
Mehr als ein Hype!
50.000 Menschen marschierten im Sommer 2020 gegen strukturellen Anti-Schwarzen Rassismus in Wien. Auf Black Lives Matter folgt die Initiative des Black Voices-Volksbegehren. Sprecherin Noomi Anyanwu fordert einen nationalen Aktionsplan in Österreich. Ein Beitrag im neuen MO-Magazin für Menschenrechte. Text: Beverly Mtui
Nach dem Tod des Nigerianers Marcus Omofuma, der am 1. Mai 1999 an den Folgen fahrlässiger Polizeigewalt in Österreich verstorben war, mobilisierten sich zum ersten Mal die afrikanischen Communities in Wien und demonstrierten zusammen mit mehr als 3.000 Personen gegen rassistisch motivierte polizeiliche Übergriffe und strukturellen Rassismus innerhalb der österreichischen Polizei. Knapp drei Wochen nach der Demonstration kam es zur Operation Spring, der „größten kriminalpolizeilichen Aktion in Österreich in der zweiten Republik“. Afrikaner*innen gerieten ins Visier der österreichischen Polizei, wurden in zahlreichen Fällen festgenommen und zu Unrecht angeklagt. Die Bekämpfung strukturellen Anti-Schwarzen-Rassismus in Österreich wurde jahrzehntelang vergebens versucht. 21 Jahre später kam es zu einer unerwarteten Wendung.
„Es braucht noch hundertmal so eine Bewegung wie Black Lives Matter, bis wirklich die ganze Gesellschaft erreicht ist.“ Noomi Anyanwu
Am 25. Mai 2020 wurde der Afroamerikaner George Floyd von Derek Chauvin, einem Polizeibeamten, getötet. Floyd’s Mord sorgte weltweit für Aufsehen. Die Tat wurde zum Sinnbild für strukturellen Anti-Schwarzen Rassismus und veranschaulichte die Lebensrealitäten unzähliger von Rassismus betroffener Personen. Die US-amerikanische Bewegung #BlackLivesMatter wurde zu einer globalen Bewegung, an der sich Menschen beteiligten, um strukturellen Rassismus ein Ende zu setzen; auch in Österreich. An der am 4. Juni 2020 organisierten Black Lives Matter-Demonstration in Wien nahmen rund 50.000 Menschen teil. Es war die drittgrößte Demonstration in den vergangenen 20 Jahren und ging damit in die Geschichte ein. Insgesamt fanden in acht von neun österreichischen Bundesländern Black Lives Matter-Demos statt.
Reformbedarf in vielen Bereichen
Die Auswirkungen der #BLM Bewegung blieben nicht unbemerkt. Es war wichtig, dieses Momentum auch in Österreich aufzufangen und in weiterer Folge konkrete Schritte einzuleiten, um strukturellen Anti-Schwarzen Rassismus zu bekämpfen. Daraufhin wurde das Black Voices-Volksbegehren initiiert und am 16. September 2020 in Wien vorgestellt. Das Anti-Rassismus Volksbegehren fordert die Teilhabe von Schwarzen Menschen und People of Colour in Österreich. Der Vorstand des Black Voices-Volksbegehrens wird von vielen Aktivist*innen und Gruppen unterstützt, sowohl innerhalb als auch außerhalb Wiens. Es wurden Bundesländergruppen gegründet, damit ist es dem Black Voices-Volkbegehren möglich, sich regional zu vernetzen und zu mobilisieren. So soll österreichweit um Unterstützung geworben werden und mit vereinten Kräften an der Umsetzung der Forderungen gearbeitet werden. Die Forderungen des Black Voices-Volksbegehren sind in sechs Bereiche unterteilt: Bildung, Flucht & Migration, Gesundheit, Arbeitsmarkt, Repräsentation & Öffentlichkeit, und Polizei. Das Ziel ist die Entwicklung und Implementierung eines nationalen Aktionsplans gegen Rassismus. „Damit unsere Forderungen sich in gesetzliche Maßnahmen umsetzen, Schwarze Menschen und People of Colour gesetzliche Veränderungen spüren und ihre Rechte ausgebaut werden, aber auch der Schutz vor Diskriminierung und Rassismus vom Staat bestärkt wird, brauchen wir 100.000 Unterschriften, um im Nationalrat besprochen zu werden“, sagt Noomi Anyanwu, Sprecherin des Black Voices Volksbegehren. „Wir haben es schon einmal geschafft, 50.000 Menschen zu mobilisieren, um gegen strukturellen Rassismus zu demonstrieren. Wir können es auch schaffen, dass 100.000 Menschen das Volksbegehren unterschreiben.“
Team der Initiative für das Black Voices Volksbegehren.
