Gertraud Klemm: „Das ist nicht Demokratie, sondern Kuhhandel"
Rede der in Niederösterreich lebenden Schriftstellerin Gertraud Klemm auf der Protestkundgebung vor der konstituierenden Sitzung des niederösterreichischen Landtags. Abdruck mit freundlicher Erlaubnis der Autorin.
„Liebe Landeshauptfrau!
Es ist nicht so, dass man tatsächlich etwas anderes erwartet hätte. Von einer ÖVP, die gerne ihr Wort bricht, um nur ja nicht von der Quelle der Macht getrennt zu werden, ist man vieles gewöhnt. Von einer FPÖ, die sich aus Gestrigen konstituiert und regelmäßig in Korruption und Chaos abstürzt und dabei immer ein paar Milliönchen österr. Steuergeld mit in den Abgrund reißt, sowieso. Aber ich muss zugeben, ich hatte eine Art Restvertrauen in die NÖ-ÖVP, die sich im Vorfeld doch sauber gegen Landbauer und seine rechten Buben abgegrenzt hat, die zumindest eine progressive Kulturpolitik machte und offen schien für so manches, was im Bund nicht möglich war. Nicht zuletzt der Hass von Landbauer auf Mikl-Leitner und umgekehrt hat mir falsche Hoffnung gemacht.
Ich Trottel!
Über die Gesinnung der niederösterreichischen FPÖ Mandatare ist auch schon viel gesagt worden. Wie sie sprechen und singen, von den guten alten Zeiten und ihren Helden. Mit welchen Wiederbetätigern sie telefonieren, marschieren und chatten. Wie gerne ihnen die rechte Hand auskommt, und wann und warum sie Eiernockerln essen. Es sind Wiedergänger aus einer Vergangenheit, die nicht totzukriegen ist in diesem Land. Die noch nie einsichtiger geworden sind, indem man sie mit Regierungsverantwortung ausstattet! Ganz im Gegenteil: jeder Versuch, sie demokratisch zu zähmen, hat sie dreister, salonfähiger und machthungriger werden lassen.
Ich frage mich: waren die Forderungen der SPÖ tatsächlich so unhaltbar und maßlos?
Waren sie tatsächlich unhaltbarer und maßloser als das, was da jetzt in dem Übereinkommen steht? Und was ist mit all dem, was in dem Übereinkommen nicht steht? Wo sind die Antworten auf die brennenden Fragen unserer Zeit, auf die Nöte der Einwohner und Einwohnerinnen, auf ihre Bedürfnisse?
Ich habe einen Brief von Ihnen bekommen, in dem steht, dass Sie die Werte Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz auch in Zukunft absichern und umsetzen wollen.
Wie soll das bitte gehen mit einer FPÖ? Wie passt das zum Genderverbot in den Landesbehörden, das im Übereinkommen angekündigt wird? Zum Deutschgebot in den Pausenhöfen? Zum Schnitzelgebot in den Wirtshäusern? Was kommt als nächstes? Herdprämie für die Muttis? Dirndl und Lederhosenzwang im Landtag?
Und wie zukunftsträchtig ist ein Bekenntnis zum Individualverkehr in derselben Woche, in der der ICCP neue drastische Klimaprognosen publiziert? Wie passt das zu Ihren Nachhaltigkeitszielen, die in NÖ so großgeschrieben werden? Und wie sollen die Frauen und Kinder vor Gewalt geschützt werden, die doch niemals politisch ernst genommen wurde, von einer Partei, die befindet, dass Frauenhäuser Ehen zerstören?
Dieses Übereinkommen liest sich wie ein klares Bekenntnis zur Vergangenheit. Der „kleine Mann von der Straße“ soll wieder in den Thron zurück gehievt werden: in sein Autochen, auf die Straße, in die 50er Jahre, wo er noch was zu sagen hat und wo sich ihm niemand in den Weg stellt oder klebt. In sein Schweinsbratenwirtshaus, wo er mit anderen kleinen Männern um die Wette poltern kann, gegen alle, die unerwünscht und minderwertig sind, ohne Gendern und nix; und die brave Frau ist daheim bei den Kindern, die ganz artig Deutsch reden. Und als Trostpflaster auf das ewige Neidgeschwür gibts auch endlich was aus dem großen Corona Töpfchen. Dass Sie da mitmachen, ist auch frauenpolitisch eine Unterwerfungsgeste, die ich nicht einmal der ÖVP zugetraut hätte.
