
Fragen & Antworten zu "Stopp dem falschen Gerede vom 'Migrationshintergrund'!"
Wer ist mit „Mensch mit Migrationshintergrund“ überhaupt gemeint? Wurde der Begriff nicht anfangs als politisch korrekt gehandelt? Und was soll man denn sonst sagen, wenn nicht „Mensch mit Migrationshintergrund“? Hier alle Fragen und Antworten zur Petition:
Beispiele zum falschen Migrationshintergrundgerede
Wer ist mit „Mensch mit Migrationshintergrund“ überhaupt gemeint?
Die offizielle Definition von „Mensch mit Migrationshintergrund“ lautet: Das ist eine Person, die entweder selbst zugewandert ist oder deren Eltern (bzw. zumindest ein Elternteil) nach Österreich zugewandert sind. Die Bezeichnung „Mensch mit Migrationshintergrund umfasst daher
- Personen, die eigenständig nach Österreich migriert und (zumindest großteils) außerhalb Österreichs aufgewachsen sind
- Personen, die mit ihren Eltern nach Österreich migriert und (großteils) in Österreich aufgewachsen sind
- in Österreich geborene Kinder von Personen, die außerhalb Österreichs aufgewachsen sind
- in Österreich geborene Kinder von Personen, die außerhalb Österreichs geboren, aber in Österreich aufgewachsen sind
Was unterscheidet "Menschen mit Migrationshintergrund" von "Menschen ohne Migrationshintergrund"?
Viel weniger als man denkt! Ein Großteil der „Menschen mit Migrationshintergrund“ ist in Österreich aufgewachsen, viele haben sogar Eltern, die in Österreich aufgewachsen sind, und sehr viele haben selbst keine Migrationserfahrung gemacht. Darüber hinaus sind „Menschen mit Migrationshintergrund“ jung und alt, Frauen und Männer, erwerbstätig und nicht erwerbstätig, reich und arm, autoritär und liberal, materialistisch und altruistisch, egozentrisch und hilfsbereit, VegetarierInnen und FleischesserInnen, homosexuell und heterosexuell, AnalphabetInnen und Leseratten, AutofahrerInnen und RadfahrerInnen, im Internet und offline, religiös und atheistisch, einsprachig und mehrsprachig, …und alles Mögliche dazwischen.
Was heißt das im Klartext?
Die Bezeichnung „Menschen mit Migrationshintergrund“ umfasst eine sehr breite und sehr diffuse Gruppe von Menschen, die sich selbst nie als einheitliche Gruppe wahrnehmen würden. Für manche der angesprochenen Menschen spielt Migrationserfahrung eine wichtige Rolle in ihrem Leben, für andere nicht. Für manche ist die Migrationserfahrung der Eltern von Bedeutung, für andere nicht. Für sehr viele sind andere Lebensaspekte viel entscheidender.
Wurde „Mensch mit Migrationshintergrund“ nicht anfangs als politisch korrekter Begriff gehandelt?
Wenn „Mensch mit Migrationshintergrund" als politisch korrekte Erfindung gedacht war, dann ist es eindeutig eine missglückte und kontraproduktive Erfindung. Denn wichtig ist, dass man die richtigen Dinge anspricht und sich nicht hinter diffusen Begriffskonstruktionen wie eben „Mensch mit Migrationshintergrund“ versteckt, die viel verschleiern und damit zugleich auch viel Falsches suggerieren.
Wird „Mensch mit Migrationshintergrund“ nicht auch von der Wissenschaft verwendet?
Der Begriff "Mensch mit Migrationshintergrund" findet in der Tat nach wie vor auch in der Wissenschaft Verwendung, allerdings meist nicht in ganz so platter und undifferenzierter Weise wie in der Politik. Darüber hinaus existiert in der Wissenschaft auch eine sehr kritische Diskussion zu diesem Begriff. Die Kritische Migrationsforschung fragt etwa, in welchem gesellschaftspolitischen Zusammenhang bestimmte (angenommene) Merkmale (wie z.B. Herkunft, Kultur, Religion, Sprache, etc.) verwendet werden, um Gruppen zu kreieren und Unterschiede festzuschreiben. Trotz dieser kritischen Strömungen finden sich allerdings oft auch sehr fragwürdige Verwendungsweisen des Begriffs „Migrationshintergrund“ in der Wissenschaft. Daher richten wir auch an die Sozialforschung die Forderung, dass diese anerkennen möge, dass irgendwann der Punkt kommt, an dem Menschen, die in einem Land leben, als vollwertiger Teil der Gesellschaft dieses Landes gesehen und benannt werden sollten, und nicht mehr als Außengesellschaft, Randgesellschaft oder, im schlimmsten Fall, als Untergesellschaft. Der Migrationsaspekt sollte dort Eingang in die Wissenschaft finden, wo er tatsächlich Aussagekraft hat. Den Migrationsaspekt in Bezug auf Menschen hervorzukehren, für deren Leben andere Aspekte genauso wichtig oder noch viel wichtiger sind, wird einer Wissenschaft, die relevante Aussagen machen will, hingegen nicht gerecht.