Im Alltag ansetzen
Das Black Voices-Volksbegehren hat den Anspruch, auf strukturellen Rassismus in Österreich aufmerksam zu machen. Für Noomi ist auch Alltagsrassismus ein Symptom von strukturellem Rassismus. „Rassismus jeglicher Form wird aber oft so normalisiert, relativiert und sogar abgetan, dass Rassismus in Österreich nicht wahrgenommen oder lediglich als ein Problem der USA dargestellt wird. Wir alle leben aber in rassistischen Strukturen. Speziell vor institutionalisierten Strukturen in den verschiedensten Bereichen wie z.B. bei der Job- oder Wohnungssuche kann man sich als nicht von Rassismus betroffene Person leichter verschließen, weil man diese Erfahrungen selbst nicht erlebt“, erzählt sie. Diese institutionalisierten Strukturen haben jedoch enorme Folgen für von Rassismus betroffene Menschen. Sie führen zu Einschränkungen im Arbeits- und Wohnungsmarkt, zu finanziellen Schwierigkeiten und zuletzt zu einem Kampf ums Überleben. Daher sei es umso wichtiger, diese Strukturen, die auch im Gesundheitswesen, bei Amts- und Behördenwegen, im Bildungswesen, und in vielen anderen Bereichen existieren, sichtbar zu machen, um die Lebensqualität und Lebenserwartungen von Rassismus betroffener Menschen zu erhöhen. Das Problem: „Die Medien fokussieren eher auf Alltagsrassismus und blenden diesen großen Teil des Lebens aus – wobei gerade diesem Teil noch schwerer entkommen werden kann.“
Unabhängige Kontrollstelle bei Polizeigewalt
Wie die Bewegungen zeigten, spielt der Polizeiapparat eine dominante Rolle bei strukturellem Rassismus, auch für das Black Voices-Volksbegehren. Deshalb fordert man die Einrichtung einer unabhängigen Kontroll- und Beschwerdestelle bei polizeilichem Fehlverhalten. Außerdem wird ein kostenloser psychosozialer Dienst gefordert, an den sich Betroffene von Polizeigewalt für mentale und psychische Unterstützung wenden können. „Es ist aber auch wichtig zu erwähnen, dass es sich bei der Kritik an der Polizei nicht um Kritik an einzelnen Polizist*innen handelt. Es geht um den gesamten Polizeiapparat, der ein strukturelles Problem hat, wodurch Polizeigewalt oder rassistische Gewalt tödlich enden kann. Diese Strukturen, genau wie in jedem anderen Bereich, müssen überarbeitet werden“, betont Noomi.
„Struktureller Rassismus ist auch das Problem der weißen Mehrheitsgesellschaft.“
Mehr rassistische Vorfälle
Trotz anti-rassistischer Arbeit haben rassistische Vorfälle in Österreich zugenommen, wie der Verein ZARA berichtet. Ein Viertel der an ZARA gemeldeten Vorfälle im Jahr 2020 betraf Rassismus gegen Schwarze Menschen und People of Colour (siehe den ZARA-Rassismus-Report 2020). „Natürlich gibt es Bestrebungen von einzelnen Organisationen, Vereinen und Institutionen, aber im Endeffekt sehen wir einen Anstieg von rassistisch motivierter Gewalt, auch von antisemitischen und antimuslimischen Übergriffen“, hält Noomi fest. „Zwar sehen wir Veränderungen im Denken und Bewusstsein, auch was die Sensibilisierung der Zivilgesellschaft und einzelner Institutionen betrifft. Aber es braucht noch viel mehr Zeit, bis es auch wirklich spürbare Konsequenzen gibt.“ Greifbare Veränderung bedeutet vor allem eine Veränderung auf gesetzlicher Ebene, und darauf arbeitet das Black Voices-Volksbegehren hin. Mit Online-Podiumsdiskussionen, Livetalks, Workshops, Kampagnen, sowie unterschiedlichen Interaktionsmöglichkeiten bemühen sich die Aktivist*innen um Kooperationen mit Institutionen und Vereinen. Black Lives Matter soll nicht zum kurzlebigen Trend werden. „Das sind unsere Wege, wie wir versuchen den Leuten klarzumachen, dass es erstens nicht vorbei ist, nur weil gerade niemand darüber redet. Und zweitens, dass struktureller Rassismus auch das Problem der weißen Mehrheitsgesellschaft ist. Dass es das Problem von allen ist und wir da alle an einem Strang ziehen müssen“, so Noomi.
