Rona Zarifi - Angekommen in Österreich: „Ich möchte hier leben!"
Rona Zarifi und ihre Familie erhielten nach ihrer Flucht aus Afghanistan subsidiären Schutz in Österreich. In Kirchbichl in Tirol haben sie sich ein Leben aufgebaut - mit der Hoffnung zu bleiben. Text und Foto: Sonja Kittel
Der Wille war immer da
Wenn Rona Zarifi Fotos ihrer Familie zeigt, dann strahlen ihre braunen Augen und Stolz liegt in ihrer sonst so leisen Stimme: Die Enkelkinder beim Picknick im Park oder bei der freiwilligen Feuerwehr, der Sohn beim Skifahren, die Familie beim gemeinsamen Wandern in den Bergen. Auch Fotos des ersten selbst gemachten Eisbechers oder der eigenen Küche hat die 53-Jährige auf dem Handy gespeichert. Vor drei Jahren flüchtete die Familie Zarifi aus Afghanistan nach Österreich. Sie kamen ohne Deutschkenntnisse, ohne soziale Kontakte und mit viel Hoffnung. Der Wille sich hier etwas aufzubauen, war von Anfang an da.
Die schwierige Flucht
Rona Zarifis Mann, ein Pilot, groß gewachsen, gutaussehend, war vor 31 Jahren von den Mujaheddin in Afghanistan erschossen worden. Die junge Frau war nun verantwortlich für die beiden Kinder. Während die Tochter nach England ging – heute lebt sie dort mit ihrem Ehemann und vier Kindern – machte der Sohn eine Ausbildung zum Elektrotechniker. Auch er heiratete und bekam mit seiner Frau zwei Kinder. Als die Situation in Afghanistan aufgrund des Kriegs nicht mehr tragbar war, entschloss sich die Familie zur Flucht. Erst in die Türkei, dann über zahlreiche Länder nach Ungarn und dann nach Österreich. Einen Monat waren sie meistens zu Fuß Tag und Nacht unterwegs. Noch in der Türkei wurde das dritte Enkelkind geboren. Bei der Flucht nach Österreich war es zwei Monate alt. „Es war sehr sehr schwierig“, sagt die Afghanin heute über die Flucht.
Die Anfänge im „Billa-Haus“
Die erste Station in Österreich war das Erstaufnahmezentrum Traiskirchen. Rona Zarifi erinnert sich noch gut an die erste Nacht dort. Sie schlief ruhig und gut und ohne Angst - das erste Mal seit vielen Wochen. Die Familie wurde nach Klagenfurt verlegt, dann nach Kichbichl, ins so genannte „Billa-Haus“. Ein alter Billa war in der Gemeinde zur provisorischen Flüchtlingsunterkunft umgebaut worden. Stellwände, über die man drüberschauen konnte, trennten die einzelnen Bereiche ab. Die sanitären Anlagen waren kaum ausreichend für die vielen Menschen. Trotz der widrigen Umstände hat Rona Zarifi nur Positives zu berichten über diese Zeit. Von ihrer freundlichen Deutschlehrerin Marta oder Menschen, die zu ihr kamen, mit ihr sprachen und sie unterstützen. Erinnerungen an den Schweinskopf, der 2017 vor die Unterkunft gelegt worden war oder an Schweine-Abfälle, die immer wieder über den Zaun geworfen wurden, lässt Zarifi in ihren Erzählungen aus.
Deutsch lernen und arbeiten
Während die Familie Zarifi auf ihren Asylbescheid wartete, arbeitete die Großmutter vormittags in einem Altersheim. Für die gemeinnützige Arbeit bekam sie drei Euro pro Stunde. Nachmittags ging es nach Wörgl zum Deutschkurs. Als der Familie dann subsidiärer Schutz gewährt wurde, machte sie sich gleich auf die Suche nach einer „normalen Arbeit“, wie sie heute sagt. Über den AMS bekam sie schnell eine Stelle in einer Bäckerei in Scheffau, in der sie auch heute noch tätig ist. Sie wäscht Geschirr ab, hält alles sauber und ist im dazugehörigen Café im Service tätig. Jetzt im Sommer macht sie die Eisbecher für die Gäste. „Ich habe eine nette Chefin und nette Kolleginen, alles ist toll“, sagt die 53-jährige über ihren Arbeitsplatz.