Der MIgrationsforscher Bernhard Perchinig dazu: „Es gibt so etwas wie eine Migrationshintergrund-Astrologie. Der Begriff „Migrationshintergrund“ hat so eine große Breite, dass er wissenschaftlich so gut wie immer irrelevant und fast nicht verwertbar ist. Dennoch hat sich der Begriff auch in Teilen der Sozialwissenschaften eingebürgert.“
Es gibt ja auch Menschen und Gruppen, die sich selbst als „MigrantInnen“ bezeichnen und für sich selbst den Migrationsaspekt hervorkehren, seid ihr da auch dagegen?
Nein, ganz im Gegenteil. Es ist wichtig, dass jeder und jede für sich genau das in den Vordergrund stellen kann, was er oder sie für bedeutungsvoll hält. Alle, die mit Migration etwas Wichtiges für sich verbinden, müssen die Möglichkeit haben, das auch nach außen zu tragen. Viele haben sogar gar keine andere Wahl als sich mit ihrem Status als MigrantInnen auseinander zu setzen, weil es in Österreich eine Migrationspolitik gibt, die schikanös ist, rassistische Züge trägt und Lebensperspektiven blockiert. Und gerade weil wir eine migrationsfeindliche Politik haben, die vielfach ein falsches Spiel mit Begriffen und Gesetzen rund um Migration betreibt, ist Selbstermächtigung von Menschen, die sich betroffen fühlen, unbedingt notwendig. Daher gilt denjenigen unsere volle Anerkennung und Unterstützung, die sich zu Gruppen verbündet haben, um selbstermächtigende und antirassistische Interessen zu vertreten, die in Zusammenhang mit Migration stehen. Diese selbstermächtigenden Interessen unterscheiden sich fundamental von dem, was weite Teile der Politik machen, nämlich Leute gegen ihren Willen in Gruppen und Schubladen zu stecken und mit dem Finger auf sie zu zeigen. Das gehört abgestellt.
Was soll man denn sonst sagen, wenn nicht „Mensch mit Migrationshintergrund“?
Wenn es etwas gibt, was wir aus den vergangenen Jahren gelernt haben sollten, dann das: Es genügt nicht, einen falschen Begriff einfach durch einen anderen zu ersetzen. Es braucht eine viel grundlegendere Neuorientierung. Man muss weg von dem Gedanken kommen, dass man Menschen aufgrund einer diffusen Kategorie wie zum Beispiel "Migrationshintergrund" zu einer Gruppe zusammenzufassen und damit alles Mögliche erklären kann. So klug müssen Politik, Medien, Wissenschaft und wir alle sein, dass wir aufhören in diesen Kategorien zu denken.
Was also soll man tun?
Der erste Schritt ist, dass endlich anerkannt wird, dass eine Migrationserfahrung (umso mehr noch, wenn es sich nicht um die eigene Migrationserfahrung, sondern um die der Eltern handelt) für manche Menschen viel bedeuten kann, für andere aber fast gar nichts. Für sehr viele Menschen, denen ein „Migrationshintergrund“ zugeschrieben wird, sind andere „Hintergründe“ viel entscheidender. Etwa ihr sozialer Hintergrund, ihr Bildungshintergrund, ihr Diskriminierungshintergrund, ihr Netzwerkhintergrund, ihr Sprachkenntnishintergrund, ihr Beziehungshintergrund, ihr Macho- oder Feministinnenhintergrund, ihr Vorstadthintergrund, usw. All diese Aspekte und Hintergründe werden derzeit durch das undifferenzierte und unqualifizierte Gerede vom „Migrationshintergrund“ überdeckt. Es ist durch und durch falsch, Menschen, nur weil sie oder ihre Eltern außerhalb von Österreich geboren sind, als „von außen kommend" zu beschreiben und auf dieses „Außensein" für immer festzumachen. So wird gesellschaftliche Spaltung betrieben und festgeschrieben. So ein Denken ist die Grundlage für fortgesetzte Diskriminierung. Solange wir ständig gebannt auf den falschen Hintergrund starren, zementieren wir Vorurteile und Gräben ein, an deren Überwindung wir eigentlich arbeiten sollten.
Warum schlägt die Petition so einen harschen Ton an?