Kritik an Museumskonzepten
Im Zuge ihrer Anti-Rassismus Arbeit konnte das Black Voices-Volksbegehren bereits einiges bewirken. Im Februar 2021 thematisierte das Volksbegehren in einem offenen Brief kolonialistische und neokolonialistische Strukturen in Museen und Bildungseinrichtung. Lehrmaterialien zu Schwarzer Geschichte in Österreich wurden infolgedessen online gratis zur Verfügung gestellt, um einen Diversifizierungsprozess im Kultur- und Bildungsbereich zu fördern. „Geschichte wurde aus einer eurozentrischen Perspektive geschrieben, daher muss auch immer kritisch hinterfragt werden, wie viel wir über die Geschichte Schwarzer Menschen in Österreich wissen und warum wir so wenig darüber wissen. Was auf alle Fälle klar ist, Schwarze Menschen und People of Colour sind nicht erst seit 30 Jahren in Österreich und auch nicht erst seit #BlackLivesMatter, was vielleicht auch einige Menschen glauben. Wir sind schon seit hunderten von Jahren hier und haben dieses Land auch mitgestaltet“, verdeutlicht Noomi.
Trotz der Befürchtung, dass für viele Personen der Aktivismus mit der Demo geendet hat, spricht Noomi auch von nachhaltigen Auswirkungen der Bewegung. Das Black Voices-Volksbegehren bekommt immer wieder Anfragen von Menschen, die aktiv mitarbeiten und unterstützen wollen, was natürlich Hoffnung gibt. „Ich glaube aber trotzdem, dass es so eine Demonstration und Bewegung wie Black Lives Matter noch hundertmal braucht, bis wirklich die ganze Gesellschaft erreicht ist.“ Denn eines ist klar: allein kann das Black Voices Volksbegehren nur wenig erreichen. „Ich hoffe, dass mehr Menschen ein Bewusstsein für diese Strukturen bekommen und die Relevanz auch für sich selbst erkennen, aktiv mit dem Black Voices Volksbegehren und mit allen anderen Menschen gegen Rassismus zu kämpfen und einzustehen.“
Noomi Anyanwu ist Studentin der Romanistik und Afrikawissenschaften, Aktivistin und Sprecherin des Black Voices Volksbegehrens. Seit ihrem 15. Lebensjahr ist sie politisch aktiv in Form von Schulworkshops, österreichweiten Kampagnen in Jugendorganisationen, ihrer Schulzeitung oder aktuell ihrem Online-Aktivismus als @thisisnoomi. Außerdem tritt sie als Trainerin und Beraterin zum Thema Anti-Rassismus für Organisationen oder in der Erwachsenenbildung auf.
Beverly Mtui ist Mitbegründerin sowie Chefredakteurin von freshVibes, die Radiosendung der jungen Schwarzen Diaspora in Österreich auf Radio ORANGE 94.0. Sie ist Masterstudentin der internationalen Entwicklung & Aktivistin.
Weiterführende Links:
blackvoices.at/lehrmaterialien
blackvoices.at/neokolonial-museen-bildung
www.diepresse.com/5827354/nehmt-die-black-lives-matter-bewegung-ernst
Black Lives Matter Vienna – 4. Juni 2020 – Hören Sie alle Interventionen: cba.fro.at/455943
Black Lives Matter Vienna- 5. Juni 2020 – Alle Beiträge sind hier zu hören: cba.fro.at/456174
20 Jahre OMOFUMA: Die allererste Demonstration der African Communities in Österreich: cba.fro.at/407985
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