der derzeitige Innenminister Karl Nehammer betont, dass er sich nicht an Programmen zur humanitären Aufnahme von besonders Schutzbedürftigen beteiligen wolle. Im Jänner 2020 sagte Nehammer: „Wir werden der EU-Kommission melden, dass wir keine Personen nehmen.“ Österreich habe in den letzten fünf Jahren als kleines Land bereits „einen überproportional großen Beitrag geleistet“, so Nehammer. Ein aktuelles Statement von August 2021 zum Umgang mit der Situation in Afghanistan zeigt, dass sich die ablehnende Haltung des Innenministers verfestigt hat. Solange Österreich „eine so hohe Belastung durch irreguläre Migration“ habe, sei es „völlig unangemessen, über Resettlement zu reden“. Es brauche zuerst sicheren Außengrenzschutz in der EU, dann könne man über andere Programme nachdenken, so Nehammer.
Eine andere Position in Bezug auf die humanitäre Aufnahme von besonders gefährdeten Menschen aus Afghanistan, vertritt der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig. Er sprach sich für die Aufnahme von Frauenrechtsaktivistinnen und Journalistinnen aus. „Wir würden eine gewisse Anzahl von besonders bedrohten Menschen durchaus bei uns in Wien versorgen können“, konstatierte Ludwig im August 2021. Dazu brauche man aber die Zustimmung der Bundesregierung, so der Wiener Bürgermeister.
Abgesehen von der Wortmeldung Ludwigs hält sich die SPÖ beim Thema humanitäre Aufnahme aber bedeckt. So findet sich z.B. im SPÖ-Positionspapier „Flucht-Asyl-Migration-Integration“ (2018) kein Bekenntnis zur humanitären Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen. Im Jahr 2017 war es zudem der damalige SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern, der sich gegen die österreichische Teilnahme am damals laufenden europäischen Relocation-Programm aussprach. Seine ablehnende Haltung argumentierte Kern damit, dass in Österreich in den Jahren 2015 und 2016 viermal mehr Asyl-Erstanträge gestellt worden seien als in Italien und zweieinhalbmal so viele wie in Griechenland. Österreich habe damit, so Kern, faktisch zu einer erheblichen und über das Umsiedlungsprogramm hinausgehenden Entlastung der beiden Mitgliedstaaten beigetragen.
NEOS und Grüne setzten sich in der Vergangenheit immer wieder für die Aufnahme einer gewissen Anzahl von schutzbedürftigen Menschen ein. So forderte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger im März 2020, dass 500 Frauen, Kinder und Familien aus den Elendslagern auf den griechischen Inseln nach Österreich geholt werden sollen. Im September 2020, nach dem Brand im griechischen Flüchtlingslager Moria, erhöhten die NEOS den Druck auf die türkis-grüne Bundesregierung nochmal, indem sie einen Antrag für die Aufnahme von Kindern aus Moria im Nationalrat einbrachten. Der grüne Vizekanzler Werner Kogler sprach sich zwar auch für die Aufnahme von Frauen und Kindern aus, stellte aber gleichzeitig klar, dass es sich dabei nicht um die Regierungslinie handle. Ein klares Statement für die humanitäre Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen veröffentlichten die beiden NEOS-Politikerinnen Claudia Gamon und Stephanie Krisper am 1. Oktober 2021 anlässlich des „Langen Tages der Flucht“: „Legale Fluchtwege wie Resettlement, über die kontrolliert die schutzbedürftigsten Menschen gerettet werden können, sollten als effizientestes Mittel zur Schlepperbekämpfung wieder vonseiten der Bundesregierung ermöglicht werden.“ |
Wieso startet SOS Mitmensch gerade jetzt eine humanitäre Aufnahme-Initiative? |
Besonders schutzbedürftigen Menschen helfen Durch ein humanitäres Aufnahmeprogramm kann Österreich besonders verletzlichen Geflüchteten Schutz und eine echte Perspektive bieten. Derzeit wären laut offiziellen Zahlen des UN-Flüchtlingshochkommissariats weltweit 1,47 Millionen Menschen auf einen Resettlement-Platz angewiesen. Doch es gibt für die Betroffenen viel zu wenige Aufnahmeplätze. 2019 konnte nur für knapp fünf von 100 besonders schutzbedürftigen Geflüchteten ein Platz in einem sicheren Aufnahmeland gefunden werden. Aufgrund der Corona-Pandemie sank diese bereits viel zu niedrige Zahl im Jahr 2020 nochmals dramatisch um 69 Prozent! Umso wichtiger ist es, dass sich ein Land mit den wirtschaftlichen Möglichkeiten und einer humanitären Tradition wie Österreich wieder an humanitären Aufnahmeprogrammen beteiligt.
