
Nicht einmal die Hälfte der Wiener Bevölkerung gab ihre Stimme ab
Bei der Wiener Gemeinderats- und Landtagswahl 2020 ist die Wahlbeteiligung der Wiener Wohnbevölkerung erstmals unter die 50 Prozent-Marke gesunken. Von den 1,6 Millionen Einwohner*innen im Wahlalter gaben nur 739.485 ihre Stimme ab. Damit sei eine kritische Grenze unterschritten worden, warnt die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch.
Macht auf dünner Basis
„Noch nie in der Zweiten Republik musste der Wiener Gemeinderat seine Macht auf einer dünneren Wähler*innen-Basis legitimieren. Weniger als halb Wien hat sich an der Wahl beteiligt. Hauptgrund ist der wachsende Anteil der Menschen, die aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft von Wahlen ausgeschlossen sind“, äußert sich Gerlinde Affenzeller, Geschäftsführerin von SOS Mitmensch, besorgt.
Wahlbeteiligung der Wohnbevölkerung unter 50 Prozent
Mehr als 1,6 Millionen Wienerinnen und Wiener waren zum Stichtag der am Sonntag abgehaltenen Wien-Wahl im Wahlalter. Davon waren jedoch nur rund 1,1 Millionen wahlberechtigt. Das sind weniger als 70 Prozent der Wohnbevölkerung. Nur 739.485 machten tatsächlich von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Damit liege die reale Wahlbeteiligung der in Wien lebenden Menschen im Wahlalter bei 45,8 Prozent und damit erstmals unter der 50 Prozent-Marke, so die Berechnung von SOS Mitmensch.
Erstmals in der Zweiten Republik sinkt 2020 die reale Wahlbeteiligung bei einer Wien-Wahl unter 50 Prozent - und zwar deutlich.
Wien wächst, die Demokratie schrumpft
SOS Mitmensch sieht im steigenden Anteil der Wohnbevölkerung ohne Wahlberechtigung eine gefährliche Dynamik. Der Anteil der Wiener*innen, die auf Grund ihrer nicht-österreichischen Staatsbürgerschaft vom Wahlrecht ausgeschlossen sind, habe sich in den letzten 30 Jahren verdreifacht, so die Menschenrechtsorganisation. Die Geschäftsführerin Gerlinde Affenzeller dazu: „Obwohl Wien seit 1990 um ein Viertel gewachsen ist und das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt wurde, gibt es heute weniger wahlberechtigte Wiener*innen als noch 1990. Diese Entwicklung ist bedenklich und nimmt den Menschen die Zugehörigkeit zur Demokratie und der Demokratie den Rückhalt der Menschen.“
Die Schere zwischen Wiener Wohnbevölkerung und wahlberechtigter Bevölkerung geht immer weiter und schneller auseinander. Immer mehr Wiener*innen werden unfreiwillig zu Nicht-Wähler*innen gemacht.
Lösungen auf Bundesebene zu suchen
SOS Mitmensch ruft die Politik auf, rasch dagegen zu steuern, damit der Trend der schrumpfenden Wahlbeteiligung durchbrochen wird. „Es braucht eine substanzielle Senkung der Einbürgerungshürden, erweiterte Möglichkeiten zu Doppelstaatsbürgerschaften und einen bedingungslosen Rechtsanspruch auf Einbürgerung für hier geborene oder lange hier lebende Menschen, damit bei der nächsten Wien-Wahl wieder mehr als die Hälfte der Wohnbevölkerung zur Wahlurne gehen“, schlägt SOS Mitmensch-Geschäftsführerin Affenzeller als Lösungsansatz vor.
Wiener Pass Egal Wahl
SOS Mitmensch weist seit einigen Jahren mit der „Pass Egal Wahl“ auf die wachsende Demokratiekluft hin. Vom Wahlausschluss Betroffene erhalten dabei die Möglichkeit, im Rahmen der Pass Egal Wahl ihre Stimme abzugeben und damit ein Zeichen für mehr Demokratie zu setzen.
Der Moderator und Autor Dirk Sterman bei der Stimmabgabe bei der Wiener Pass Egal Wahl 2020.
HIER sind 20 Fragen und Antworten zum Wahlrecht, zum restriktiven Einbürgerungsrecht und zur Wiener Pass Egal Wahl zu finden.
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