Früher, als noch ausschließlich von „den Ausländern“ die Rede war, hieß es „Integration vor Neuzuzug“. Damals lautete die zentrale Botschaft der Politik, dass man sich gegen das außerstaatliche Außen besser abschotten müsse. Jetzt, wo von „den Menschen mit Migrationshintergrund“ die Rede ist, heißt es „Integration durch Leistung“. Und damit rückt „das Innen“ und „das Außen“ innerhalb der österreichschen Staatsgrenzen in den Fokus – und wird fortgeschrieben, anstatt aufgehoben zu werden. „Integration durch Leistung“ heißt, „du Außenmensch" bist nur willkommen, wenn du die Leistungsbedingungen, die „von uns Innenmenschen" gestellt werden, erfüllst, wenn du so bist, wie es „uns Innenmenschen“ gefallt und nützt. „Integration durch Leistung“ ist damit nichts anderes als ein Diktat der Nichtakzeptanz und der Geringschätzung - auch dort, wo dieses Diktat als "Förderung" daher kommt. Wann hört dieses falsche und undemokratische Diktat auf? Wann hören die Verantwortlichen endlich auf, so zu tun, als wäre „Mensch mit Migrationshintergrund“ ein Zauberbegriff, der Probleme löst? Das falsche und oft missbräuchliche Gerede vom „Migrationshintergrund“ nervt unheimlich, und das will die Petition auch mit klaren Worten zum Ausdruck bringen.
Warum betrifft die Petition auch und insbesondere Integrationsstaatsekretär Sebastian Kurz?
Sebastian Kurz hat als Integrationsstaatsekretär eine spezielle Verantwortung übernommen, aber er wird dieser bisher nicht wirklich gerecht. Zwar spricht er richtigerweise davon, dass es nicht mehr von der Herkunft abhängen soll, ob jemand in Österreich anerkannt wird, aber zugleich spricht er so oft wie kein anderer Politiker von der „anderen“ Herkunft der „Menschen mit Migrationshintergrund“. Wozu braucht es dieses ständige Gerede vom „Migrationshintergrund“? Warum wird von den einen ein Leistungsnachweis verlangt, von den anderen aber nicht? Merkt Kurz nicht, dass in dem, was er sagt, ständig dieser Widerspruch mit drinnen steckt, oder nimmt er das bewusst in Kauf? Kurz macht den „Migrationshintergrund“ zu etwas, was er definitiv nicht ist: nämlich eine alles erklärende Kategorie. Und er macht den „Migrationshintergrund“ zu etwas, was er definitiv nicht sein sollte: nämlich ein Mittel zur Verschleierung der wahren Ursachen von Problemen. Um wirklich etwas Positives zu bewegen, müsste Sebastian Kurz dafür sorgen, dass Menschen, die hier geboren, aufgewachsen oder schon vor Jahren zugewandert sind, nicht mehr als „von außen kommend“ betrachtet werden. Er müsste dafür sorgen, dass von niemandem aufgrund seiner oder ihrer Herkunftsgeschichte etwas Spezielles erwartet oder verlangt wird. Kurz macht einen Fehler, wenn er denkt, dass er als Integrationsstaatssekretär nur für die „Menschen mit Migrationshintergrund“ zuständig ist. Wer eine wirkliche Integration will, ist für ALLE Menschen und für ALLE gesellschaftlichen Einrichtungen zuständig, auch für die Integration von Politik und Behörden!
Was wollt ihr mit der Petition erreichen?
Wir wollen möglichst viele Menschen wachrütteln. Wir fordern das Ende einer Politik, die Menschen auf ihren „Migrationshintergrund“ reduziert, falsche Gruppen konstruiert und damit unsere Gesellschaft auseinander dividiert. Wir fordern das Ende des missbräuchlichen Spiels mit Bezeichnungen, durch die Menschen in Neben- und Untergesellschaften gesteckt werden. Wir fordern auch das Ende einer „Integrationspolitik“, die das genaue Gegenteil, nämlich eine Spaltungspolitik ist, weil sie nur von einem Teil unserer Gesellschaft Integrationsleistungen verlangt. Wir wollen den Weg frei machen, dass wir nicht mehr über diffuse Begriffe, sondern über die wahren Probleme reden können, auch über das Problem der immer restriktiver werdenden Einreise- und Aufenthaltsgesetze, die die Lebensperspektive von Menschen blockieren und das Zusammenleben in Österreich erschweren. Und wir wollen sicherstellen, dass kein Verantwortungsträger und keine Verantwortungsträgerin sagen kann, er oder sie hätte nichts vom herabwürdigenden und diskriminierenden Missbrauch der Bezeichnung „Mensch mit Migrationshintergrund“ gewusst.
Wer kann bei der Petition mitmachen?
Bei der Petition können alle mitmachen, die sich gegen den politischen Missbrauch der Bezeichnung „Mensch mit Migrationshintergrund“ aussprechen und sich mit den Zielen der Petition solidarisieren wollen. Es ist nicht notwendig, dass man direkt von der Bezeichnung „Mensch mit Migrationshintergrund“ betroffen ist, weil indirekt betroffen sind wir alle!HIER geht's zur Petition!