Ehrenamtliches Engagement
Jeden Dienstag hilft die Afghanin ehrenamtlich im Caritas-Sozialmarkt in Wörgl aus. Gemeinsam mit einem Kollegen fährt sie die Supermärkte ab, die dem Laden Lebensmittel zur Verfügung stellen und verkauft sie dann günstig an Menschen mit niedrigem Einkommen. Ehrenamtliche Arbeit ist für die ganze Familie wichtig. Mittwochs passt Oma Zarifi auf das jüngste Enkelkind auf, damit die Schwiegertochter im Kleiderladen des Roten Kreuzes helfen kann. Der Sohn, so wie schon in Afghanistan auch in Wörgl als Elektrotechniker tätig, hilft jeden Freitag beim Roten Kreuz mit seinem technischen Können aus.
Eine Patin wird zur Freundin
Eine wichtige Unterstützung für Rona Zarifi ist Christine Ellinger. Die Kirchbichlerin – ihr Mann ist Vizebürgermeister der Gemeinde - war von Anfang an beratend und helfend an ihrer Seite, half bei Behördengängen, Deutsch lernen, Kinderbetreuung oder Kontakte knüpfen. „Von den Kindern bis zu den Erwachsenen, man merkt, dass es der Familie ein Bedürfnis war, hier weiterzukommen. Deshalb gibt es so tolle Ergebnisse“, sagt Ellinger über die Zarifis. Die Verbindung zwischen den beiden Frauen wurde auch durch das Projekt „Marjam - Patinnen für geflüchtete Frauen“, gestärkt, das im Auftrag des Lands Tirol umgesetzt wird.
Keine Deutschkurse mehr
Heute kommt Frau Zarifi öfters mal zum Kaffee und zum Plaudern bei Frau Ellinger vorbei. Manchmal hilft diese ihr beim Lesen oder Schreiben in Deutsch, obwohl die Afghanin laut ihrer Freundin schon „perfekte Sätze“ schreibt. Bis zum Level A2 besuchte die 53-Jährige Deutschkurse. Dann hatte sie kein Recht mehr auf weitere geförderte Kurse. Bei einem Beratungstermin in Innsbruck wurde ihr nahegelegt im Alltag möglichst viel Deutsch zu sprechen und das macht sie jetzt auch mit Ehrgeiz. „Wir möchten in Österreich bleiben und wir wollen arbeiten und Deutsch lernen und hier leben“, sagt sie. In der gemeinsamen Wohnung in Kirchbichl und am Telefon versucht sie auch innerhalb der Familie möglichst viel Deutsch zu sprechen. Der Tiroler Dialekt ist sowohl bei ihr, als auch bei den Enkelkindern, herauszuhören.
Ungewisse Zukunft
Rona Zarifi ist glücklich in Kirchbichl. Ihre Arbeit macht ihr Spaß. Sie hat viele liebe Freunde und Freundinnen gefunden. Ihre Enkelkinder besuchen den örtlichen Kindergarten, beziehungsweise die Volksschule. Dank des eigenen Jobs und dem des Sohnes kann die Familie sich und ihre Wohnung im Ort gut erhalten. Sie wollen hier bleiben und ruhig und unauffällig ihr Leben leben. Doch ein Unsicherheitsfaktor bleibt. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Der subsidiäre Schutz ist befristet. Wie lange der Status ihnen bleibt, ist ungewiss, genau wie ihre Zukunft.
Projektinfo
Das Projekt „Marjam - Patinnen für geflüchtete Frauen“ ist immer auf der Suche nach einheimischen Frauen, die Frauen mit Fluchthintergrund im Alltag begleiten wollen - Derzeit besonders im Raum Kundl.
SOS Mitmensch gibt in der Porträt-Reihe „Angekommen in Österreich“ Menschen, die flüchten mussten, eine Stimme und ein Gesicht. Die Geschichten zeigen auch, welche Hürden Geflüchtete auf ihrem Lebensweg meistern müssen und welche Unterstützung sie dabei erfahren und brauchen. Infos und Kontakte zur freiwilligen Flüchtlingshilfe finden Sie hier.