Murtaza Farzan - Angekommen in Österreich: „Ich will endlich Klarheit!"
Vor vier Jahren flüchtete Murtaza Farzan aus Afghanistan nach Österreich. Bis heute wartet er auf seinen Asylbescheid. Die Ungewissheit lässt ihn fast verzweifeln. Text und Foto: Sonja Kittel
Willkommen und sicher
Als Murtaza Farzan 2015 am Westbahnhof in Wien ankam, fühlte er sich willkommen und er fühlte sich sicher. Nachdem er Asyl beantragt hatte, wurde er in einer Flüchtlingsunterkunft im Waldviertel untergebracht, genau genommen in Waidhofen an der Thaya. Ehrenamtliche unterstützten ihn dort beim Deutsch lernen, er wurde zum Kaffee oder auf ein Bier eingeladen, war ein Jahr lang bei der Freiwilligen Feuerwehr und besuchte als außerordentlicher Schüler die Bundeshandelsschule. „Die vielen Kontakte mit Österreichern und Österreicherinnen haben mir beim Deutschlernen sehr geholfen“, erinnert sich Farzan. „Deutsch ist eine schwere Sprache. Ich konnte am Anfang zum Beispiel nicht ‚ü‘, sagen, aber irgendwann hat es geklappt.“
Gefühl der Aussichtlosigkeit
Die anfängliche Euphorie und Motivation, im sicheren Österreich ein neues Leben beginnen zu können, wichen bald einem Gefühl der Aussichtslosigkeit und des nicht Dazugehörens, das bis in eine Depression führte. Der 26-Jährige war 2015 aus seinem Heimatland Afghanistan nach Österreich geflohen. „Nicht wegen Geld, einem schönen Auto oder einem Haus, sondern weil ich in Afghanistan um mein Leben fürchtete“, betont Farzan. Die Menschen sollen verstehen, dass er sein Heimatland nie verlassen hätte, wenn der Krieg nicht ausgebrochen wäre. Dort hat er seine Familie, seine Freunde, er studierte und hatte eine gute Zukunft vor sich. In Österreich musste er ganz alleine komplett neu anfangen.
Die Stimmung ist gekippt
Als in Waidhofen an der Thaya ein Asylsuchender wegen einer Vergewaltigung verhaftet wurde, drehte sich die Stimmung im Dorf. Farzan spürte die Skepsis ihm gegenüber und dass die Menschen Angst hatten. Er macht auch die Berichterstattung in den Medien dafür verantwortlich, dass die Vorurteile gegenüber Flüchtlingen immer größer wurden. „Wir waren zu dieser Zeit 200 Asylsuchende im Ort. Einer hat etwas Schlimmes gemacht, aber 199 nicht“, sagt der junge Afghane. Er ist überzeugt davon, dass 80 Prozent der Integration durch die Flüchtlinge selbst passieren muss, aber zumindest 20 Prozent sollten auch von der bereits ansässigen Bevölkerung kommen.
Tägliche Ungewissheit
Vier Jahre wartet Murtaza Farzan nun bereits auf seinen Asylbescheid. Vier Jahre in denen er nicht arbeiten darf, in denen er in täglicher Ungewissheit lebt.
Nachdem ihn das ewige Warten und Nichtstun in der Flüchtlingsunterkunft depressiv machte, zog er nach St. Pölten in eine WG. Dort begann er im Rahmen der Dienstleistungsschecks Garten- und Hausarbeiten zu übernehmen. Zehn Stunden pro Monat kann Farzan sich so durch Blumen gießen, Unkraut zupfen oder Putzen etwas dazuverdienen. Die Beschäftigung würde ihn davon abhalten Dummheiten zu machen, sagt der 26-jährige. Viele Menschen in seiner Lage sähen keine andere Möglichkeit, als im Park herumzulungern und Gras zu verkaufen oder schwarz zu arbeiten.
Vorurteile abbauen
Murtaza Farzan wünscht sich endlich Klarheit über seinen Asylbescheid. Sollte er positiv beschieden werden, will er so schnell wie möglich eine Arbeit finden, um Geld zu verdienen, am liebsten in einem Malereibetrieb. Wenn er dann etwas zusammengespart hat, stehen der Führerschein und eine Lehre auf dem Zukunftsplan. Fast wöchentlich kommt der 26-jährige ins Diversity Café in St. Pölten. Dort kommen Flüchtlinge und Österreicher*innen zusammen, um sich zu unterhalten. „Ungefähr 60.000 Menschen leben in St. Pölten und trotzdem kommen immer nur dieselben fünf Leute aus Österreich hierher“, bedauert Farzan. Er fordert die Menschen auf mitzumachen, einander kennenzulernen und so Vorurteile abzubauen.
SOS Mitmensch gibt in der Porträt-Reihe „Angekommen in Österreich“ Menschen, die flüchten mussten, eine Stimme und ein Gesicht. Die Geschichten zeigen auch, welche Hürden Geflüchtete auf ihrem Lebensweg meistern müssen und welche Unterstützung sie dabei erfahren und brauchen. Infos und Kontakte zur freiwilligen Flüchtlingshilfe finden Sie hier.