Und wenn Sie sagen, das ist Demokratie, die Mehrheit hat das gewählt, muss ich Ihnen entgegnen: Nein. Das ist nicht Demokratie, sondern Kuhhandel.
75,81 % der Wählerinnen und Wähler haben NICHT die FPÖ gewählt und ich gehe davon aus, dass jeder dieser 682.166 Personen, die die FPÖ nicht gewählt hat, ihre guten Gründe hatte. Wie vielen es gefällt oder egal ist, dass die FPÖ jetzt mitgestalten darf, kann ich nicht sagen, aber sicher ist, dass sehr viele Niederösterreicherinnen und Niederösterreicher empört sind darüber, wie schnell Sie sich über den Tisch ziehen lassen haben.
Als österreichische Künstlerin darf ich mich jetzt nicht nur als Österreicherin, sondern als Niederösterreicherin quasi stereo genieren, weil uns jetzt nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene immer mehr rassistische und sexistische Tiefschläge um die Ohren fliegen werden; Zitate und Taten, die über die Landesgrenze gesehen, gehört und mit Kopfschütteln registriert werden. Ich schäme mich auch als Feministin in Grund und Boden, wenn im Jahr 2023 ein Arbeitsübereinkommen fast ausschließlich von Männern konzipiert und geschlossen wird, und darin das Wort Frauen nur 7 Mal vorkommt, und da nur im Zusammenhang mit schwammigen Gewaltschutzversprechen und Genderverboten.
Liebe Landeshauptfrau, auch wenn Sie betonen, wie unangenehm diese Zweckehe mit der NÖ FPÖ und ihren Schergen ist: es ist eine Ehe, die Sie geschlossen haben. Die nicht zu schließen Sie versprochen haben. Es ist eine Ehe, die Ihnen auf Bundesebene schon vorgescheitert und vorgeschieden wurde, mit schweren Konsequenzen für unser Land, seine Finanzen und seinen Ruf.
Ich wünsche dieser Ehe ein Ende mit Schrecken.
Nach meiner Rede bei der Kulturpreisverleihung, bei der ich vorgerechnet habe, wie desaströs das Geschlechterverhältnis im Kulturbetrieb immer noch ist, haben Sie mir beigepflichtet, dass sich noch so viel ändern müsse. Glauben Sie mir: diese Art von Veränderung, die mit einer FPÖ einhergeht, ist nur für eine Handvoll Niederösterreicher gut. Allen anderen macht sie das Leben schwer. Den Menschen, die bereit sind Weltoffenheit, Vielfalt, Toleranz, Nachhaltigkeit und Geschichtsbewusstsein zu leben. Den Frauen, deren Gleichberechtigung welcher Art auch immer der Koalition kein Wort wert ist. Den Künstlerinnen und Künstlern, deren Rezeption über die Landesgrenze hinaus von einer rassistischen Regierung überschattet wird. Den Migranten und Migrantinnen, die hier gebraucht werden und ungestört leben und arbeiten wollen. Jenen umweltbewussten Menschen, die auf den Ausbau von Radwegen und Öffis hoffen und nachhaltig zu leben versuchen.
Für all jene und viele weitere spreche ich hier, glaube ich, wenn ich sage:
Das hat Niederösterreich nicht verdient! Keine Koalition mit Rassisten!“
Gertraud Klemm, 23.3.2023, St Pölten anlässlich der konstituierenden Landtagssitzung
Bis zu 500 Menschen fanden sich trotz früher Morgenstunde in St. Pölten ein, um gegen den schwarz-blauen Pakt in Niederösterreich zu protestieren.
Motto des Protests: "Keine Koalition mit Rassisten!"
Scharfe Kritik von SOS Mitmensch-Sprecher Alexander Pollak am Kniefall von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner vor der FPÖ unter Obmann Udo Landbauer.
Zeigen immer Haltung gegen Rassismus: Omas gegen Rechts.
Personen mit Rassismushintergrund in Machtpositionen nicht erwünscht.
SOS Mitmensch fordert: Es muss klare rote Linien bei Rassismus und negative Konsequenzen für rassistische Politakteur*innen geben!
--> JETZT UNTERZEICHNEN: Kein Rassist als Integrationslandesrat!
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