Viele positive Aspekte humanitärer Aufnahme Für die sichere, geordnete und geplante Aufnahme von Menschen in Not in Österreich spricht sehr viel. Wir wollen acht positive Aspekte herausstreichen:
Humanitäre Tradition Österreichs in Gefahr Österreich ist ein Land mit einer jahrzehntelangen humanitären Tradition, auch was den Schutz und die Aufnahme besonders verletzlicher und schutzbedürftiger Menschen betrifft. Doch diese humanitäre Tradition ist in Gefahr. Österreich ist inzwischen eines von nur einer Handvoll EU-Ländern, in denen seit 2018 keine einzige Person über ein humanitäres Aufnahmeprogramm aufgenommen wurde. Wie sehr humanitäre Werte in Österreich in Gefahr sind, zeigt aktuell die Weigerung der österreichischen Bundesregierung, akut bedrohte Frauenrechtsaktivistinnen aus Afghanistan aufzunehmen. Das geht soweit, dass einer jungen afghanischen Forscherin und Frauenrechtlerin das bereits zugesagt Visum vorenthalten wird. Wir sind der Ansicht: So darf das nicht weitergehen!
Auch Österreich würde profitieren Österreich hat das Heft selbst in der Hand, sich an der sicheren, geordneten und geplanten Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen zu beteiligen. Die in den vergangenen Monaten und Jahren praktizierte kategorische Ablehnung der Aufnahme von in einer Notlage befindlichen besonders verletzlichen Schutzsuchenden, wie etwa kürzlich im Fall der von Österreich verweigerten Aufnahme von Frauenrechtsaktivistinnen aus Afghanistan, halten wir für den falschen Weg. Diese antihumanitäre Verweigerungshaltung entspricht weder den humanitären Werten und Traditionen in Österreich, noch den Notwendigkeiten zur Milderung globaler humanitärer Krisen.
Fachkommission schlägt 0,05 Prozent Aufnahme pro Jahr vor Die große Bedeutung von humanitären Aufnahmeprogrammen betont auch die von der deutschen Bundesregierung eingesetzte unabhängige Fachkommission Fluchtursachen. Der Kommission gehören 24 hochrangige Expert*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Nichtregierungsorganisationen und internationalen Organisationen an. Die Kommission veröffentlichte im Mai 2021 einen Bericht mit 15 konkreten Handlungsanleitungen zur Minderung von Fluchtursachen. Darunter findet sich auch die Forderung, dass wirtschaftsstarke Länder wie Deutschland, die USA, Kanada oder Japan in Zukunft eine Mindestanzahl an Schutzsuchenden aufnehmen sollen, die zumindest 0,05 Prozent ihrer eigenen Bevölkerung entspricht. Damit sollen die globalen Resettlement-Zahlen aus ihrem historischen Tief geholt werden. Auch Österreich trägt hier eine Mitverantwortung. |
Was fordert SOS Mitmensch von der österreichischen Politik in punkto humanitärer Aufnahme? |
Wir fordern die Umsetzung folgender vier Maßnahmen:
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Wie kann man die humanitäre Aufnahmekampagne von SOS Mitmensch unterstützen? |
PETITION UNTERSCHREIBEN: Unterschreibe unsere #humanitäreaufnahme-Initiative und fordere mit uns die Wiedereinführung von humanitären Aufnahmeprogrammen für besonders schutzbedürftige Menschen! Jede Unterschrift verleiht dem Appell an die österreichische Bundesregierung zusätzliches Gewicht.
MITMOBILISIEREN: Informiere deine Freundinnen und Freunde, Verwandte, Kolleg*innen und Bekannte über die Kampagne. Folge uns auf Sozialen Netzwerken und verbreite den Petitionslink.
EHRENAMTLICH UNTERSTÜTZEN: SOS Mitmensch freut sich über ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, die uns bei Aktionen zur Kampagne unterstützen wollen. Wir freuen uns auch über die Kontaktaufnahme und Geschichten von Menschen, die über humanitäre Aufnahmeprogramme nach Österreich gekommen sind und sich hier ein neues Leben aufbauen konnten. Kontaktadresse: [email protected]
SPENDEN: Wir finanzieren unsere #humanitäreaufnahme-Kampagne ausschließlich durch private Spenden. Wenn Du auf diesem Weg einen Beitrag leisten und unsere Menschenrechtsarbeit stärken willst, dann klicke bitte HIER oder spende direkt auf unser Spendenkonto: SOS Mitmensch, IBAN: AT87 6000 0000 9100 0590 | BIC: BAWAATWW |
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